Kapitel 117

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Dante

„Sie ist jetzt bei ihm" erklärte Theo mir, sobald er gemeinsam mit Alejandro zurück kam. Bei ihrem Anblick versteifte ich mich. Wieso war Alejandro bei ihm und nicht bei Amalia und dem Schweden, so es seine Aufgabe wäre?
„Ihr habt sie allein mit ihm gelassen?" fragte ich angespannt. Alejandro sah nervös zu Theo, der jedoch absolut ruhig blieb. „Natürlich. Das war ihr Wunsch. Ihr habt mich zu ihrer rechten Hand ernannt Boss, was heißt, das ich tue, was immer sie von mir verlangt. Wolltet ihr nicht genau das Boss?" Mir entging sein gut getarnter Sarkasmus nicht. Theo war niemand der bloß kuschte, er hatte Feuer und er war bereit, für das zu kämpfen, was er für richtig hielt. Tommaso mochte ihn nicht besonders, weil er schwer zu kontrollieren waren, was nicht hieß, das er nicht tat, was man von ihm verlangte. Er tat es halt auf seine Weise. Theo war genau wie Amalia. Genau deshalb hatte ich ihn ausgewählt.

„Doch, das war es was ich wollte." gab ich zu. Amalia konnte auf sich selbst aufpassen, das hatte sie bewiesen. Sie hatte es problemlos mit Massimo aufgenommen, der kleine Schwede sollte also kein Problem für sie sein.
Ich wollte mich schon wieder Tommaso zu wenden, um das weiter Vorgehen zu besprechen, doch Theo unterbrach mich mit einem Räuspern.
„Da wäre noch etwas Boss. Es geht um Signora Anderson. Ich denke Tommaso hat nicht Unrecht, was ihre neue Rolle angeht. Die Männer würden ihr mehr trauen, wenn sie eine echte Giordano wäre, was natürlich unmöglich ist, weil sie bereits mit einem anderen Mann verheiratet war. Deshalb habe ich ihr vorgeschlagen, unsere Anwälte damit zu beauftragen, ihre Ehe mit Anderson schnellstmöglich annullieren zu lassen."
Es passierte nicht oft, das man mich unvorbereitet traf, doch Theo hatte es gerade geschafft. Das war brillant, ich hatte selbst schon mit dem Gedanken gespielt, allerdings war ich mir sicher, dass es viel zu früh war, sie davon überzeugen zu wollen, ihre Ehe annullieren zu lassen. Auch wenn es mir nicht passte, hing sie an dem verdammten Schweden. Er war ihr wichtig, sie würde nichts tun, was ihn unnötig verletzen würde. Meine Anwälte einen Weg finden zu lassen, die Ehe für ungültig erklären zu lassen, würde genau das tun. Das war ein krasser Schritt, für den es eine Menge Mut, aber vor allem eine ordentliche Portion Kälte braucht. Amalia war mutig, aber war sie auch kalt genug, um ihn so loszuwerden?

„Was hat sie gesagt?" fragte ich gespielt unbeeindruckt, obwohl ich alles andere als das war. „Sie hat zugestimmt. Die Anwälte fangen in diesem Moment an. Ich denke spätestens in vier Tagen sollte alles erledigt sein."
Vier Tage... das war wenig und gleichzeitig viel zu viel Zeit. „Ruf sie nochmal an. Ich zahle ihnen das doppelte, wenn sie es in zwei Tagen schaffen"
Theo nickte und verschwand mit seinem Telefon in der Hand in die Küche. Er war wirklich gut. Intelligent und effizient, er würde Amalia gute Dienste leisten.
Sobald er weg war, beschäftigte ich mich wieder damit, das Chaos zu beseitigen, dass Amalias Rückkehr verursacht hatte. Tommaso schilderte mir gerade, wo sie Massimos Leiche entsorgt haben, als ein lauter Knall uns alle zusammen Zucken ließ. Theo war sofort zur Stelle und lief mit gezogener Waffe Richtung Büro. Alejandro und ich folgten ihm. Wenn der vefickte Schwede es gewagt hatte, seine Hand gegen Amalia zu erheben, würde ich ihn töten. Ich hörte ihn schreien, bis raus in den Flur, während Alejandro und Theo schon das Büro stürmten.
„Alles hat mit ihm zu tun oder nicht? Du kannst vielleicht mich verlassen, aber was ist mit ihn? Was ist mit Gio? Du liebst ihn! Du kannst ihn nicht einfach verlassen, nicht mal für Dante!"
Seine Worte trafen mich wie ein Schlag in den Magen. Ich hatte mich damit arrangiert, dass sie in der Zeit ihre Ehe sicherlich mit dem Schweden geschlafen hatte, aber ich hatte nicht damit gerechnet, das es einen weitere Mann in ihrem Leben gab. Einen, den sie scheinbar mehr liebte, als mich, wenn ich Ruriks Worten glauben schenkte.
Das wäre der Nagel für meinen Sarg.

„Wer zur Hölle ist Gio?" knurrte ich und baute mich bedrohlich vor ihr auf. Sie war ungewöhnlich blass, die Wangen waren feucht und die Augen gerötet. Was immer hier eben zwischen ihm und ihr passiert war, sie hatte geweint. Und sie hatte Angst. Nicht vor mir, sie wusste das ich ihr nie wehtun würde, aber sie hatte Angst vor der Wahrheit. Sie hatte Angst mir zu sagen, wer dieser Gio ist. Zu recht. Ich hatte selbst Angst, weil ich nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte, wenn es tatsächlich einen weiteren Mann gab, mit dem ich um ihr Herz kämpfen musste.
„Es ist nicht so wie du denkst, Dante." setzte sie an, dieser klischeehafte Satz einer jeden Betrügerin brachte mein Blut nur noch mehr zum kochen.
„Ich kann das erklären, wirklich. Er... Gio er... er ist mein Sohn."
Nie hätte ich gedacht, dass mich Worte jemals dermaßen außer Gefecht setzen könnten, doch dieses Geständnis schaffe es.
Ein Sohn.
Sie hatte ein verdammtes Kind.
Sofort schossen mir tausend Fragen durch den Kopf, doch bevor ich die Antworten hören konnte, musste ich dafür sorgen, dass ich der einzige war, der sie hörte. Wenn ich jetzt etwas nicht brauchte, dann waren es Zuschauer.
„Raus! Alle! Sofort!" brüllte ich, was Amalia vor mir zusammen Zucken ließ. Theo trat zu Rurik, doch dieser rührte sich nicht. „Ich lasse sie nicht mit ihm allein" keifte er Theo an und ich verlor endgültig die Geduld. In Sekundenschnelle drehte ich mich von Amalia weg, zog die Waffe aus dem Holster an Theos Jeans und richtet sie auf die Stirn des Schwedens.
„Entweder du lässt uns allein oder ich sorge dafür, dass sie hier und jetzt zur Witwe wird" drohte ich ihm. „Du wirst ihn nicht erschiessen!"
Amalia war neben mich getreten, ihre Hand griff nach der Waffe, doch ich entzog sie ihr, bevor sie sie zu fassen bekam. „Stell mich auf die Probe und ich beweise dir das Gegenteil" knurrte ich zurück, meine Wut verschleierte meine Blick, ich verlor die Kontrolle, das spürte ich, aber ich konnte nicht zurück.
„Theo, schaff meinen Mann hier raus verdammt. Sofort" befahl Amalia ihrer rechten Hand ruhig und emotionslos, ganz so wie es ihre neue Rolle von ihr erwartet, übernahm sie die Situation und entschärfte sie gekonnt. Sie hatte wirklich Talent für ihren neuen Job. Theo packte den Schweden, der unter lautstarken Widerstand endlich das Büro verließ.

Sobald wir allein waren, trat sie vor, packte nach der Waffe und entriss sie mir. „Was sollte das? Ich weiß du magst ihn nicht, aber das gibt dir nicht das Recht..." begann sie, doch ich wollte ihre Lobpreisung über ihren perfekten Ehemann nicht hören. Ihrem perfekten Ehemann und Vater ihres Kindes. „Glaubst du wirklich, ich lasse mir seine Respektlosigkeit auch nur eine Sekunde länger gefallen, nur weil du so dumm warst, dich von ihm schwängern zu lassen?" brüllte ich sie an, doch diesmal zuckte sie nicht zurück. Nein sie holte stattdessen aus und gab mir die schmerzhafteste Ohrfeige meines Lebens.
„Du bist so ein Arsch Dante! Rurik ist nicht der Vater verdammt!"
„Ist er nicht?" fragte ich irritiert und rieb mir über die brennende Wange, fuck sie hatte echt einen guten rechten Haken für so eine zierliche Person.
Hätte ich geahnt, was sie mir als Nächstes sagen würde, hätte ich mir vorher noch einen Drink eingeschenkt. Oder zwei.
Oder mich zumindest hingesetzt.
„Nein verdammt. Das Kind ist nicht von ihm, es ist von dir du Idiot! Gio ist dein Sohn. Wir haben einen Sohn, Dante. Ich hätte es dir gerne anders gesagt, aber jetzt ist es raus. Bist du jetzt bereit mir zu zuhören oder muss ich dich erst noch mal schlagen?" provokant verschränkte sie die Arme vor der Brust und hob eine Augenbraue.
Einen Sohn.
Ich hatte einen Sohn.
Einen Sohn mit Amalia.
Vollkommen überwältigt von der Neuigkeit sackte ich zurück auf einen der Sessel und mit einem Nicken bedeutet ich ihr fortzufahren.

„Ich weiß nicht wie ich dir das alles erklären soll, also fang ich einfach am Anfang an. In der Nacht in der ich vor dir floh, lief ich zu Rurik, weil ich dachte, er würde mir bei der Flucht helfen, stattdessen rief er meinen Vater an und ließ mich mit seiner Hilfe gegen meinen Willen in eine Entzugsklinik einwiesen. Die ersten Wochen dort waren die Hölle. Mein Herz war gebrochen und mein Körper war am Ende dessen was er leisten konnte. Es war schlimm, jeder Tag war die pure Qual, doch ich biss mich durch. Nach ein paar Wochen ließen die Entzugserscheinugen nach und ich begann wieder an Gewicht zuzulegen. Zunächst freute die Ärzte sich, weil es mir besser zu gehen ging, doch dann veränderte sich das. Ich litt unter Übelkeit und begann meinen neuen Körper zu hassen, weil ich immer weiter zunahm. Ich war etwas mehr als zwei Monate in der Klinik, als eine Krankenschwester auf die Idee kam, dass ich eventuell schwanger wäre. Sie besorgte mir einen Test. Er war positiv. Ich war bereits im vierten Monat, als ich es erfuhr."
Sie sah mich an, als erwartete sie eine Reaktion, doch ich war wie versteinert.
Vierter Monat.
Das hieß sie wurde im Sommer schwanger, in der Zeit traf sie niemanden außer mich. Daran gab es keine Zweifel, sie war nur mit mir zusammen gewesen. Meine Gedanken überschlugen sich. Das war unmöglich, wir hatten immer verhüttet.
„Du... du hast gesagt, du nimmst die Pille" begann ich zusammenhanglos zu flüstern, was sie nur müde lächeln ließ. „Das habe ich auch, zusammen mit einem Haufen Kokain, Ecstasy, Beruhigungsmitteln und allem was mir sonst in die Finger kam. Die Drogen haben wohl die Wirkung aufgehoben." erklärte sie gelassen. Im ersten Moment wollte ich sie anschreien, weil sie das alles so ruhig nahm, doch dann besann ich mich. Sie hatte 5 Jahre um damit klarzukommen, diesen Luxus hatte ich nicht. Für mich war das alles neu, ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Es war unmöglich etwas sinnvolles zu sagen, während mein Hirn versuchte zu verstehen was das alles bedeutete, redet sie weiter und ich hörte einfach zu.

„Als ich es erfuhr hatte ich einen Zusammenbruch. Diese Schwangerschaft war das Schlimmste was ich mir in meiner damaligen Situation vorstellen konnte. Ich war gerade mal 18, drogensüchtig und allein. Hätte ich eher erfahren, dass ich schwanger war, hätte ich es wohl abgetrieben. Ich war nicht bereit für ein Kind. Sie mussten mich ruhigstellen, weil ich versucht habe, mir was anzutun. Mein Leben lag in Scherben vor mir, ich sah keinen Ausweg aus der Misere in die ich mich selbst gebracht hatte.
Doch dann kam Rurik.
Sie ließen ihn zu mir, ich erzählte ihm von der Schwangerschaft und er bot an mich zu heiraten, damit niemand Fragen stellte, von wem das Baby wäre. Immerhin wusste offiziell niemand, dass du und ich den Sommer zusammen verbracht hatte. Ich war auf der Flucht vor dir und deinen Feinden, hätte einer von ihnen erfahren, dass ich dein Kind erwarte, wäre das mein sicherer Tod gewesen. Und der unseres ungeborenen Sohnes."

Palermo at Midnight Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt