Kapitel 7

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Avana

21-29.05.652

In den acht Tagen, die ich alleine in der Zone verbrachte, hatte ich an jedem Tag Angst verspürt. Nicht dauerhaft und nicht immer die gleiche Art von Angst, aber sie war da gewesen und prägte mich mit jedem Tag mehr.

Am ersten Tag hatte ich in der Dunkelheit Angst. Diese Angst war mir bekannt und die verspürte ich immer, wenn Gerda und Kian jagten. Am zweiten Tag machte die Stille mir Angst. Sie war so laut, aber doch so leise. Mir fehlte Kian, der mich zum Lachen brachte und Gerda, die meine Wange streichelte, wenn ich Angst hatte. Ich versuchte, tapfer zu bleiben und redete mir ein, dass sie am nächsten Tag wieder da wären. Am dritten Tag kam die weitere Angst dazu, dass den Beiden etwas zugestoßen war. Sie waren nicht aufgetaucht, was sehr unüblich war, und meine Angst war riesengroß, doch diesmal redete ich mir ein, dass es vielleicht länger dauerte, da sie so viele Vorräte besorgten, wie noch nie zuvor. Am vierten Tag weinte ich, weil sie immer noch nicht da waren und ich großen Hunger hatte und es so dunkel und still war und was, wenn ihnen wirklich was zugestoßen war? Meine Gedanken flossen und hörten nicht auf. Ich konnte mich nicht auf meine Bücher konzentrieren, hatte Angst, mein Baumhaus zu verlassen und versuchte nicht daran zu denken, dass ich nur noch sieben Dosen hatte, fünf davon mit Bohnen und die restlichen zwei mit Haferpüree. Was wäre, wenn sie gar nicht zurück kämen? Am fünften Tag überlegte ich, mein Essen zu rationieren, wie Gerda es mir beigebracht hatte zu tun, aber mein Magen knurrte zu sehr und ich aß an diesem Tag zwei Dosen. Ich hätte noch eine dritte und vielleicht sogar vierte Dose essen können, doch ich versuchte das Essen soweit zu sparen, wie ich nur konnte. An diesem Tag fühlte ich mich so einsam wie noch nie zuvor. Am sechsten Tag dachte ich darüber nach, selbst auf die Jagd zu gehen und dieser Gedanke machte mir unheimlich Angst. Ich hatte die Zone noch nie verlassen und konnte gar nicht jagen – was würde mich dort erwarten? Der Tod kam mir in den Sinn und ich weinte mich diese Nacht in den Schlaf.

Am siebten Tag, da war ich mir sicher. Sie würden nicht mehr zurückkehren, sie konnten nicht. Entweder waren sie tot, oder sie brauchten Hilfe. Sie brauchten mich. Ich kletterte den Baum hoch, den Kian mir gezeigt hatte, schnappte mir einige Waffen und den zerrissenen Schlafsack, eine Taschenlampe, ein Seil und stopfte sie in meinen Rucksack, zu dem restlichen Essen. Ich suchte nach weiteren nützlichen Sachen, die ich gebrauchen könnte, aber fand nichts mehr. Sie hatten wahrscheinlich alles andere mitgenommen. Ich wollte meine Bücher mitnehmen, aber sie waren zu schwer und ich hatte nicht genug Platz in meinem Rucksack.

Ich verweilte einige Stunden auf meinem Bett, körperlich bereit zu gehen, aber emotional zu unsicher, zu ängstlich, zu hoffnungslos. Mein Magen knurrte und ich aß die erste Dose Bohnen meines Tages. Ich verspürte danach dennoch riesengroßen Hunger, als hätte ich nichts gegessen und versuchte diese Leere zu ignorieren. Tief in mir drin hoffte ich, dass sie nun auftauchen würden, während ich auf meinem Bett saß. Meine Angst war zu groß. Was würde passieren, sobald ich meine sichere Zone verlassen hatte? Kian redete von den ganzen großen Tieren – sie würden mich alle töten. Zwar hatte ich immer mit ihnen jagen gehen wollen, wollte es doch aber nie alleine tun. Ich wollte von ihnen lernen, mit ihnen die Wälder außerhalb der Zone entdecken, mit ihnen die Tiere sehen, die ich benannt, aber nie gesehen hatte – nicht ohne sie. Aber ich musste los, ich musste versuchen, sie zu finden, und dabei musste ich Essen für mich finden. Ich musste jagen, denn wenn ich sie nicht finden konnte, musste ich Essen haben, um zu überleben, falls sie jemals zurückkamen. Es wurde langsam dunkel und ich verfluchte mich für mein Zögern. In der Dunkelheit wollte ich nicht jagen gehen. Gerda meinte, für jemanden, der keine Erfahrung hatte, wäre die Dunkelheit der schlimmste Feind. Also legte ich meinen Rucksack ab, legte mich auf mein Bett und diesmal verdrängte ich die Tränen, die sich aufstauten. Ich musste stark bleiben.

Am achten Tag wachte ich auf und machte mich auf den Weg. Ich erlaubte keine Gedanken, keine Gefühle, keinen Hunger und keinen Durst. Ich hatte fünf Wasserflaschen mitgenommen, für den Fall, dass ich einige Tage hierbleiben musste und überleben wollte. Ich ging in die Richtung, in die Gerda und Kian immer liefen.

Irgendwann, da sah ich die Zone nicht mehr. Ich markierte die Bäume, um mich nicht zu verirren und lief immer weiter. Alles sah so aus, wie bei uns in der Zone. Die Bäume waren dick und dicht, groß und schattig. Was anders war, waren die Bäume, um denen keine Seile waren und die Fußspuren, die auf dem Boden nicht zu sehen waren. Die Erde war hier dunkler, feuchter und sie roch anders. Ich hatte das Gefühl, die Bäume wurden immer dichter und dichter. Als mein Hals zu trocken war und mein Bauch schmerzte vor Hunger, musste ich eine Pause einlegen. Ich lief stundenlang und es würde bald so dunkel werden, dass ich nichts mehr erkennen würde, dadurch, dass sowieso sehr wenig Sonne durch die ganzen Bäume rein schien. Ich entschied mich dafür, eine Pause einzulegen und einen Baum hochzuklettern. Aus meinem Rucksack holte ich ein Seil hervor, band ihn so gut ich konnte um den Baum, befestigte ihn an meinen Gürtel und kletterte hoch.

Als ich einen großen Ast entdeckte, setzte ich mich da drauf und entspannte mich körperlich. Dafür, dass der Baum so hart und rau war, fühlte es sich unheimlich gut an, mich da dran zu lehnen und nicht mehr laufen zu müssen. Die Schuhe die ich anhatte, waren mir ein wenig zu eng und drückten fürchterlich, aber Gerda hatte mir keine anderen finden können.

Ich hatte noch kein einziges Tier sichten können. Ebenfalls hatte ich keine Spur von Gerda und Kian gesehen, doch ich wollte meine Hoffnung nicht verlieren.

Meine Hoffnung, die sowieso kaum existierte.

Lieder des einsamen Waldes: Im Bann der EwigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt