Kapitel 106

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Sämtliche Luft schien aus dem Raum verschwunden zu sein. Mein Mund klappte auf und zu, doch ich konnte weder Atmen noch Sprechen. Mein Blick flog hektisch zwischen den beiden Männern hin und her.
Wie konnten sie mich so vor die Wahl stellen?
Das war eine Entscheidung, die mein Leben für immer und unwiderruflich verändern würde. Eine solche Entscheidung konnte ich unmöglich aus dem Stegreif heraus treffen. Ich wusste nicht mal, ob ich sie überhaupt treffen wollte.
Egal welchen Namen ich sagte, es würde dem anderen das Herz brechen. Dazu war ich nicht bereit. Wie sollte ich mich zwischen ihnen entscheiden?
Liebe oder Vernunft?
Meer oder Karamell?

„Amalia!" Dantes Hände lagen auf meinen Schulter, sein massiger Körper schiermte jegliche Sicht auf Rurik vor mir ab. Ich sah bloß ihn.
Ihn, den schönsten Mann dem ich je gegenüber gestanden hatten.
Ihn, denn Mann mit dem ich mit Abstand den besten Sex meines Lebens hatte.
Ihn, den Mann der mich gleichzeitig ständig in Gefahr brachte und doch mein sicherer Hafen war.
Ihn, den Mann den ich noch immer liebte.
„Ich habe dich was gefragt, Principessa" Sein Blick suchte meinen, er wollte das ich mich auf ihn fokussierte, dass ich nur ihn sah, doch es gab nicht nur ihn und mich. Hier ging es nicht bloß um uns Zwei. Es ging um so viel mehr als das.

„Lass sie los Mann. Du sagst du willst ihr die Wahl lassen? So wie du sie bedrängst wird sie wohl kaum eine frei Wahl treffen. Willst du sie zwingen dich zu nehmen? Bist du echt so verzweifelt?" Rurik war neben ihn getreten, er sah mich an, die Augen sanft und doch in allerhöchster Alarmbereitschaft. „Du musst dich nicht hier entscheiden. Nicht mal heute. Du hast die Kontrolle, Millie. Es ist dein Leben, vergiss das nicht. Lass dich von ihm nicht unter Druck setzten. Selbst jemand wie er kann dich nicht zwingen, auch wenn er dich das glauben lassen will. Nicht mal er ist stärker als dein Sturkopf"
Zum Schluss zwinkerte er mir zu, wodurch sich etwas meiner Anspannung löste. Leider hielt diese kurze Atempause keine 10 Sekunden. Kaum waren die Worte aus Ruriks Mund, verschwanden Dantes Hände von meinen Schultern und packten stattdessen nach Ruriks Kragen. Er schleuderte ihn regelrecht gegen die Wand „Glaub nicht, ich lasse dir alles durchgehen. Nur weil sie einen Narren an dir gefressen hat, bist du nicht unantastbar." knurrte er bedrohlich. Mein Herz raste, zu behaupten, dass ich mit der Situation überfordert wäre, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts.
„Wenn du nicht langsam lernst, respektvoll mit mir zu reden und aufhörst dich in Dinge einzumischen die dich verfickt nochmal nichts angehen, dann..."
Die Szene hatte mich so gefangen genommen, dass ich nicht bemerkte, dass wir nicht länger allein waren. Theo und zwei weitere von Dantes Männern standen wie aus dem Nichts plötzlich vor uns.
„Boss!" rief er laut über die Musik hinweg zu Dante, der noch immer Rurik gegen die Wand drängte. Ohne sich umzudrehen knurrte dieser zurück „Was willst du Theo? Sieht's du nicht, das ich verdammt beschäftigt bin?"
Theo straffte die Schultern, man sah, dass es ihm unangenehm war, Dante jetzt zu stören, aber man sah an seinem angespannten Gesicht auch, dass er es nicht ohne Grund tat.
„Doch, aber ich hatte kein Wahl, es gibt Probleme, Boss. Große Probleme." Dante ließ Rurik endlich los, drehte sich um und ich erschrak. Jedes Mal erschrak ich aufs Neue, wenn er diesen eiskalten Zug auf dem schönen Gesicht hatte, der so gar nichts mit dem Mann gemein zu haben schien, den ich liebte.
Er nickte Theo bloß knapp zu, als Aufforderung fortzufahren.
„Die Polizei ist hier. Nicht bloß ein Paar, sie sind mit 5 verfluchten Mannschaftswagen vorgefahren. Bevor ich reagieren konnte, waren sie drin."
Das klang allerdings nach einem Problem. In all der Zeit hatte ich nie mitbekommen, dass die Polizei sich in Dantes Geschäfte einmischte. Das sie es jetzt taten, musste einen guten Grund haben.
„Und? Waren die Herren von der Polizei so freundlich dir mitzuteilen was sie hier wollen?"
Die gespielte Ruhe von Dante machte mich nur noch nervöser. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht.

