Fräulein Alevtina packt aus (25)

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Fräulein Alevtina schoss in das Klassenzimmer der 8b, wie eine in schwarze Spitze gekleidete Atomrakete. Es war die letzte Stunde des Tages: eine einzelne Stunde Mathematik, und Marianne fühlte sich noch weniger lebendig, als sie in ihrem toten Zustand war.
"Kinder!", brüllte Alevtina, die irgendwie nie heißer zu werden schien, und knallte das Klassenbuch auf den Tisch, "Dass ihr euch aber gerade hinsetzt!"
Müdes Gequängel und das widerwillige Rücken von Stühlen erfüllte den Raum. Jetzt schien die strenge Lehrerin um einiges zufriedener.

"Kommen wir zu einer sehr traurigen, ja beinahe tragischen Nachricht", setzte das Fräulein Alevtina an und sah mit bedeutungsvollem Blick in die Runde. Marianne wurde schlecht. Also noch mehr schlechte Neuigkeiten. Und sie hatte gedacht, dass es nicht mehr schlimmer werden könnte, nachdem die Alice ihr einfach die Zutatenliste für die Anisplätzchen geklaut hatte. Verdammter Mensch!
Wie würde die sich wohl fühlen, wenn Marianne ihr etwas so wichtiges und persönliches klauen würde?
Oh warte... naja egal.

"Leider werden wir heute einige organisatorische Dinge besprechen müssen und werden keine Zeit für die hohe Kunst der Mathematik haben", verkündete Alevtina, scheinbar den Tränen nahe. Ein triumphierendes Röhren dröhnte durch das Klassenzimmer, als knapp dreißig jungen Dämonen gleichzeitig klar wurde was das bedeutete: kein Mathe und folglich auch keine Hausaufgaben.
"RUHE!", brüllte Alevtina und knallte das Klassenbuch auf den Pult. Es klang verdammt nach einem Kanonenschuss und Marianne zuckte zusammen.

Fräulein Alevtinas fiese, dunkle Augen richteten sich genau auf das Nachthemd tragende Geistermädchen, das augenblicklich zwischen ihren kastanienbraunen Locken Zuflucht suchte.
"Marianne, wir müssen zuerst einmal über dieses Gedicht reden, dass du in der großen Pause als Strafarbeit abgegeben hast", zischte die Lehrerin sanft und ihr schwarzes Kleid wogte bedrohlich.
Marianne brach kalter Schweiß aus. Grundgütiger, sie war geliefert. Alevtina würde sie vor der ganzen Klasse umbringen, oder noch schlimmer, sie mit einem Lineal verdreschen, wie es der Herr Lehrer an Mariannes alter Schule, damals, 1916, so gerne gemacht hatte. Oh, die Demütigung!

"Jaaaa...", murmelte Marianne und ruschte etwas tiefer unter ihren Tisch, "Mein Gedicht..."
Auf einmal sah ihr halbherziges Hass-gereime gar nicht mehr wie eine schlaue Idee aus.
Edres warf ihr von der Seite einem mitleidigen Blick zu. "Du wirst gekillt", zischte Glimm, eine Beschwörerdämonin, die an dem Tisch vor Marianne saß.
Alevtina zupfte ein schwarzes Spitzentaschentuch aus ihrem Ärmel und tupfte sich damit die Augen ab.
Oh, verdammt. Oh, Xachofmist!

"Dieses Gedicht...
es war so wunderschön! So kreativ! So ein beeindruckendes, unregelmäßiges Metrum und so viele herrliche Stilmittel. Eine wirklich grandiose, künstlerische Entscheidung die Rechtschreibung bei Seite zu lassen. So fällt der satirische Charakter des Werks gleich noch mehr auf! Du solltest öfter schreiben, Marianne. Ich bin schwer beeindruckt. Das gibt eine mündliche Bestnote!", verkündete das Fräulein und jetzt weinte sie wirklich.

Die ganze Klasse starrte Marianne, der der Mund offen stand, mit großen Augen an. Alevtina vergab nie mündliche Bestnoten.
Marianne nickte eilig. "Natürlich, Fräulein Alevtina, das war alles Absicht. Ich habe doch gesagt, ich habe bei Gedichten einen wahnsinnigen Durchblick", log sie.
Die Lehrerin nickte ernst.
"Ich hätte nicht daran zweifeln sollen. Dein Talent ist unverkennbar", hauchte das Fräulein und tupfte sich die sonst so strengen Augen, während sie ihre schwarzen Röcke glättete.
Das Fräulein hatte laut eigener Aussage schon zu Lebzeiten immer schwarz getragen, um ihre Trauer über den Verfall der Bildung zu bekunden.

