Der Lehrer

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Es war schön, Katrin nach so langer Zeit endlich wieder zu sehen. Während der Schulzeit waren wir unzertrennlich, aber in den Ferien kamen ihre Eltern immer auf die unvernünftige Idee, herumzureisen oder eben den Sommer in ihrem Sommerhaus zu genießen, während ich in den Ferien versuchte, nicht vor Langeweile zu sterben. 

Katrin und ich fielen uns in die Arme, lachten und erzählten uns zeitgleich unsere Sommererlebnisse. Wie immer hatte sie unglaubliche Ferien verbracht, während meine Erzählung – wie jedes Jahr – weitaus kürzer ausfiel. Wir gingen plaudernd durch die Gänge der Schule und ignorierten alles um uns herum. Manchmal kam es mir vor, als ob uns mehr als eine banale Freundschaft verbinden würde. In ihrer Gegenwart konnte ich ich selbst sein. Katrin war zwar in jeglicher Hinsicht das komplette Gegenteil von mir, dennoch waren wir fast wie Schwestern. War sie der Inbegriff einer jugendlichen Schönheit, so war ich dagegen fast das hässliche Entlein. Die Pubertät ging an meiner Haut und Psyche nicht so spurlos vorüber wie an Katrin. Ihr blondes, kräftiges Haar glänzte gesund, ihre Haut war glatt und hell wie Porzellan und ihre blauen Augen funkelten vergnügt. Ich hingegen hatte jeden Morgen das Problem, meine trockenen, schwarzen Haare mit einem Zopf zu bändigen, damit sie nicht strähnig in mein Gesicht hingen und die gröbsten Hautunreinheiten mit einem Abdeckstift zu verdecken. Ich bevorzugte Jeans und Pullover, Katrin Röcke und Kleider – ein absolutes Gräuel für mich! Katrin hatte ebenfalls eine recht einnehmende Wirkung auf das andere Geschlecht. Während mich die Burschen ignorierten oder sogar hänselten, konnte sie sich vor Verehrern kaum retten. Katrin flirtete gerne und konnte zeitweise ein recht zickenhaftes Verhalten an den Tag legen, während ich eher von der schüchternen Sorte war. Ich war - sagen wir es mal so - eher soziophob eingestellt. Dass wir beide beste Freundinnen waren, war für viele schlichtweg unverständlich, für uns hingegen war es das Normalste auf der Welt. Wir kannten uns seit frühesten Kindheitstagen und hatten von Anfang an alles miteinander geteilt. Waren wir schon auf alten Fotos als Babys so gegensätzlich wie Tag und Nacht, so verband uns doch von Anfang an dieses unzertrennbare Band.

„Wie ist es dir ergangen, Lillie? Lass hören."

Katrin hatte ihren spannenden Reisebericht beendet und blickte mich erwartungsvoll mit ihren blauen Augen an.

„Wie jedes Jahr: Ich war in Wien. Meine Mama hat viel gearbeitet und mein Bruder war in irgendeinem Sommercamp."

„Und du?"

„Ach, ich habe die meiste Zeit mit Lesen und Musik hören verbracht, wie jedes Jahr."

Eine lautes, schrilles Klingeln hallte plötzlich durch die Schule, das unüberhörbare Zeichen für die Schüler sich in ihre Klassenzimmer zu begeben. Wir ignorierten es aus alter Gewohnheit und setzten unser Gespräch fort.

„Lillie", Katrins Stimme klang vorwurfsvoll, „Du musst raus. Etwas erleben! Jungs kennen lernen."

Ich lächelte erheitert. Katrin hatte die absurde Vorstellung, dass ich, wenn ich meine Einsiedlerbestrebungen nicht etwas einschränken sollte, irgendwann einmal als alte Jungfrau sterben würde.

„Mach dir keine Sorgen um mich Katrin, ich komme zurecht."

Sie lächelte erheitert und machte eine beiläufige Geste.

„Ja. Irgendwann trifft sogar so jemand wie du den Richtigen."

Hatte ich schon erwähnt, dass Katrin manchmal etwas Zickenhaftes an sich hatte? Aber diese Art kannte ich bereits an ihr und wusste, dass es nicht so gemeint war.

„Danke, Katrin. Solange du auf mich aufpasst, kann mir ja nichts passieren", gab ich lachend zurück, als wir unser Klassenzimmer betraten. 

In diesem Moment wandten sich alle Blicke unserer Klassenkameraden für einen kurzen Augenblick uns zu. Die Burschen musterten Katrin wohlwollend, während die Mädchen ihr fast neidische Blicke zuwarfen, denn wie jeden Herbst kam sie schöner und strahlender in die Schule zurück, als sie im Sommer gegangen war. Katrin ignorierte alle und war weiter damit beschäftigt, mir irgendwelche Ratschläge zu erteilen. Die Aufmerksamkeit der anderen Schüler wandte sich nach und nach wieder ihren jeweiligen Tätigkeiten zu und Katrin und ich plauderten noch eine ganze Weile, bis endlich unser Klassenvorstand kam und eine langweilige Einführungsstunde hielt. Danach standen bereits Mathematik und Englisch am Programm, aber nachdem heute der erste Schultag war, waren Schüler und Lehrer dementsprechend motiviert - nämlich so gut wie gar nicht. Als letzte Unterrichtseinheit hatten wir Geschichte. 

Die Schulglocke läutete und als der neue Lehrer das Klassenzimmer betrat, schien mir im selben Moment das Blut in den Adern zu gefrieren. Die Gespräche der anderen Schüler verstummten und sie blickten mehr gelangweilt als interessiert den älteren Mann im Anzug an, der gerade zur Tür hereingekommen war, während ich ihn wie erstarrt anglotzte. Er erwiderte meinen Blick und zwinkerte mir kurz zu. Beschämt blickte ich auf die Tischplatte vor mir. Es war derselbe Mann, der mich heute Morgen im Bus angesprochen hatte.

„Ist alles in Ordnung?", flüsterte Katrin mir zu.

„Ja", stammelte ich mit dem unguten Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. 

Offenbarung - Der teuflische PlanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt