Erkenntnis / Die Warnung

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Erkenntnis


Die Zeit war stehen geblieben. Ich wusste nicht, wo ich war. Um mich herum war nur weißlich leuchtender, alles verdeckender Nebel. Ich war komplett allein, sogar Zorack war kein Teil mehr von mir. Fortgerissen aus meiner Realität wurden alle meine eigenen Gedanken und Empfindungen mit einem Mal bedeutungslos. Es war, als würde all der seelische Schmerz, den ich in letzter Zeit zur Genüge angehäuft hatte, von mir genommen. Meine Erinnerungen schienen in weite Ferne zu rücken, langsam zu verblassen und einer einnehmenden inneren Leere zu weichen. Ich war wie gefangen in diesem Nichts, sodass ich anfänglich dieses fremde Gefühl kaum wahrnahm. Nur schwerfällig begann ich zu begreifen, dass etwas langsam in meine Gedanken und Erinnerungen eindrang und sie Stück für Stück von mir nahm. Meine Selbstwahrnehmung wurde dabei immer schwächer und ich hatte das Gefühl, als würde ich mit dieser uralten Macht verschmelzen, die langsam von mir Besitz ergriff.

Ich verspürte keine Angst, doch plötzlich durchzuckte mich wie aus dem Nichts ein so unvorstellbarer Schmerz, dass ich wieder in meinen sterblichen Körper zurückgerissen wurde und laut aufschrie. Unwillkürlich riss ich meine Arme in die Höhe, um meinen Kopf zu schützen, doch unbarmherzig bohrte sich der Schmerz weiter durch meinen Schädel, während meine Erinnerungen regelrecht auseinandergerissen wurden. Ich fürchtete schon, das Bewusstsein zu verlieren, als ich ein beinah lautloses Wispern wahrnahm und der Schmerz so plötzlich verschwand, wie er gekommen war. Ich taumelte und wäre beinah gestürzt, doch im letzten Moment konnte ich mich fangen. Schwerfällig sog ich Luft in meine Lungen, während das Wispern in meinem Kopf zu einem eindringlichen Rauschen anschwoll, und ich nach und nach einzelne Stimmen heraushören konnte, aber nicht verstand, was sie sagten.

Der weiße Nebel um mich herum lichtete sich etwas und die gleißende Helligkeit, in der ich noch kurz zuvor eingehüllt war, nahm an Intensität ab, sodass ich in die grauen Gesichter der zehn Statuen blicken konnte, die den Kristall seit Ewigkeiten bewacht hatten. Ihre steinernen Augen leuchteten weißlich und der Blick der Ungläubigen schien durch ihre Abbilder hindurch auf mir zu ruhen, als würden sie etwas von mir erwarten. Das Gemurmel und Tosen in meinem Kopf schwoll weiter an, sodass ich mir unwillkürlich die Ohren zuhielt und meine Augen schloss. Ich atmete einige Male tief ein und aus. Ich hatte keine Angst, doch ich hoffte inständig, dass die Ungläubigen es schnell zu Ende bringen würden und mich nicht unnötig quälten. Ich hatte allerdings die Befürchtung, dass dem nicht so sein würde.

Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich, dass der Nebel fast vollständig verschwunden war. Auch die Lautstärke der Stimmen ebbte etwas ab, sodass ich kurz durchatmen konnte. Ich sah Katrin, wie sie wie in Zeitlupe, mit weit aufgerissenen Augen auf mich zustürmte, und musste ob ihrer Sorge, die sich in ihrem Gesicht spiegelte, lächeln. Gleichzeitig schien mir, als wäre ich nicht mehr in derselben Realität wie sie und die anderen, sondern weit entfernt in einer anderen Wirklichkeit. Ich sah Adrian, der sich von Wolff losgerissen hatte und in meine Richtung lief. Seine Hände waren immer noch gefesselt und sein Widersacher verfolgte ihn wütend. Deimos kämpfte gegen die Dämonen, die ihn kurz zuvor noch festgehalten hatten.

All das lief vor meinen Augen so ungemein langsam ab und schien dabei so unwirklich, während die Stimmen der Ungläubigen allzeit präsent waren. Sie flüsterten, doch das Zischen ihrer unmenschlichen Stimmen war durchdringend und unangenehm und ihr strenger Blick ruhte durch ihre Abbilder hindurch unentwegt auf mir. Die Augen der steinernen Zehn glühten auf, und ganz langsam glaubte ich aus dem Wirwarr einzelne Wörter zu erkennen. Die Stimmen wurden dabei unentwegt lauter, doch bevor ich etwas verstehen konnte, durchzuckte mich wieder der bohrende Schmerz, sodass ich mich keuchend zusammenkrümmte. Wie aus weiter Ferne hörte ich Katrin schreien und panisch meinen Namen rufen. Als der Schmerz endlich nachließ, rappelte ich mich benommen hoch und schloss die Augen. Ich vernahm erneut ein Flüstern tief in mir drinnen und plötzlich verstand ich die Frage, die mir die Ungläubigen stellten: „Woran glaubst du?"

Offenbarung - Der teuflische PlanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt