Kapitel 9

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Ich stand noch einige Zeit in der Einfahrt und blickte die Straße entlang, auf der der schwarze Ferrari und sein mysteriöser Fahrer verschwunden waren.
War das hier wirklich das Ende?
Konnte etwas überhaupt enden, obwohl es nicht mal richtig begonnen hatte?

„Wessen Wagen war das?"
Ich zuckte erschrocken zusammen und drehte mich um. Mein Vater stand wie aus dem Nichts hinter mir. „Wem gehörte der Wagen Millie?" Seine Stimme war scharf, es war nicht die Stimme meines mich liebenden Vaters. Es war die Stimme von Guilio Ricci, dem Polizeichef von Palermo.
„Das war bloß ein Freund. Er hat mich netterweise nach Hause gefahren, das ist alles" Ich drehte mich um und wollte zum Haus laufen, als mein Vater nach meinem verletzten Arm griff . „Ist dieser Freund zufällig auch hierfür verantwortlich?" Er hielt mir meinen eigenen Arm vors Gesicht und deutete auf das Blut. Sofort machte ich mich los.
„Gott Dad! Du übertriebst mal wieder maßlos. Niemand ist dafür verantwortlich. Ich bin bloß gestützt. Das ist alles. Ist das Verhör damit beendet?"
Eine Antwort wartete ich nicht ab. Ich war bereits auf halben Weg die Einfahrt hoch, als mein Vater mir nachrief „Ich brauche den Namen deines Freundes nicht. Du weißt das ich nur einen Anruf tätigen muss, um die Nummernschilder überprüfen zu lassen oder?" Ohne stehenzubleiben rief ich ihm zu „Und du weißt das ich deine Tochter und keiner deiner Verdächtigen bin oder? Das ist ein neuer Tiefpunkt. Selbst für dich"

Sobald ich im Haus war schloss ich mich im Bad ein. Ich brauchte dringend eine Dusche. Außerdem musste ich ein Versteck für den Monatsvorrats Drogen finden, den ich in meiner Handtasche mit klopfendem Herzen an meinem Vater vorbei ins Haus geschmuggelte hatte.
Nach der Dusche wickelte ich sie in die Sweatshirtjacke, die ich aus Iljans Wohnung mitgenommen hatte und lief leise über den Flur. Im Zimmer blickte ich mich um, das Versteck musste gut sein, mein Vater war immerhin ein Polizist. Da entdeckte ich das Pferd, dass er mir mal zu meinem siebten Geburtstag geschenkt hatte. Ich hatte es früher jede Nacht mit ins Bett genommen, um einschlafen zu können. Es war das perfekte Versteck. Vorsichtig schnitt ich mit meiner Nagelschere ein kleines Loch hinein und stopfe die Drogen hinein. Zufrieden mit meinem Werk legte ich mich aufs Bett, nahm eine der Downers und schlief fast augenblicklich ein.
Erst gegen Abend wurde ich wieder wach. Ich war wie ausgeschaltet gewesen, dank der Tabletten. Der Schlaf hatte gut getan, er half mir wieder klar zu denken. Was leider auch dazu führte, das meine Entscheidungen der letzen 24 Stunden mit voller Härte auf mich einprasselten. Ich hatte viel zu viel riskiert und das bloß für die Drogen. In Momenten wie diesen hasste ich mich für meine Schwäche. Ich war angewidert von mir selbst aufgrund meines Verhaltens. Der Selbsthass war nach dem Rausch am allergrößten, was meist unweigerlich dazu führte, dass man sich so schnell es ging in den nächsten Rausch stürzte, nur um zu vergessen, wie sehr man sich selbst hasste, wenn man drauf war. Es war ein verdammter Teufelskreis aus dem ich keinen Ausweg fand. Oder finden wollte.

Sobald ich einigermaßen wach und klar war, rief ich voller Reue bei Carla an. Ich war gestern übers Ziel hinausgeschossen, das wusste ich. Sie konnte nichts für mein persönliches Drama.
„Es tut mir leid Süße" sagte ich, sobald ich hörte das sie abgenommen hatte. Sie schwieg, während ich den Atem anhielt. Fast erwartete ich jeden Moment zu hören, dass sie wieder aufgelegt hat, doch dann sagte sie „Das war richtig Scheiße. Dieser Club...die Leute da waren echt gefährlich. Ich hatte Angst ok? Und du...du hast mich einfach stehen lassen. Ich kenne dich so nicht, du warst rücksichtslos und egoistisch. Mir ist klar, das du viel durch gemacht hast in den letzten Wochen mit dem Umzug hier her  und es tut mir wahnsinnig leid, aber das gibt dir nicht die Erlaubnis mich oder jemand anderen schlecht zu behandeln."
Ihre Standpauke schmerzte, doch sie war notwendig. Carla war genau die Freundin, die mir in Rom gefehlt hatte. Jemand, der nicht in dem Sumpf aus Partys und Drogen steckte, sondern ein normales Leben führte. Jemand mit den richtigen Werten.

