Ein Trend und ein Abgeordneter (18)

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Alice starrte dem Auto fassungslos nach, als es von dem Parkplatz des Krankenhauses donnerte.
Copper hatte es nicht nur geschafft ein Auto zu stehlen, sondern auch das mit Abstand peinlichste von allen zu nehmen.
Das Teil war vermutlich älter als Marianne, hatte ein scheußliches Senfgelb und war über und über mit Aufklebern von Blumen und MyLittle Ponys verschandelt.
Wem auch immer das gehörte, Copper hatte ihm gerade einen riesigen Gefallen getan.

"Was... War... Das?", fragte Tamara keuchend nach.
"Das war Copper in der peinlichsten Scheißkarre, die je das Angesicht der Erde gequält hat.", antwortete Alice wütend. Hoffentlich holte Marianne, die das Auto lautstark singend verfolgte, den Metalldeppen ein.
Sie wollte ihr verdammtes Handy wieder!
Edres hatte sich irgendwie am Türgriff des senfgelben Monstrums festzuklammern können.
Vielleicht würde es ihr ja sogar gelingen ihren Klassenkameraden aufzuhalten.

"Das... das reicht!", wütete Ellelib, der jetzt auf dem Boden stand und irgendwie noch kleiner wirkte, "Ich sag es Luri! Ich sag es..."
"Du sagst es dEiNeR MaMa!", äffte Tamara nach.
Der Fee hatte anscheinend nicht verstanden, dass man sich über ihn lustig machte, denn er nickte zustimmend.
"Genau! Ich sag es meiner Mama! Die ist Generalleutnant! Die weiß, was zu tun ist!"
"Juuunge, was?"
Alice war die Kinnlade herunter gefallen.
"Deine verdammte Mutter ist beim Militär? U...und Generalleutnant? Ist das über General, oder was?"
Der Fee verdrehte die Augen. "Was? Bei Malus und Malitia... nein! Sie ist einen Rang unter dem General Fionnlaoch. Das weiß man doch! Außerdem hat Umbrae kein Militär mehr. Seit Ewigkeiten schon nicht mehr. Wir haben eine Garde!"

Wilhelm legte den Kopf schief.
"Ihr habt kein Militär? Nicht ein Mal ein Kleines? Und es ist noch niemand bei euch einmarschiert? Das klingt... unwahrscheinlich. Ich würde sagen, ihr braucht ein Militär oder ihr werdet früher oder später fett überrannt.", kommentierte er.
Ellelib schüttelte resigniert den Kopf. "Neiiiiin. Keiner der 24 Kontinente hat ein Militär. Das ist verboten, damit es nicht zu Krieg kommt. Und das klappt auch... fast immer... meistens... also ziemlich oft."
"Ohhhh.", machte Tamara besorgt, "Das heißt dass eine fremde, möglicherweise flauschige, Macht einfach auf eurem Planeten einmarschieren und sich ohne große Gegenwehr die Weltherrschaft unter den Nagel reißen könnte! Ihr müsst euch in acht nehmen!"

Ellelib stöhnte frustriert und klatschte sich die Hand auf die Stirn. "Nein! Erstmal muss man da hin kommen und dann gibt es immer noch die Garden."
"Ich würde mir trotzdem ein Militär anschaffen. Irgendjemand muss ja eure berühmten Fußballer auf Auswärtsspielen vor den Hooligans beschützen!", lenkte Wilhelm ein. "Das macht die Garde... warte, nein, wir spielen gar kein Fußball!"
"In was für einer blöden Welt lebt ihr denn? Kein Fußball! Das ist ja richtig beschissen! Wetten ihr seid voll am sterben, vor Langeweile!"
"Wir haben andere Spiele! Zum Beispiel Lexquo, die beste Sportart aller Zeiten und für immer im ganzen Universum... wieso rechtfertige ich mich eigentlich vor dir? Du hast gar keine Ahnung! Ich gehe Mama benachrichtigen!", zischte Ellelib und flog in Richtung des Dachs des Krankenhauses davon.

Tamara stupste Alice in die Seite. "Der zieht auch den Schwanz ein. Er könnte Marianne und Copper ja auch selber verfolgen. Das scheint zu einem Trend zu werden."
Alice nickte eifrig. "Lass es uns zu einem richtigen TikTok-Trend machen, sobald ich mein Handy wieder habe!"
"Jaaaa voll! Mit irgendwas von Billie Eilish oder Finnel! Was berühmtem! Da bekommst du gleich deine verlorenen Follower wieder!"
Wilhelm wirkte verstört. "Ihr wollt eine Tanzchallenge dazu machen?"
"Ja!", riefen die Mädchen gleichzeitig, umarmten sich quietschend und sprangen aufgeregt auf und ab. Der Fußballer wich einige Schritte zurück, als ob er fürchtete sich anzustecken.

Keine zehn Minuten später war die Planung des kommenden Trends in vollem Gange.
Wilhelm hatte sich derweil in das Treppenhaus zurückgezogen und erklärte seiner Mutter auf WhatsApp, wieso er nach der Untersuchung seines Armes verschwunden war.
In grausig langen Sprachnachrichten, die sich kein Mensch von Verstand tatsächlich reinziehen würde, behauptete er ein paar Freunde getroffen zu haben, und jetzt mit ihnen vor dem Krankenhaus zu spielen.
Dabei machte er ein Gesicht, das nur zu deutlich machte, dass er sich selbst kein Wort glaubte.

"Und dann reiben wir unsere Fäuste vor den Backen, als würden wir weinen, springen in die Luft und halten unsere Hände hoch.", schlug Alice höchst konzentriert vor, während sie ihrer besten Freundin die Tanzabfolge demonstrierte.
Tamara nickte mit zusammengekniffenen Augen, wie ein Juror bei einer Castingshow. "Guuut. Und dann machen wir einen Hüpfschritt nach links, bei dem wir ein bisschen im die Hocke gehen. Dabei halten wir die linke Hand über die Augen, weil wir ja nach Gefahr suchen. Dann rechts."
Die Mädchen brachen vor Aufregung in wildes gequietscge aus, das an Möwen auf gewissen Substanzen erinnerte, und sprangen händchenhaltend auf und ab.
Wilhelm verkrümelte sich schaudernd noch tiefer in die Schatten.

Gerade wollte Alice vorschlagen ihren TikTok-Tanz mit einem dramatischen Fall auf den Boden zu beenden, als Ellelib wieder auftauchte, mit drei weiteren Dämonen im Schlepptau. Die, die direkt hinter ihm flog war ebenfalls eine Fee und eindeutig seine Mutter. Sie war ebenfalls nicht einmal einen Meter groß und hatte schulterlange, lilane Locken mit einer pinken Strähne im Ponny. Ihre Haut war noch dunkler, als die ihres Sohnes und ihr Gesicht, falls das überhaupt möglich war, noch ernster. Sie steckte in einer grauen Rüstung und trug einen Umhang und einen, aus scharfkantig aussehenden Metallplatten bestehenden Rock. Sie hatte die gleichen Insektenflügel und Facettenaugen, wie ihr Sohn und ebenfalls die gleiche militärische Körperhaltung.

Neben Ellelibs Mutter schwebte eine magere, junge Frau in einem schmutzigen und zerrissenem Kleid mit einem Diadem auf dem kahlen Kopf. Sie wirkte genervt, fast so, als hätte sie gerade besseres zu tun. Ihre leuchtenden, gelben Augen fixierten ein kleines, blaues Büchlein und sie drehte einen roten Fineliner zwischen den spindeldünnen Fingern. "Immer das gleiche, mit dem Kind. Kann sich nicht benehmen.", murmelte sie und markierte aggressiv eine Passage in dem Buch.
Sie wirkte wie eine Lehrerin und schien wütend und bedrohlich zu sein.
Alice beschloss spontan, dass sie sich nicht mit der anlegen wollte.

Der dritte Dämon konnte nicht fliegen, was seinen Begleitern allerdings völlig egal war, wenn man ihren Mienen glauben schenken konnte. Unter unverständlichen Flüchen stolperte er, an einem hoffnungslos verwirrten Wilhelm vorbei, aus dem Treppenhaus. Er war groß, bestimmt drei mal so groß wie Ellelib, und hatte dunkelblaue Haut, die sich etwas mit seinem bodenlangen, mintgrünen Haar biss, das er zu kunstvollen Zöpfen geflochten hatte. Seine Ohren waren spitz und lang, so lang, dass sie, wie dünne Schläuche, seitlich an seinem Kopf herab hingen. Von seiner hohen Stirn starrten vier Augen missbilligend herab. Er trug eine schlichte Robe mit schauerlich vielen Knöpfen und ein Klemmbrett. Bestimmt war er eine grässliche Spaßbremse.

Ellelib flatterte wichtigtuerisch heran und landete vor Alice und Tamara. "Das sind meine Mutter, Generalleutnant Lohe-Kärbes, Mariannes Nachbarin, die Kriegsheldin Professor Luri und der zuständige Beamte für Kommunikation mit den europäischen Dämonenjäger-Gilden aus Nebel, Penbel.", erklärte er.
"Ich möchte bitten, junger Dämonling, es heißt Abgeordneter Penbel.", ließ der große Klemmbrett-Typ mit einem nervigen Singsang in der Stimme verlauten.
Insgeheim gab sich Alice recht. Der Typ war eine Spaßbremse. Bestimmt hatte er keine Freude und seine Familie kam nur aus Mitleid zu seinen Geburtstagsfeiern.

"Hey warte!", warf Tamara plötzlich ein, "Dämonenjäger? Heißt das, dass ihr Copper, Marianne und Edres jetzt einfach umbringen lasst?"
Penbel, nein warte, Abgeordneter Penbel lachte schrill auf.
"Nein, natürlich nicht, kleines Menschenmädchen. Wir lassen sie lediglich einfangen und zurück bringen. Den Kindern wird nichts geschehen."
"Und dann bekomme ich mein Handy wieder!", frohlockte Alice breit grinsend und versuchte das Bedürfnis diesen aufgeblasenen Penbel zu schlagen, zu unterdrücken.
Dieser schüttelte den langgezogenen Kopf.

"Nein, natürlich nicht, es wird als Beweismittel eingezogen."
"Waaaaaas?!", kreischte Alice panisch.
Luri verdrehte die Augen und schürzte die Lippen. Langsam packte sie das Buch weg. "Das wird wohl kaum nötig sein."
"Oh doch", erklang der Singsang.
"Ich bring dich um!", brüllte Alice und setzte zum Angriff an.
"Hol ihm dir", fauchte Luri mit funkelnden Augen. Lohe-Kärbes lachte.

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