Langsam fing Alevtina sich wieder und richtete ihren beachtlichen Hut. "Nun gut, Kinder, besprechen wir den nächsten Punkt auf meiner Organisationsliste: die Klassenfahrt nach..."
Wohin die Klassenfahrt ging, wurde vom allgemeinen Jubel und Geschrei der Schüler geschluckt.
Glimm warf vor Freude brüllend eine Hand voll Geld auf ihr Wesen, das für sie sah, schrieb und ihre sachen trug. Edres klatschte aufgeregt in die Hände. Toid, ein überhaupt nicht hyperaktiver Walddämon, riss sich kreischend das Oberteil vom Leib und schwenkt es über seinen Kopf, wobei es sich übel in seinen Hörnern verfing. Marianne stieß ihren Tisch um.

Klassenfahrten gab es in der Lehranstalt obere Lisse jedes Schuljahr und trotzdem eskalierte die Schülerschaft jedes Mal, wenn sie angekündigt wurden.
Schließlich waren die Orte, die die Lehrer auswählten, fast immer herrlich.
Die 10 c behauptete tatsächlich einmal an den Strand gefahren zu sein, auch wenn der Lehrkörper dies wehement abstritt.
Alevtina zog ihr fettestes Wörterbuch aus ihrerer Tasche und pfefferte es auf den Pult.
"RUHE!", befahl sie.
Nur langsam beruhigten sich die tobenden Dämonlinge.

Fräulein Alevtina räusperte sich umständlich.
"Wie jedes Jahr bekommt ihr einen Informationsbrief mit nach Hause. Lest ihn aufmerksam durch. Es geht in wenigen Wochen los, und ihr solltet gut vorbereitet sein. Vorallem dieses Jahr ist das von größter Wichtigkeit", erklärte sie und begann die Briefe, die kein einziger Schüler, nicht einmal die Streber wie Edres oder Ellelib, lesen würden, auszuteilen.
Niemand las je die Klassenfahrt Briefe. Das ruinierte einem nur die Überraschung.
Marianne warf ihren in ihre Schultasche, mit dem Plan ihn dort zu vergessen und Edres zerknüllte ihren in ihren massigen Fäusten.

"Wir werden zusammen mit der 8a fahren, und ich erwarte, dass ihr euch benehmt", zischte die Lehrerin gefährlich leise und starrte besonders Maarten an, einen fülligen Geisterjungen, der Peter aus der a einmal mit einem Stuhl abgeworfen hatte.
Ein kollektives Stöhnen ging durch die Klasse. Die 8b hasste die 8a bis aufs Blut und eine Klassenfahrt wäre eigentlich der perfekte Zeitpunkt für eine Klassenkloppe gewesen.
"Ihr braucht euch gar nicht so aufzuführen, ich werde nicht zulassen, dass ihr mich vor Professor Cehei und dem anderen Lehrer blamiert!", fauchte die Lehrerin und schwenkte drohend ihren erhoben Zeigefinger.
Professor Cehei war der schläfrige Klassenlehrer der 8a.

Sich nicht mit den a-rschgeigen schlagen zu dürfen, war so eine herbe Enttäuschung, dass Toid sein Oberteil promt aus sinen Hörnern befreite und sich wütend meckernd wieder anzog. Sogar Marianne stellte ihren Tisch wieder hin.
Copper war in der a und nach seinem verräterischen Verhalten auf der Erde hätte die Brillenträgerin ihm gerne einen Stul gegen den Kopf geworfen... oder einen Tisch.

Fräulein Alevtina zupfte ihr Korsett zurecht und funkelte ihre Klasse drohend an. "Nun, ihr werdet damit zurecht kommen müssen", stellte sie klar.
"Dein Hintern muss damit zurechtkommen", maulte Marianne, die ihr Glück mit der Lehrerin echt nicht überstrapazieren wollte, ganz leise und begann ihren Tisch weiter mit obszönen Zeichnungen zu verzieren. Edres, die trotz ihrer gewaltigen, körperlichen Kraft, Schlägereien fürchtete, wirkte von Alevtinas Worten dagegen sehr erleichtert.

"Bevor wir zu unserem sehr spannenden, letzten Teil der Organisation kommen, möchte ich euch noch darauf hinweisen, dass ihr nach dem Desaster vom vorigen Jahr, dieses mal keinen Schleim mit in die Landschiffe nehmen dürft. Ich wiederhole das jetzt noch einmal, damit ihr es auch wirklich versteht. Dieses Jahr wird nicht mit Schleim rumgespielt, rumgeknetet, rumgeworfen oder sonst etwas gemacht, ist das klar?", grollte die Lehrerin und verschrenkte die Arme.

Ein widerwilliges Gemurmel erhob sich im Klassenzimmer.
"Und was ist, wenn wir mit Schleim rummachen?", quakte Glimm und bekamen dafür prompt eine saftige Strafarbeit verpasst.
Während Alevtina zum nächsten Punkt ihrer Liste überging, schweiften Mariannes Gedanken längst ab.

Eine Klassenfahrt... das würde toll werden. Und Alice und Tamara würde sie alles davon erzählen.
Grundgütiger, würden diese verdammten, Kekse klauenden Mensch neidisch aus der Wäsche gucken...

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