Gedanken ordnend lag ich am helllichten Tag in meinem Bett, hörte leise Musik und dachte über die Geschehnisse nach, die mir heute widerfahren waren. Dass dieser Tag beinharte Realität gewesen war, war mir spätestens bei der eiskalten Dusche, die ich mir kurz zuvor genehmigt hatte, aufgefallen. Ich wollte dieses merkwürdige Erlebnis wegspülen und hatte mich todesmutig unter das kalte Wasser gestellt, obwohl ich eigentlich ein klassischer Warmduscher war. Leider hatte ich damit nur das grausame Gegenteil bewirkt, sodass nun die Gedanken umso intensiver in meinem Kopf kreisten. Die naheliegendste Erklärung für alles war, dass der alte Mann schlichtweg verwirrt war oder mich erschrecken wollte - was ihm auch offensichtlich gelungen war, das musste ich mir leider eingestehen.
Aber woher hatte er gewusst, an welcher Bushaltestelle ich aussteigen musste? Nun, dass ich in die Schule ging, war aufgrund meines großen Rucksackes augenscheinlich gewesen und dann hatte er wahrscheinlich nur geraten. Oder hatte er als neuer Lehrer alle Namen seiner Schüler mit den dazugehörigen Bildern auswendig gelernt? Ein anderer, weitaus unangenehmerer Gedanke drängte sich mir immer wieder auf: was, wenn dieser Mann die Wahrheit gesagt hatte? War das denn alles tatsächlich möglich? Konnte dieser Mann wirklich Zeus sein?
Nein! Das war einfach zu absurd, als dass es wahr sein konnte!
Ich lächelte über mich selbst, über die Angst, die kurzzeitig von mir Besitz ergriffen hatte und an meinem Unterbewusstsein genagt hatte. Genug! Wenn mir dieser Mann morgen wieder „zufällig" über den Weg laufen sollte, würde ich einfach die Polizei verständigen. Punkt! Aus! Ende!
Ich beschloss, mich für den Rest des Nachmittags mit etwas Erfreulicherem zu beschäftigen, drehte die Musik ab und öffnete stattdessen eine meiner Lieblingsserien auf meinem Laptop. Den Plot kannte ich bereits auswendig, so oft ließ ich die Serie im Alltag im Hintergrund laufen. Beruhigt von der lieb gewonnenen Ablenkung und erschöpft von dem Tag legte sich irgendwann der erlösende Schlaf über mich und ließ mich für einen kurzen Augenblick in eine perfekte Traumwelt eintreten.
Ich konnte noch nicht lange geschlafen haben, als ich wieder erschrocken hochfuhr. Etwas hatte mich geweckt. Ein Blick auf mein Handy überzeugte mich von seiner Unschuld und davon, dass ich noch etwas Zeit bis zu Katrins Feier hatte. Verschlafen blinzelte ich umher und mein Blick blieb am Laptop hängen, auf dem noch immer meine Serie lief und sich die Hauptdarsteller gerade eine wilde Verfolgungsjagd lieferten. Bevor ich erneut in diesen Strudel der Serienwelt gesogen wurde, drückte ich beherzt den Ausschaltknopf. Ich sah mich um und stellte erleichtert fest, dass die Erlebnisse des Vormittags erinnerungsmäßig bereits in den Hintergrund zu treten begannen. Zufrieden reckte ich mich und beschloss, mir einen Schluck Wasser aus der Küche zu besorgen, als mich ein unruhiges Gefühl beschlich.
Es war mir, als hätte ich in der einsamen Wohnung ein Geräusch gehört. Angespannt lauschte ich, aber das Einzige, was ich wahrnahm, war das leise Ticken meiner treuen Wanduhr und das Geräusch eines Fernsehers, das aus einer der oberen Wohnungen zu mir durchdrang. Trotzdem begann mein Herz schneller zu schlagen und ein Gefühl der Panik kroch langsam und unbarmherzig in mir hoch. Ich schloss die Augen und versuchte mich zu beruhigen, was mir aber nicht gelang. Panikattacken waren eigentlich die Disziplin meiner Tante Anna, die glücklicherweise in unserem Zweig der Familie nicht vorkamen - hatte ich bisher zumindest immer gedacht. Verzweifelt kniff ich die Augen zusammen und versuchte, einige Sekunden lang an etwas Angenehmes zu denken, um meinen verkrampften Körper zu entspannen. Ich seufzte schließlich, als es mir nicht gelang. Ich war nicht einmal fähig, mich auf etwas Schönes zu konzentrieren! Zumindest hatte meine kleine Übung dennoch auf andere Art und Weise gefruchtet und die Angst war dem Ärger über mich selbst gewichen.
