Prolog

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„Ich möchte da nicht hin."

Missmutig verschränkte das Mädchen auf dem Beifahrersitz die Arme vor der Brust und starrte aus dem Fenster. „Tex sollte sich ausruhen, es wäre noch genug Zeit gewesen ihn vorzuführen."
Der Mann auf dem Fahrersitz, ihr Vater, schaute matt lächelnd zu ihr herüber.
„Celia, das ist eine gute Gelegenheit und du musst auch mal wieder unter die Leute. Du bist kaum vor die Tür gekommen seit dem letzten Jahr. Du kennst doch deine Mutter."

Das junge Mädchen namens Celia schluckte. „Mama hätte uns mehr Zeit geben sollen." „Das ist aber nicht so einfach. Deine Schule ist teuer und die Unterbringung deines Pferdes auch. Du weißt, dass der Reitunfall Tex so gut wie ins Aus geschossen hat und deine Mutter möchte, dass er durch seinen guten Namen, die vielen Siege und den Stammbaum vielleicht für das Zeugen von Nachkommen ausgesucht wird. Das tut ihm doch nicht weh. Sobald du wieder mit ihm antreten kannst, hat deine Mutter die Idee mit dem Züchten schnell vergessen."
„Tex ist eines der besten Westernpferde des Landes", murmelte Celia und schaute auf ihre abgekauten Nägel. „Er muss niemandem mehr etwas beweisen und Geld hätten wir genug, um hundert Pferde zu unterhalten."
„Du kennst doch deine Mutter", wiederholte ihr Vater nur und bremste an einer Ampel. „Wenn du dein Problem in den Griff bekommst, werdet du und Tex wieder durchstarten und sie wird dich in Ruhe lassen."
Celia strich ihre langen, rabenschwarzen Haare zurück. „Und da kannst du gar nichts machen, Papa?", murmelte sie und ihr Vater schüttelte mitleidig den Kopf. „Ich habe es versucht, mein Liebling. Aber ich fürchte, da ist nichts zu machen."

Celia seufzte. Ihre Mutter, die Geschäftsführerin eines der größten Unternehmen für Öl und Gas weltweit, hielt sich für zu arm, um ein verletztes Turnierpferd zu versorgen, klagte ständig über die hohen Tierarztkosten und nun wollte sie, dass der Hengst für die Fohlenproduktion eingesetzt wurde. Das war an Lächerlichkeit nicht zu überbieten, aber Celia wusste natürlich, dass man eine Diskussion mit ihrer Mutter nur verlieren konnte. Darum saß sie auch gerade mit ihrem Vater im Auto, auf dem Weg zu einer großen Pferdemesse. Ihr Pferd Tex Champions Hunter war sehr bekannt und noch nie zur Zeugung von Nachkommen ausgestellt worden. Die Interessenten würden utopische Preise für ein Fohlen bezahlen, da war sich zumindest Celias Mutter sicher.

„Vielleicht kommst du deiner Mutter etwas entgegen", meinte ihr Vater plötzlich. Sie war immer ein Papa-Kind gewesen, weil ihrem Vater viel mehr an ihr lag, wie ihrer Mutter. Er verstand sie, half ihr und hörte ihr zu. Sie bezweifelte, dass ihre Mutter sich überhaupt an den Geburtstag ihrer Tochter erinnern würde, hätte sie nicht eine Assistentin, die sich darum kümmerte. Ihr Vater hingegen unternahm viel mit ihr und unterstützte ihre Liebe zum Reitsport. Eine Sportart, die ihre Mutter stehts als gefährliche und viel zu teure Freizeitbeschäftigung einstufte. Wenn Tex aber reihenweise Preisgelder abräumte, beschwerte sie sich natürlich nicht.
„Wie meinst du das? Mama entgegenkommen? Ich werde Tex bestimmt nicht verkaufen", sagte Celia entgeistert, ihr Vater lachte. „Nein, natürlich nicht. Ich meinte, dass du eventuell darüber nachdenken könntest, den Hof zu wechseln. Die Stallmiete auf Texas Hill ist sehr teuer und gewiss wäre deine Mutter umgänglicher, wenn sie Kosten sparen würde, bis Tex wieder einsatzbereit ist. Du weißt, dass sie dir eigentlich gesagt hat, er müsste sich selbst finanzieren, weil sie dein Hobby nicht unterstützt."
„Aber Tex konnte gar nichts dafür – es war ein Unfall", murmelte das junge Mädchen kraftlos.

Den Stall wechseln. Sie war dort seit über fünf Jahren, all ihre Freunde waren auf Texas Hill, einem der größten, renommiertesten Reitställe für Westernpferde, die es gab. Ihre Schule war auf demselben Grundstück und daher leicht zu erreichen.
Ein Umzug in einen neuen Stall und zu anderen Reitern wäre eine unwillkommene Umstellung, besonders nach ihrem Reitunfall vor beinahe einem Jahr. Ihr Hengst erholte sich immer noch von den Folgen und sollte nicht aus seiner gewohnten Umgebung gerissen werden. Doch natürlich wusste Celia, dass Logik und Tierwohl bei der Entscheidung keine Rolle spielte. Wenn ihre Mutter ernst machte und die Gebühren für den teuren Stall nicht mehr zahlte, würde der Hengst sang und klanglos verkauft werden.

„Ich überlege es mir", gab Celia nach und las auf einem Straßenschild, dass sie der Pferdemesse näherkamen. Dazu fand auf demselben Gelände ein Turnier statt, jede Art von Reiter war irgendwie miteingebunden, für jeden war etwas dabei, vom Springreiten bis zum Westernreiten, Dressur und Vielseitigkeit. Es wäre ein fantastisches Event gewesen, wenn Celia nicht an ihren Hengst denken müsste, der im Anhänger stand und den ganzen Tag in seiner Box begafft werden würde. Er war ihr Heiligtum und bester Freund. Sie hasste es, dass sie ihn als Zuchthengst vorführen musste.
„Auf der Messe sind auch zwei Bekannte von uns", sprach ihr Vater weiter. „Chloe und Zoey von Horseland. Vielleicht möchtest du mit ihnen sprechen, ihre Ranch soll sehr schön sein. Außerdem sind ihre Eltern ständige Besucher im Country Club, deine Mutter sieht sie regelmäßig."
„Oh ja, Gott bewahre, dass ich mich mit Menschen anfreunde, die nicht in Mamas Bekanntenkreis verkehren", grummelte Celia noch immer schlecht gelaunt, obwohl es ihr Vater nur gut meinte. Dieser grinste halbherzig. „Mein Liebling, sei nicht wütend. Tex wäre vielleicht von einem neuen Stall nicht abgeneigt, wenn du dem Ganzen eine Chance geben würdest."
Nicht zum ersten Mal fragte die Dunkelhaarige sich, wie jemand wie ihr Vater eine Ehe mit ihrer Mutter aushielt und das auch noch relativ erfolgreich. Sicher, seine alte Karriere hatte er an den Nagel hängen müssen, um die Firma zu unterstützen, aber tatsächlich war er einer der wenigen Menschen, die ihrer Mutter etwas ausreden konnten, oder aber die ehrliche Meinung sagten.
Celia wollte gerade etwas erwidern, da kam die Abfahrt zum Messegelände in Sicht. Sie biss sich auf die Lippen. Der Tag konnte nicht schnell genug vorüber sein.

Am Ausstellereingang war viel los. Die Mitarbeiter nahmen die Gäste und ihre tierischen Begleiter nacheinander an, es wurden Nummern für die Boxen vergeben und die Gebühren dafür bezahlt. Celia gab die Papiere von Tex ab und holte den Hengst selbst aus dem Anhänger. Die Halle mit den Pferdeboxen war noch nicht geöffnet worden, da die Fluchttiere nicht zwischen den Menschenmassen herumgeführt werden sollten, aus Angst vor einem Panikausbruch. Das Mädchen führte Tex viermal durch die große Halle und ließ ihn schnuppern und sich umschauen, doch Tex blieb gelassen. Er erschreckte sich zweimal vor der Plane an den Eingängen, da diese durch den Wind in seine Richtung geweht wurden und als er schließlich in seiner heutigen Box stand, begann er gemütlich Heu zu knabbern.
„Na siehst du, es geht im blendend", meinte Celias Vater hörbar erleichtert und schmuggelte eine Banane zu Tex in die Box, der die Ohren spitzte.
„Du meinst doch nicht wirklich, dass Mama ihn verkaufen würde, oder?", sprach Celia ihre Angst aus, doch sie erhielt denselben skeptischen Blick wie immer. „Nein, Celia. Deine Mutter wüsste, dass du für dein Pferd einen Krieg anfangen würdest. Sie könnte keine Nacht mehr ruhig schlafen, wenn sie Tex verkaufen würde." Ihr Vater klopfte ihr auf den Rücken. „Aber es lebt sich wesentlich entspannter, wenn deine Mutter denkt, sie hätte alles perfekt unter Kontrolle. Komm, mein Liebling. Sehen wir uns ein bisschen um, während Tex seine Bewunderer für sich gewinnt. Ich bin sicher, es werden eine Menge Leute nach deinen Kontaktdaten fragen und du willst doch nicht etwa, dass sein Talent nie an Fohlen weitergegeben wird?"
„Die Umstände könnten andere sein, aber bestimmt wird es ein tolles Fohlen. Oder mehrere", gab Celia zu und ließ sich von ihrem Vater aus der Halle führen.

Die Messe war riesig. Überall tummelten sich die Menschen an den zahlreichen Ständen. Es gab allerlei zu kaufen, nicht nur für Pferd und Reiter, nein auch Hundeliebhaber und Landwirte kamen auf ihre Kosten. Celia musste sich beherrschen, ihren Vater nicht um ein neues Paar Hufglocken zu bitten und beinahe schwach geworden wäre sie auch bei einem Sattelpad mit goldenen Verzierungen.
Schließlich waren sie etwa in der Mitte der über eintausend Messeständen angekommen als ihr Vater die beiden Mädchen der Horselandranch erkannte. Sie standen vor einem teuer aussehenden Sattel und betrachteten diesen misstrauisch. Hinter ihnen stand ein Mann, der nur ihr Vater sein konnte und schaute uninteressiert auf sein Smartphone.
„Celia, das sind Chloe und Zoey Stiehler", meinte Celias Vater und reichte dem Mann neben den Mädchen die Hand. Dieser blickte nur kurz von seinem Smartphone auf. „Colin Campbell, was für eine Überraschung. Wieder im Lande", meinte er eine Spur zu überheblich. „Ich hoffe, die Geschäfte Ihrer Frau laufen gut?" „Ausgezeichnet, danke", erwiderte Celias Vater freundlich. Chloe und Zoey schauten unterdessen Celia an. „Wahnsinn, du bist doch die Besitzerin von Tex! Ich hab dich mal in der Zeitung gesehen und unser Vater erzählt oft, dass er mit deiner Mutter bekannt ist. Stimmt es, dass sie einen goldenen Lexus fährt?", sagte Chloe und klang beinahe neidisch. „Tex und du wart in der letzten Saison oft in den Zeitungen. Du hast seither ein wenig kürzere Haare, oder?"
Bevor Celia auch nur zur Antwort ansetzen konnte, mischte sich auch die zweite Schwester ein.
„Wir wissen natürlich, wer du bist", meinte Zoey und ließ ihre Augen über Celia fliegen. „Du gehst nach Texas Hill. Da muss es unglaublich sein."
„Ganz nett, ja", meinte Celia ausweichend. „Unsere Eltern scheinen sich gut zu kennen."
„Im selben Country Club", meinte der Vater der Schwestern geschäftlich und reichte Celia die Hand, mit einer Miene als würde sie einem Präsidenten vorgestellt. „Stiehler. Sie sind demnach die Tochter von Carolina. Wir waren schon zusammen auf der Uni, wirklich eine bemerkenswerte Frau, Ihre Mutter."
„Oh ja, so könnte man es nennen", murmelte Celia mehr zu sich selbst und rang sich ein Lächeln ab.

Zoey streckte die Hand aus und berührte Celias Jacke. „Die ist total hübsch, ist es ein Designerstück?", wollte sie wissen und zeigte sich begeistert. Die Schwarzhaarige nickte. „Allerdings, ich habe sie letztes Jahr von meinem Opa bekommen. Er war der Meinung, meine Sachen wären nicht angemessen für öffentliche Ereignisse."
„Wir wissen genau, was du meinst", unterbrach Chloe sie nickend. „Unsere Eltern möchten auch immer das Beste für uns."

Celia kam der Gedanke, dass sie sich mit den Schwestern nicht gerade auf einer Wellenlänge befand, doch nach ein paar Floskeln wurde sie mit ihnen warm. Die beiden waren Zwillinge und Chloe war die Ältere. Sie erzählten von ihren Pferden Pepper und Chili und der Ranch, wo ihre Pferde zuhause waren. Celia musste nichts ansprechen, die Zwillinge waren offenkundig bereit, ihr jedes einzelne Detail von Horseland haarklein zu erzählen.
„Vielleicht bekommen wir unsere Eltern überredet, uns auch nach Texas Hill zu schicken!", meinte Chloe gerade begeistert. „Tex ist doch nach dem Gestüt benannt?" „Das stimmt", nickte Celia langsam. „Er sollte nach Italien verkauft werden, aber ich habe meine Eltern so lange bequatscht, bis ich ihn haben durfte. Zuerst dachten sie, ein Hund würde es auch tun – tja, jetzt hab ich beides."
„Du hast einen Hund?", fragte Zoey offenbar hochinteressiert. „Ist das der von dieser berühmten Züchterin aus Spanien?"
„Nein, ihr redet von dem Hund meiner Mutter", erklärte Celia geduldig. „Meine Hündin heißt Flake und ist aus einem Tierheim ganz in der Nähe." „Wirklich?", fragte Chloe und gab sich wenig Mühe ihre Verwirrung zu überspielen. „Wieso der komische Name?"
„Nun Flake hat die Farbe einer Haferflocke", zuckte Celia die Schultern, während sie sich umschaute. Sollten nicht langsam die ersten Pferde auf die Wiesen? Eigentlich kamen alle halbe Stunde ein paar von ihnen an die Luft, natürlich alles nach strengen Plänen. Sonst fühlten sich Reiter schnell benachteiligt. Sie bemerkte, dass die Schwestern einen geringschätzigen Blick tauschten.

„Du musst uns unbedingt auf Horseland besuchen, ja? Wir könnten jemanden wie dich gebrauchen, die anderen sind meistens so entsetzlich langweilig und haben gar keinen Sinn für Mode oder sowas. Deine Haare sehen übrigens fantastisch aus, dass muss ein Profi gewesen sein. Wie gefallen dir meine, ich habe heute den Haarreif mit Swarovski Steinen. Geschenk von unserem Vater zu meinem letzten Gewinn beim Springturnier", meinte Zoey und zupfte an Celias schwarzen Strähnen. Diese war immer mehr der Meinung, die Schwestern interessierten sich viel mehr für ihren Namen und dem damit verbundenen Geld und den Annehmlichkeiten als für ihren Charakter. „Keine Ahnung, ich habe denselben Friseur wie meine Mutter, weil meine Haare ihr heilig sind. Heiliger als mein Geisteszustand." Die letzten Worte sagte die Schwarzhaarige so leise, dass die Zwillinge sie nicht hörten. „Also wo sind eure Pferde? Pepper und Chili. Ich würde sie gern kennenlernen."
„Die sind in ihren Boxen, wir reiten beim Springen mit. Alma rennt irgendwo bei ihnen rum, Molly sucht bestimmt mit Sarah etwas zu essen und wo Benny und Will stecken wissen wir nicht", antwortete Chloe gelangweilt. „Sie wollten nicht mitshoppen. Wie immer eigentlich."
„Benny gehört Horseland", sagte Zoey fast gleichzeitig und die beiden wurden leicht rosa im Gesicht. „Klingt ja nach ein paar interessanten Leuten", stellte Celia fest und wollte schon nachfragen, ob die Schwestern ihr die anderen Reiter von Horseland vorstellen könnten, als jemand auf sie zugelaufen kam.

„Sie sind Celia Campbell?", fragte der Junge außer Atem und aus seinem strohfarbenen Haar standen überall Gräser ab. „Ja, die bin ich. Was ist los?", wollte Celia wissen und er rang nach Luft.
„Es gab eine Verwechslung. Ihr Pferd, der Hengst... er wurde zu den Stuten auf die Wiese gestellt."


Moonlight over TexasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt