Kapitel 13

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16.09.663

Ich hatte eine Idee. Zwar war ich mir nicht sicher, ob es eine gute Idee war, aber ich musste es riskieren, um mehr zu erfahren. Professorin Crimson hatte uns gerade von ihrer Belehrung befreit und ich schaute zu, wie alle Studenten aus meinem Jahrgang sich durch die engen Türen des Lehrraumes drängten, da sie nun endlich was essen wollten.

Mein Magen knurrte ebenso, schließlich war der halbe Tag schon um und ich hatte immer noch nichts gegessen, doch ich musste noch bleiben, um mit Crimson zu sprechen. May stand noch ein wenig unbeholfen neben mir, blickte mich fragend an.

»Du kannst schon mal gehen, ich möchte kurz mit Crimson reden«, teilte ich ihr schnell mit.

»Weshalb?«, fragte sie und ihr Ton verriet mir, dass sie es schon ahnte.

»Das erzähle ich dir gleich. Dauert nicht lange!« Mit diesen Sätzen ließ ich sie stehen und lief auf Crimson zu, die sich gerade auf ihren dunkelbraunen hölzernen Schreibtisch hinsetzte, der voll mit Unterlagen war. Sie zupfte an ihrem Dutt herum, zerzauste ihre dunkelbraunen Haare. Mich hatte sie noch nicht bemerkt. Erst als ich mir ein Stuhl schnappte und mich vor ihr hinsetzte, wurde sie auf mich aufmerksam.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie und räusperte sich. Sie schien unruhig. Als wüsste sie schon, weshalb ich hier war.

»Ich möchte etwas wissen, und Sie müssen bitte ehrlich mit mir sein«, verlangte ich. Ich stellte sicher, dass ich ihr in die Augen schaute, sie mit meinen Augen, meinem Blick, fesselnd.

Sie holte fast unmerklich tief Luft, zog ihre Augenbrauen zusammen und spitzte leicht ihre dünnen Lippen. »Machen Sie es schnell.«

Nun musste ich meine Idee verwirklichen. Ich musste sie fragen, ob es stimmte, was der Professor über die Rebellion sagte. Dass ein Unsterblicher gestorben war, dass die Obersten die Rebellion versuchten zu vertuschen.

Es fiel mir schwer, doch ich musste nachfragen. Ich musste sicherstellen, dass ich ihr weiterhin vertrauen konnte. Sie war meine Lehrerin gewesen, als ich jünger war und nun war sie meine Professorin. Als ich Studentin wurde, hatte sie ihren Dienst auch getauscht. Damals hatte sie gescherzt, dass sie es wegen mir gemacht hatte.

Um bei mir zu sein, über mich zu wachen.

Wir hatten eine enge Bindung zueinander und ich vertraute ihr blind. Sie war für mich da gewesen, als Odette auserwählt wurde. Doch sie hatte mir nichts über die Rebellion erzählt und wenn sie es jetzt verleugnen würde, wenn ich sie fragte, wusste ich nicht mehr weiter. Ich wüsste dann nicht, wem ich mehr glauben konnte.

Ich musste es aber tun.

»Arora, ich habe nicht ewig Zeit, ich muss die nächste Belehrung vorbereiten.« Ich öffnete meinen Mund, versuchte einen Laut rauszupressen, doch nichts kam. Ich traute mich einfach nicht – es fiel mir schwerer als gedacht. Während ich mich zu fassen versuchte, brach ich unseren Blickkontakt. »Sie können auch später nochmal kommen, wenn es Ihnen jetzt schwerfällt.«

Ich hoffte, dass sie mir die Wahrheit sagen würde. Ich vertraute ihr. Sie würde mich nicht belügen.

»Wissen Sie...« Mach weiter! »Wissen Sie etwas über eine Rebellion, die es vor unserer Zeit gab? Die Rebellion der Allsterblichen, die einen Unsterblichen töteten?«, presste ich so schnell ich konnte raus. Mein Atem beschleunigte sich, nun da ich Informationen preisgegeben hatte, die ich normalerweise nicht wissen sollte. Ihre Mimik änderte sich kein bisschen. Sie zeigte mir keinerlei Emotionen.

»Wer erzählt Ihnen sowas?« Ihre kühle Stimme verschreckte mich nahezu.

»Ich habe ... Professoren dabei belauscht, wie sie darüber redeten. Ich weiß, wir sollen niemanden belauschen und uns stets bemerkbar machen, jedoch konnte ich nicht fassen, was ich da hörte.« Die Lüge brannte ein wenig in meinen Ohren. Hier war ich, wie ich mir die Wahrheit von Crimson erhoffte, während ich sie selbst anlog. Ich war eine Heuchlerin.

»Sie haben Professoren dabei belauscht? Welche Professoren reden über sowas, vor allem wenn Studenten in der Nähe sind?« Sie schaute nachdenklich zu Boden und ich fragte mich, was sie damit meinte. Bestätigte sie gerade etwa, dass Professoren darüber nicht reden durften? Dass das stimmte?

»Also stimmt es?«, fragte ich, mein Herz schneller klopfend.

»Ach nein!«, versicherte sie sofort und wedelte mit ihrer Hand. »Es gab nie eine Rebellion. Wenn, dann würden wir das mit in die Belehrungen einbauen. Das würde doch die ganze Geschichte verändern. Ein Unsterblicher, der starb? Unsinn, Arora!« Sie schnaubte und lehnte sich zurück.

Log sie mich an? Sagte sie die Wahrheit? Oder wusste sie es ganz einfach nicht? Ich konnte es nicht einschätzen.

»Welche Professoren haben darüber geredet?«, verlangte sie zu wissen.

»Ich habe sie nicht gesehen, nur gehört. Und die Stimmen habe ich nicht erkannt, tut mir leid.«

Prüfend blickte sie mich an, während ich sie weiterhin belog. Sie schüttelte den Kopf, griff nach einem Stapel der Unterlagen und fing an, sie zu richten. Sie blickte mich nicht mehr an. »Ich weiß nicht, was Sie geglaubt haben zu hören, aber ich kann versichern, dass es keine Rebellion gab und dass keine Unsterblichen dabei gestorben sind! Es mag sein, dass ich keine Oberste bin und vor unserer Zeit nicht gelebt habe, aber ich weiß es ganz genau.«

Ich nickte. Ich hatte genug gehört. Sie würde mir nichts anderes sagen, als das, was sie nun gesagt hatte. Wenn ich sie weiterhin ausfragte, würde sie sich nur wiederholen. Es machte also keinen Sinn. »Okay, danke, Crimson. Ich sollte nun besser gehen, Sie müssen schließlich Ihre nächste Belehrung vorbereiten und ich – ich muss was essen gehen.« Ein kleines Lächeln schenkte ich ihr noch und ohne weiter abzuwarten, stand ich auf, hob den Stuhl auf, auf dem ich saß und stellte ihn wieder an seinen Platz. Noch bevor ich die Tür öffnen konnte, hörte ich Crimson meinen Namen rufen.

Ich drehte mich um, und da stand sie, mit ihren Fingerspitzen an den Schreibtisch gedrückt. »Sie vertrauen zu schnell.«

Ich drehte mich zu ihr, verwirrt über ihre Aussage. »Wem vertraue ich zu schnell?«

Ihr Brustkorb bewegte sich deutlich, sie atmete schnell. Dann schüttelte sie den Kopf. »Woher haben Sie wirklich von der Rebellion gehört?«

Meinte sie Professor Abel? Wusste sie etwa, dass er mir das erzählte? »Crimson-«, begann ich, doch sie unterbrach mich.

»Die Rebellion existierte nie. Es gab einige allsterbliche Menschen, die unseres Gleichen nicht mochten, doch niemand rebellierte gegen uns. Und niemand, wirklich niemand, hat je einen unsterblichen Menschen töten können. Lassen Sie sich nichts anderes einreden.«

»Natürlich, Professorin.«

Ich machte die Tür auf und verschwand aus ihrem Lehrraum, ohne sie noch einmal anzugucken.

Lieder des einsamen Waldes: Im Bann der EwigenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt