Arora
09.10.668
Montag
Lange Zeit zum Nachdenken hatte ich nicht, denn ich war wieder neben Abel, der mich panisch ansah. »Was tust du?«, zischte er, meine Arme greifend und mich zurückschiebend. »Verschwinde! Ich werde sie aufhalten. Du musst gehen und die Rebellion finden!«
»Nein«, protestierte ich. Die Männer waren noch nicht bei uns – sie waren nun langsamer, als würden sie uns nicht fürchten. Als hätte all das keine Eile. »Ohne dich gehe ich hier nicht weg.«
Mein Herz schlug noch schneller. Abel sah mich an, als hätte ich ihm das Herz rausgerissen. »Du wirst es ohnehin nicht schaffen, wenn du tot bist. Arora, ich meine es ernst, verschwinde. Ich halte sie auf. Geh!«
»Ich bleibe!« Meine Stimme klang selbstbewusst, doch in mir drin tobte es.
Ich konnte nicht kämpfen.
Ich hatte keine Ahnung, was mir damals beigebracht wurde.
Die beiden Männer setzten Fuß auf die Brücke, ließen ihre Tiere stehen und kamen auf uns zu. Abel drückte meine Hand, schob mich hinter sich. »Meine Herren«, rief er, »seid Ihr die Hüter dieser Brücke?«
Die beiden Männer hatten dunkelgrüne Hüte auf und dazu passende dunkelgrüne Anzüge mit goldenen Verzierungen, die an ihren Armen und ihren Brustkörben in der wenigen Sonne leuchteten. Sie sahen aus wie Soldaten der damaligen Zeit. Einer von ihnen hatte dunkle Haut, der andere war weiß wie Schnee. Beide waren trocken – keine Spur von dem Regen, der schon seit Stunden auf uns hinabnieselte. Als hätte es keinen Einfluss auf sie. In der Hand hielten sie jeweils ein Blatt Papier, das sie, als sie direkt vor uns standen, Abel und mir reichten.
»Die Winthra erwartet euch nicht«, sagte einer von ihnen, die Stimme so dunkel wie die Nacht. Meine Haut prickelte, mein Herz schmerzte. »Steckt euch dieses Blatt Papier ein, dann wird die Winthra informiert, dass ihr ihre Brücke zu überqueren versucht, ohne die Erlaubnis der Herrscherin zu haben.«
»Ich«, murmelte ich, mich nach vorne zwängend, auch wenn Abel's Hand mich schmerzhaft davon zu hindern versuchte, »habe die Erlaubnis eurer Winthra.«
»Ach?«, sagte der Linke von ihnen – der, mit der hellen Haut. »Das ist unmöglich. Sonst hätte sie uns informiert.«
Zögerlich nagte ich an der Innenseite meiner Unterlippe und wollte ansetzen, um irgendwas zu sagen, doch Abel kam mir zuvor: »Wir wollen kein Ärger verursachen. Die Winthra ist bestimmt schwer beschäftigt und hat es bloß vergessen zu erwähnen. Lasst uns durch, wir versprechen, dass wir gute Absichten haben.«
Der Linke lachte spöttisch, während der Rechte wie gebannt auf mein Gesicht starrte. »Beleidige nicht unsere Winthra als unzuverlässige Person. Sie vergisst niemals.«
Während Abel sie weiter zu täuschen versuchte, der eine Mann weiterhin seine Blicke nicht von mir lösen konnte, da spürte ich ein Ziehen an meinem Finger. Ein leichtes Brennen, ein ungewöhnliches, aber doch bekanntes Gefühl, das etwas Unerklärliches in mir auslöste.
Wie in Trance streckte ich ihnen meine Hand entgegen, und der Goldring an meinem Finger leuchtete dunkelgrün auf. »Lasst uns durch, ich gehöre zu euch«, verließ meine Lippen, noch bevor ich mich entschieden hatte, etwas zu sagen.
Die Männer stockten, zerknüllten die Papiere und warfen es zu Boden. Während der eine immer noch wie gebannt in meine Augen blickte, als wäre ihm alles andere egal, griff der andere Mann nach meiner Hand, um den Goldring näher zu betrachten.
»Avana?«, flüsterte er und ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen, ehe ich meine Hand wieder an mich riss und mich erneut hinter Abel stellte. »Nun gut, wir nehmen euch mit.«
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Lieder des einsamen Waldes: Im Bann der Ewigen
FantasyIn einer von der Natur bestimmten Welt existieren Internate auf der ganzen Erde, in denen Menschen in gläsernen Vitrinen geboren werden. Ihre Bestimmung ist düster: Sobald sie das siebte Lebensjahr erreichen, besteht für sie die Chance, auserwählt z...