Kapitel 1

131 7 2
                                    

Arora – 24 Jahre alt  
7.09.663

Tief in mir drin brannte es.

Es war kein schmerzhaftes oder gar unangenehmes Brennen; ganz im Gegenteil. Viel eher war es wie eine Kerze, die im Dunkeln die einzige Lichtquelle war und in der unerträglichen Kälte ein wenig Wärme schenkte. Es war sanft und bestimmend, klein, aber stark.

Die Windbrise, die aus dem kleinen Fenster meines Zimmers den Weg zu mir fand, kitzelte meine Haut. Die Decke, die halbwegs auf meinem Körper lag, fühlte sich tonnenschwer an. Ich konnte mich nicht bewegen.

Das konnte ich nie, wenn ich nach der Auserwählung erwachte. Es dauerte immer einige Minuten, bis die Kontrolle meines Körpers wieder mir galt. Bis das Schicksal endgültig entschieden hatte, dass seine Wahl, mich am Leben zu lassen, die Richtige gewesen war.

Trotz des friedlichen Brennens in mir drin waren die Folgenden des inneren Kampfes noch deutlich zu spüren. Sie klebten an mir, wie Pollen an Bienen, fielen mit der Zeit eins nach dem anderen von mir runter, bis die Müdigkeit vorbei war, bis die Erschöpfung sich gelegt hatte. Etwas in mir drin wollte sich dieser Erschöpfung hingeben und für immer schlafen, doch mein Wille zu Leben war stärker als alles andere, also schüttelte ich es von mir ab.

Ich durfte mich nicht verlieren.

Ich musste mich entspannen – musste für mein Schicksal kämpfen. Also versuchte ich zu atmen, versuchte mich auf meine Finger zu konzentrieren, versuchte mein Herzklopfen wahrzunehmen.

Mein Körper fing an zu zittern.

Meine Fingerspitzen bewegten sich sanft.

Alles in mir drin drehte sich und mir wurde übel. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn und nun bewegte ich sogar meine Zehen.

Mit einem Wimpernschlag gewann ich die Kontrolle meines Körpers wieder. Das Licht blendete mich. Keuchend kniff ich meine Augen wieder zusammen und schüttelte den Kopf.

Noch nicht realisierend, dass ich die Auserwählung dieses Jahres wieder überlebt hatte, drehte ich meinen Kopf in May's Richtung und bereitete mich auf einen Anblick vor, der mich enttäuschen könnte. Die Enttäuschung, selbst auserwählt zu werden, war eine Sache, aber zu wissen, dass es auch die engsten Freunde treffen konnte, zerriss mich innerlich.

Mit mehr Verlust wollte ich nicht leben. Das konnte ich nicht mehr akzeptieren.

Also zögerte ich, als ich meine Augen wieder aufschlug, aber atmete erleichtert aus, als ich das lebendige Gesicht meiner Freundin wiedererkannte. Ihre Augenlider zuckten im Kampf des eigenen Erwachens und ihre Lippen waren zu einem Strich zusammengepresst.

Mit schweren Gliedmaßen zog ich die Decke von mir runter und drehte mich in ihre Richtung. Trotz meines Erwachens fühlte sich mein Körper leicht taub an, also fiel ich unsanft auf die Knie, als ich aus dem Bett rauskriechen wollte, und verfluchte mich innerlich für die Schwäche meines eigenen Körpers. Während ich weiterhin auf dem Boden kauerte und den Kopf kraftlos hängen ließ, hörte ich das sanfte Keuchen, das von May kam, und zwang mich wieder auf die Beine. Sie würde jederzeit aufwachen, und ich wollte nicht, dass sie mich so sah. So schwach und besiegt.

May's rotblonden Haare hingen von dem Bett runter und ich wollte meine Finger durch die einzelnen Strähnen streichen, doch ließ es sein, um sie nicht abzulenken. Es dauerte nicht lange, bis auch sie die Augenlider aufschlug und desorientiert durch die Gegend blickte. Unser Zimmer war zwar nicht so hell, da wir nur ein kleines Fenster hatten, und doch erschien es viel zu grell und unangenehm für die ersten paar Sekunden, die man wach wurde.

»Arora«, keuchte May und ich griff nach ihrer sanften Hand.

»Ich bin hier«, versicherte ich ihr und setzte mich auf ihr Bett.

Lieder des einsamen Waldes: Im Bann der EwigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt