Arora
17.09.668
»Hallo, Professor.«
»Guten Tag, Arora.«
Ich setzte mich auf Professor Abel's Couch und beobachtete ihn dabei, wie er die Tür schloss, mit der Hand durch seine dunklen Haare fuhr und sich dann zu mir drehte. Mit quälend langsamen Schritten kam er auf mich zu und setzte sich wieder neben mich. Dass er sich jedes Mal zu mir setzte gefiel mir, doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.
»Das Kleid steht Ihnen.«
»Oh.«
Das hatte ich nicht erwartet. Meine Wangen glühten wie Feuer, während ich versuchte, mein Mund geschlossen zu halten. Mit meinen Händen strich ich mir mein Kleid glatt und betrachtete den olivengrünen, geriffelten Stoff, der meine Beine ummantelte. »Vielen Dank«, war alles, was ich rausbringen konnte. Ich merkte, dass er mich ansah. Ich versuchte seinem Blick zu entweichen, doch es fiel mir sehr schwer. Das Verlangen in mir, in seine braunen Augen zu sehen, war größer denn je.
Und schließlich konnte ich ihm nicht widerstehen und erwiderte seinen Blick, der mich schmelzen ließ.
Die ganzen zwei Stunden saßen wir auf der Couch, nebeneinander, und lasen ein Buch zusammen. Er las irgendein Geschichtsbuch und ich las das Buch, was er mir am ersten Tag mitgegeben hatte. Wir wechselten einige Sätze miteinander, redeten ein wenig über die Bücher und lasen schließlich weiter.
Es fühlte sich angenehm an. Das Gefühl war mir unbekannt. Ich hatte davon gehört und gelesen, gesehen wie es vor meinen Augen passierte, doch niemals hatte ich es selbst gespürt. Ich fühlte mich wohl, fühlte mich gewollt. Als würde Professor Abel meine Anwesenheit ebenso genießen und als hätte er mich gerne bei sich. Vielleicht bildete ich es mir ein – vielleicht genoss er es gar nicht, sah mich nur als eine stinknormale Studentin. Eine, wie jede andere auch.
Aber ich fühlte mich nicht so.
Wir standen auf, packten unsere Bücher weg und liefen zur Tür. Er legte seine Hand auf die Klinke, ich bereitete mich auf den schnellen Abschied vor, doch er ließ die Tür geschlossen.
»Ist alles in Ordnung?«
»Ich möchte, dass Sie mich heute Nacht treffen.«
Das durfte doch nicht wahr sein!
»Wie bitte?«, keuchte ich.
»Sie wollten einen Beweis meiner Ehrlichkeit und das möchte ich Ihnen geben.« Gerade als ich was sagen wollte, sprach er weiter. »Das kann ich aber nicht in diesem Büro. Vertrauen Sie mir, wenn ich sage, dass mir die Entscheidung schwerfiel.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich. Welche Entscheidung fiel ihm schwer?
Er ließ die Klinke los und kam mir näher, bis ich schließlich seinen Atem spüren konnte. »Vertrauen Sie mir?«
»Das fällt mir im Moment schwer, wenn Sie so wirres Zeug reden!« Er lachte.
»Seien Sie heute Mitternacht im Aufzug. Ich werde dort auf sie warten.«
»Professor!«, flüsterte ich leise, als wäre es verboten und niemand dürfte uns hören. Ich konnte nicht glauben, was er von sich gab. Was für eine Art Beweis sollte das sein, dass er mir das in der Nacht zeigen wollte? War es nicht verboten, dass sich Studenten mit Professoren trafen?
Er ließ mir keine Bedenkzeit, denn schon öffnete er die Tür, sprach seinen Abschied aus und erwartete dasselbe von mir. Ich zögerte einen Moment, doch er lächelte mich nur an - als wäre nichts los. Als wäre das wirklich bloß ein Abschied ohne Hintergedanken.
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Lieder des einsamen Waldes: Im Bann der Ewigen
FantasyIn einer von der Natur bestimmten Welt existieren Internate auf der ganzen Erde, in denen Menschen in gläsernen Vitrinen geboren werden. Ihre Bestimmung ist düster: Sobald sie das siebte Lebensjahr erreichen, besteht für sie die Chance, auserwählt z...