Entschlossen stand ich endlich von meinem Bett auf und wollte meinen geplanten Ausflug in die Küche fortsetzen, aber als ich meine Hand auf die Türklinke legte, zögerte ich erneut. Es schien mir, als hätte ich wieder ein Geräusch auf der anderen Seite der Tür gehört. Ich hielt gespannt den Atem an und lauschte aufmerksam, aber was immer es war, nun war es still. Mein Herz schlug mittlerweile so schnell, dass ich kurz den Gedanken hatte, es könnte sich überfordern, aber schließlich übermannte mich die Angst vollends und erstickte jedes weitere Gedankenspiel im Keim. Jeder Muskel meines Körpers war verkrampft, als ich langsam die Türklinke hinabdrückte und die Tür einen Spalt weit öffnete. Das vertraute Brummen des Kühlschranks schlug mir über den leeren Flur entgegen, sonst konnte ich nichts Ungewöhnliches wahrnehmen. Zögernd verließ ich mein Zimmer und tastete mich langsam vorwärts. Angespannt durchbohrte mein Blick die Leere des Flurs, die sich vor mir auftat, doch alles lag unverändert vor mir! Ich versuchte mich gedanklich zu beruhigen, doch mein Körper verkrampfte sich nur noch mehr und mein Herz pochte immer schneller in meiner Brust. Das Gefühl, beobachtet zu werden, nahm unaufhörlich zu, als ich langsam vorwärts ging.
Ich brauchte einen Plan, falls wirklich jemand in der Wohnung war! Mein Handy fiel mir ein, dass ich sinnvollerweise in meinem Zimmer zurückgelassen hatte. Ich fluchte innerlich und tastete mich weiter den Gang entlang Richtung Küche. Das Summen des Kühlschranks wurde intensiver.
Meine Panik hatte schon fast ihren Höhepunkt erreicht, als ich endlich durch die Tür in die Küche schlüpfte. Tageslicht durchströmte das kleine Zimmer und ich musste unweigerlich über mich selbst lachen. Hier in der hellen Küche schien meine Angst lächerlich zu sein. Ich goss mir etwas Wasser in ein Glas und stürzte es gierig hinunter. Erleichtert ließ ich mich auf die Eckbank sinken. Der Tag hatte mich doch mehr mitgenommen, als ich anfänglich angenommen hatte.
Ich vergrub meinen Kopf in meinen Händen und verharrte so einen Augenblick, als mich wieder dieses Gefühl beschlich, nicht alleine zu sein. Panisch hob ich meinen Blick und war kaum mehr überrascht, als ich den Schatten einer kleinen aber gedrungenen Gestalt im Türrahmen erblickte. Der Mann stand einfach nur da und schien mich mit seinen ausdruckslosen Augen zu taxieren. Sein Körper wirkte ungewöhnlich kräftig und sein Gesicht war kantig und blass, aber sein starrer Blick ruhte unbarmherzig auf mir. Ich zitterte und schluchzte leise. Tränen rollten unweigerlich über meine Wangen, aber mein Körper bäumte sich noch mit letzter Kraft auf und instinktiv wollte ich mich auf den Eindringling stürzen, als mich etwas zurückhielt. Ich schrie auf und schlug mit aller Kraft um mich, aber eine Hand legte sich bereits von hinten über mein Gesicht und ich spürte etwas Weiches, Feuchtes auf meinen Lippen. Ein süßlicher Geruch stieg in meine Nase und meine Sinne begannen zu schwinden.
Chloroform!
Es wurde schwarz vor meinen Augen.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Damit endet das erste Buchkapitel. Im nächsten Kapitel begibt sich Lillie auf eine ungewollte Reise. Ich bin gespannt, wie es euch gefällt
DU LIEST GERADE
Offenbarung - Der teuflische Plan
FantasyVormals "Der Kristall der Ungläubigen"; **ACHTUNG: aktuell ab dem vierten Buchkapitel (WattPad-Kapitel 23) in Überarbeitung** ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Lillie mag ihr ruhiges Leben. Aber dann wird ihr vo...