„Sie...sie wollen sie" brachte Theo hervor und zeigte auf mich ohne mich anzusehen. „Sie wollen was?" brüllte Dante, allerspätestens jetzt war jegliche Wärme aus seiner Stimme verschwunden. Ich bewunderte Theo dafür, dass er den Mut fand, ihm dennoch zu antworten. „Da ist so ein junger Commissario, sein Name ist Gabriel Betto, er verlangt die Auslieferung von..." kurz flog sein Blick zu mir, mit einem Mal wirkte er doch nervös und ich ahnte warum. Theo hatte Angst mein Geheimnis zu offenbaren, weil er nicht wusste, ob Dante es bereits kannte.
„Commissaria Marcella Anderson. Ich sagte ihm, das ich niemandem mit diesem Namen kenne, da lachte er und meinte, dass ich sie vielleicht besser unter ihrem echten Name kenne." Wieder sah er zu mir, doch diesmal sah er enttäuscht aus. Meine doppelte Identität war für ihn ein Verrat an seinem Boss.
„Amalia Bernadi. Er hat einen Haftbefehl gegen sie." schloss er seinen Bericht. Mir drehte sich augenblicklich der Magen um. Gabriel hatte mich verraten. Mein Geheimnis war nicht länger eins, jetzt kannten meine Kollegen die ganze schmutzige Wahrheit meiner Vergangenheit. Jetzt würde ich den Preis zahlen müssen.
Einen Haftbefehl.
Das war mein Ende, ich würde ins Gefängnis kommen. Ich hatte nicht nur meine Karriere, sondern auch mein Leben zerstört, bloß weil ich mich auch nach 5 verdammten Jahren nicht von Dante fernhalten konnte.

„Sie können sie nicht haben. Sie gehört mir!"
Dantes Stimme grollte laut und ich erschauderte. Er klang fast unmenschlich.
„Wenn sie sie wollen, dann müssen sie zu erst an mir vorbei. Sag es ihnen! Wenn sie sie wollen, müssen sie erst einen Krieg gegen mich führen! Ich bin das Oberhaupt der verdammten Giordanos! Das hier ist mein Club! Es ist meine Stadt und es ist meine verfickte Insel! Ich werde nicht zulassen, dass ihr irgendjemand auch nur ein Haar krümmt!!!"
Er tobte wie ein Kriegsfüher, der seine Gefolgschaft zum Gegenschlag aufputschen wollten. In gewisser Weise war es wohl auch so.
„Sag es jedem meiner Männer, von ganz oben bis ganz unten. Amalia steht ab sofort ganz offiziell unter meinem persönlichen Schutz. Ein Akt gegen sie, und sei er noch so verflucht klein, ist eine Kriegserklärung!" brüllte er weiter. Dann griff er nach Theos Waffe, die dieser im Bund seiner Jeans stecken hatte. „Scheiß drauf ich sag es dem Pisser selbst!" Mit diesen Worten stürmte er Richtung Club, Theo und seine Männer folgten ihm und auch ich wollte ihm nach, doch Rurik hielt mich auf.
„Was hast du vor?" Sofort machte ich mich los. „Ich muss ihm nach, er ist nicht er selbst. Er braucht mich jetzt, ich muss auf ihn aufpassen"
Die Worte kamen schneller heraus, als ich denke konnte. „Wenn du da raus gehst, nehmen sie dich fest verdammt!" Rurik klang verzweifelt. Auch er hatte Angst um mich, das sah ich und ich verstand es. Aber es war unnötig.
„Das wird er nicht zu lassen. Vertrau mir, er wird sie nicht zu mir lassen. Er beschützt mich, so war es schon immer" mit einen Kuss auf die Wange ließ ich Rurik zurück und rannte hinunter in den Club, direkt rein ins Kriegsgebiet. Doch ich hatte keine Angst, denn er war da. Er würde immer da sein, wenn ich in Schwierigkeiten geriet. So war er. Das war unser Ding. Er war mein dunkler Retter. Heute und für immer.

Palermo at Midnight Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt