Kapitel 33

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Avana

11.06.652


Als ich die Holzhütte betrat sah ich Isadora auf einem der Stühle sitzen. Die großen Fenster hinter ihr zeigten ein Bild der Gemeinschaft, der schönen Landschaft und im Hintergrund die großen Mauern, die uns versteckten. Es war dunkel geworden und das Mondlicht schenkte ihr einen zarten Glanz, als wäre sie dafür geschaffen, in der Nacht wie ein leuchtender Stern auszusehen. Sie hatte ihre Beine übereinander gekreuzt und der schwarze, leicht durchsichtige Schleier, den sie sich umgewickelt hatte, entblößte ihre weißen Beine und die weiße Haut, die herausstach. Der Anblick der Winthra in den Traditionskleidern war unerwartet, aber ich sah ihr nun an, dass sie die Herrscherin dieser Gemeinschaft war.

Sie gehörte hierher. Es war ihr Dorf, ihre Zone, ihre Leute, die sie beschützte, über die sie wachte und herrschte. Und ihr Blick war auf mich gerichtet, erwartungsvoll, als wolle sie, dass ich ein Teil ihrer Gemeinschaft wurde. Der Geruch vom süßen Gebäck umhüllte den Raum. Auf dem kleinen Tisch neben ihr befand sich eine Teekanne und ein Teller mit Gebäck und Keksen. Mein Magen knurrte und ich ließ meinen Blick wieder zu ihr wandern, wartend, denn ich hatte nicht vor, den ersten Schritt zu machen.

Sie ließ mich nicht lange warten. »Komm«, sagte sie. »Auf dich habe ich gewartet. Du bist fünf Minuten zu spät.«

Mit langsamen Schritten lief ich auf den freien Stuhl neben dem Tisch zu und setzte mich vorsichtig hin. Meine Beine schmerzten und ich war bereit, mich gleich in mein Zimmer zu begeben und nach diesem langen Tag endlich zu schlafen. »Ich dachte, ich habe noch genug Zeit«, murmelte ich.

Mein Magen knurrte erneut und peinlich berührt umschlang ich ihn mit meinen Armen. In der letzten Zeit hatte ich nicht genug gegessen und jetzt das süß riechende Gebäck vor meiner Nase zu haben, aber es nicht essen zu können, quälte mich. Ausatmend lehnte ich mich hin. Isadora betrachtete mich und ihre Lippen zuckten nach oben.

»Iss ruhig.«

Ich schüttelte den Kopf. »Es ist nicht mein.«

»Meinst du, ich kann so viel Gebäck ganz alleine essen?« Ein leises Lachen entwich ihrer Kehle. »Iss. Es ist größtenteils für dich gedacht.«

Meine Lippen spalteten sich und zögerlich griff ich nach einem Gebäck, der ganz oben lag. »Was ist das drauf?«

»Haselnüsse. Von den Bäumen außerhalb der Gemeinschaft. Innendrin ist Schokoladenmousse und es schmeckt hervorragend. Los, probiere es!«

Schokolade? »Ich habe noch nie...«, begann ich, doch ich verstummte. Vieles, was ich in den letzten Wochen getan hatte, hatte ich noch nie zuvorgetan. Und ich wusste, dass ich vieles, was ich nun in der Zukunft tun und essen und sehen würde, auch noch nie zuvorgetan hatte. In der Gemeinschaft würde ich mein Leben neu erfinden, neu erleben und ich wusste nicht, ob ich dafür bereit war.

Das, was ich kannte, war mir lieb gewesen. Es war mir vertraut gewesen. Ein Leben, das sich nicht änderte. Dieselben Menschen, dasselbe Essen, dieselben Bäume um mich herum. Jedes Mal, wenn Gerda jagen ging, fragte ich sie, ob ich mitkommen dürfte. Ich hatte immer wissen wollen, wie die Außenwelt war, doch Gerda hatte es nie erlaubt und als Kian endlich alt genug gewesen war, war er immer mit ihr mitgegangen, wenn sie Hilfe gebraucht hatte. Mich hatte sie in der Hinsicht nie gebraucht.

Irgendwann hatte ich das Gefühl gehabt, dass die Außenwelt für mich tabu gewesen war. Ich hatte geglaubt, dass ich niemals die Zone verlassen würde und nun, da ich heute so weit weg war, wollte ich die Zone zurück. Mein vertrautes Heim. Vielleicht würde ich die Zone irgendwann wiederfinden, und mich wieder dort einnisten, aber es wäre nicht gleich ohne die Menschen, mit denen ich dort mein ganzes Leben verbracht hatte.

Lieder des einsamen Waldes: Im Bann der EwigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt