Sogar diese Unterrichtsstunde ging vorüber und am Ende verließ der fremde Mann das Klassenzimmer, ohne mich noch einmal außergewöhnlich zu beachten.
„Also, was war da drinnen bitte mit dir los", fuhr mich Katrin auf den Weg nach draußen an. „Ich weiß es nicht", stammelte ich, während ich mich auf der kleinen Mauerumrandung des spärlichen Grüns vor unserer Schule niederließ.
„Ich habe ihn heute im Bus getroffen."
Katrin runzelte ihre hübsche Stirn.
„Dein Vater bringt dich gar nicht mehr in die Schule?", fragte sie unpassenderweise. Ich wusste nicht, warum das Katrin interessierte. Ich war immerhin kein kleines Kind mehr und es war eher unüblich, in meinem Alter noch von einem Elternteil in die Schule gebracht zu werden.
„Er hat mich im Bus angesprochen."
„Wer? Der neue Lehrer?"
Ich nickte kurz.
„Hat er dich gekannt?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Er hat eine Menge komisches Zeug dahergeredet, so von wegen Menschen hätten zu wenig Zeit und so."
„Hmmm."
„Und", ich schüttelte mich angeekelt bei dem Gedanken, „er wollte sich mit mir nach der Schule treffen."
„Igitt! Pass um Himmels Willen auf! Nicht, dass das so ein Perverser ist."
Gedankenabwesend nickte ich. Ob ich diesen Mann von irgendwoher kennen sollte? Gesichter und besonders Namen schienen nämlich von meinem Gedächtnis prinzipiell nur widerwillig angenommen zu werden. Aber wahrscheinlich war alles nur ein dummer Zufall und er war einfach ein mitteilungsbedürftiger einsamer, alter Mann, den ich womöglich an irgendeine verschollene Enkelin erinnerte – hoffte ich zumindest.
Ich seufzte leise und lächelte beschwichtigend.
„Ich pass schon auf mich auf Katrin, keine Sorge."
Kurz sah sie mich noch zweifelnd an, aber ihre Miene erhellte sich schnell wieder und ließ ihr einnehmendes Lächeln erstrahlen.
„Komm, Lillie, gehen wir noch auf ein Eis, um den Beginn des neuen Schuljahrs zu feiern."
Ich spürte zwar den Hunger in meinen Eingeweiden, hatte aber keine Lust, ihn mit süßem Eis zu stillen.
„Nein danke. Ich gehe lieber heim."
Sie seufzte theatralisch, zuckte dann aber mit den Schultern.
„Aber heute Nachmittag kommst du schon, ja?"
Wie konnte ich das nur vergessen? Katrins Eltern gaben jedes Jahr am ersten Schultag eine kleine Feier in ihrem bescheidenen Garten in Wien-Hietzing, um das neue Arbeitsjahr einzuläuten. Katrins Mutter meinte immer, dass man dankbar sein muss, wenn man eine Arbeit hatte und diese auch gebührend gefeiert werden müsse. Dass es Leute gab, die das ganze Jahr über arbeiteten, auch in den Sommerferien der Schule, ignorierte Katrins Familie geflissentlich. Jedes Jahr kamen unzählige gut aussehende und teuer gekleidete Leute in ihr Haus und zelebrierten diese – wie Katrin und ich es nannten – versnobte Feier. Katrin bestand jedes Mal darauf, dass ich dabei sein musste, da sie die ganzen Leute sonst nicht ertragen würde, und ich stand ihr natürlich zur Seite. Zum einen auch, weil es immer ein außergewöhnlich gutes Essen gab, zum anderen, weil Katrin und ich eine Menge Spaß dabei hatten, die Leute auszurichten und kleine Streiche zu spielen.
„Ich werde natürlich pünktlich da sein", versprach ich und wir verabschiedeten uns herzlich. Ich war froh, dass unser Freundinnengespann wieder beieinander war. Im Sommer hatte ich immer das Gefühl, als würde mir etwas Wichtiges fehlen.
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Offenbarung - Der teuflische Plan
FantasyVormals "Der Kristall der Ungläubigen"; **ACHTUNG: aktuell ab dem vierten Buchkapitel (WattPad-Kapitel 23) in Überarbeitung** ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Lillie mag ihr ruhiges Leben. Aber dann wird ihr vo...