„Ich weiß. Keine Ahnung was gestern in mich gefahren war. Es war meine letzte, verzweifelte Aktion, gestern dort hinzufahren. Ich habe mich wohl selbst dabei etwas verloren. Verdammt ich weiß wie dumm das ist, aber...ich kann nicht einfach aufhören. So funktioniert das nicht. Ich kann...ich brauche es, Carla." gestand ich und erntete wieder ein langes Schweigen.
„Bist du sicher das du weißt was du tust? Vielleicht solltest du dir doch Hilfe holen" setzte sie an, doch ich fuhr dazwischen. „Keine Sorge, ich weiß was ich tue. Ich habe es unter Kontrolle, wirklich"
Wieder schwieg sie, sie glaubte mir nicht und ich konnte es ihr nicht verübeln. Ich glaubte mir ja selbst kaum.
„Was ist passiert nachdem ich weg war?" fragte sie irgendwann und ich erzählte ihr alles. Die Blamage, mit dem gefälschten Ausweis aufgeflogen zu sein, dann der heiße, wenn auch gestellte Flirt mit dem schönen Unbekannten und nicht zu letzt meine Partynacht bei meinem Dealer, die damit endete, dass der unbekannte Mann aus dem Club mich nach Hause fuhr. Es war peinlich, aber ich wollte ehrlich zu ihr sein. Ich hatte das Gefühl es ihr zu schulden.
„Klingt als hätte ich einiges verpasst." sagte sie lachend, dann hakte sie nach „Und danach? Was ist nach dem Flirt noch passiert mir dir und diesen unbekannten Hottie?"
Ich stimmte in ihr Lachen mit ein „Es ist gar nichts passiert mit ihm. Er hat mich nachhause gebracht und ist dann gefahren. Und er ist kein Unbekannter, er heißt Dante." belehrte ich meine Freundin. „Das ist kein sehr geläufiger Namen. Speziell irgendwie, ich habe ihn aufjedenfall noch nicht gehört. Weißt du, ob er auf eine der umliegende Schulen oder Universitäten geht?" Ich biss mir auf die Lippe „Ich denke nicht, dass er noch auf die Uni geht..." presste ich heraus. „Ich glaube ihm gehört der Club in dem wir waren. Er ist etwas älter als wir" Sofort hakte sie nach „Wie viel älter, Millie?" Ihre Stimme klang streng, fast wie die meiner Mutter. „Keine Ahnung ok? Acht vielleicht auch Zehn Jahre...es war echt dunkel in dem Club wie du weißt. Und ich war etwas abgelenkt von seinem Flirt und seinem guten Aussehen" gestand ich. Wenn ich an den Flirt dachte, wenn ich an Dante dachte, was ich ehrlich gesagt ständig tat, dann bekam ich sofort so ein Kribbeln im Bauch...

„Gott Millie gut das du nach Hause bist. Allein. Ein ältere Typ, in so einem Club? Das ist mehr Ärger als du vertragen kannst. Ich bin froh, dass du ihn nicht wiedersehen wirst, der Typ ist doch suspekt. Welcher erwachsenen Mann flirtet mit einer Teenagerin?" Carla klang so herablassend, dass ich sofort in die Offensive ging, um ihn zu verteidigen. „So war das nicht. Ich habe ihn ja gewissermaßen dazu gezwungen mit mir zu flirten. Und ich war es, die ihn gebeten hat mich abzuholen. Er hat mir nur geholfen, dass ist alles." verteidigte ich den Mann, den ich nicht mal richtig kannte.
„Wie Du meinst" sagte sie schnippisch. Irgendwie lief dieses Telefonat gar nicht so, wie ich gedacht hatte. Nach einigen halbherzigen Versuchen, das Thema zu wechseln, sagte ich irgendwann „Lass uns Schluss machen ja? Ich bin echt müde." Wir legten auf, doch ich schlief nicht. Ich starrte an die Decke und dachte an nichts anderes als an Dante. Immer wieder sah ich ihn vor mir, spürte seine Hände auf meiner Haut und hatte seinen Duft in der Nase. Ich griff nach mein Handy, um seine Nummer zu löschen, so wie ich es mir selbst geschworen hatte, aber ich konnte es nicht.
Ich wollte nicht.
Es durfte nicht das Ende sein.
Und es würde nicht das Ende sein, dass wusste ich.
Wir waren noch nicht fertig.
Wir fingen gerade erst an...

Palermo at Midnight Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt