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Er sank wie in Zeitlupe auf die Couch zurück, wünschte sich sehnlichst, die Polsterung würde unter ihm aufklaffen und ihn in die dunkle Tiefe des Polsterschaumstoffes zerren. Dann müsste er Kirans Blick nicht länger ertragen.
Ja, es war eine dumme Sache gewesen. Hätte er an diesem Tag nur besser den Mund gehalten, anstatt sofort seiner Mutter zu beichten, was er da auf den Toiletten gesehen hatte. Mama, i-ist es in Ordnung, wenn ein Junge einen anderen mag? A-also wirklich mögen, also ver-verliebt sein? Weil K-Kiran und Till, sie h-haben sich g-g-geküsst?
Dabei hatte er ja nicht geplant, dass es damit gleich alle aus der Klasse erfuhren! Und auch nicht, dass Till, der sonst so lässige, coole Bruder von Jannis, sich wutentbrannt auf Elia stürzen, auf ihn eintreten würde, bis Kiran ihn zurückzog und dafür eine geklebt bekam. Das Veilchen war noch Tage danach deutlich um Kirans linkes Auge sichtbar gewesen - und Elias' grün und blau geprügelten Rippen war es da nicht besser ergangen.
Was allerdings noch länger angehalten hatte, waren die Blicke. Die ganze letzte Schulwoche über war es anders in der Klasse gewesen. Die gute Laune, die Kiran sonst so hell ausgestrahlt hatte, als wäre er der Mittelpunkt des verdammten Sonnensystems? Wie fortgewischt. Selbst Yusuf und Justin schienen damals nicht ganz gewusst zu haben, wie sie mit ihrem besten Freund umgehen sollten, der so seltsam wortkarg geworden war.
Der ist doch nie und nimmer 'ne Schwuchtel! Das war in den Gängen zu hören gewesen, in den Parallelklassen, sogar von Yusuf. Und Elia war rückblickend selbst erschrocken darüber, wie sehr es ihm damals gefallen hatte, seinen Rivalen am Boden zu sehen. Er hatte sich gut gefühlt, ja sogar fast mächtig.
Gleichzeitig war das schlechte Gewissen ihm mit jedem Schritt gefolgt wie ein hartnäckiger Schatten. Das, und die bitterbösen Blicke der Mitschüler, die ganzen Lehrergespräche, die einberufenen Krisentreffen, das alles hatten schnell dafür gesorgt, dass Elia sich die Zeit vor dem Abschlussfest zurückwünschte.
Bis auf abfällige Kommentare, einige Stöße zwischen die Rippen oder ab und an ein unfreiwilliges Zusammentreffen mit dem dreckigen Fliesenboden im Jungsklo war ja alles nicht so schlimm gewesen? Die Aufsichtslehrer hatten es Kabbelei unter Jungs genannt. Nicht gut, nicht scheußlich. Zumindest wenn man beide Augen zudrückte. Wo waren da die Krisentreffen gewesen? Aber solange am Ende des Tages nichts gebrochen oder verstaucht war, wurde von den Lehrern kein großes Drama daraus gemacht. Auch Elia hatte brav den Mund gehalten, alles in sich hineingefressen.
Er hatte Kiran gehasst. Rückblickend war er da vielleicht nicht immer fair gewesen. Der blonde Lockenkopf hatte selbst nie groß Hand an ihn gelegt, die wirklich schlimmen Sachen hatten sich durch Justin und ein paar andere Idioten aus ihrer damaligen Klasse hochgeschaukelt. Aber Kiran hatte es gesehen. Zwar nicht alles, aber genug. Und seine lockere Art, seine dummen Witze oder auch nur, wie er Justin freundschaftlich auf den Rücken geklopft und den Arm über die Schulter geschlungen hatte, das brachte Elias Blut immer noch zum Kochen. Der selbsternannte Klassenkönig hatte da ja wohl auf ganzer Linie versagt!
Aber nach dem Fest hatte sich das Blatt kurz gewendet. Kiran war nicht zur Zeugnisvergabe gekommen. Doch nach den Sommerferien war er dann wieder aufgetaucht, frech und selbstbewusst als wäre nichts geschehen. Und auch das Flüstern auf den Gängen war langsam erstickt.
Elia holte tief Luft. „E-es ... Es tut m-mir ..."
„Nein, tut's nicht", sagte Kiran nur genervt. „Also kannst du dir diese Scheiß-Entschuldigung in den Arsch schieben, ja?" Er rieb sich mit den Händen übers Gesicht und zum ersten Mal sah er wirklich fix und fertig aus. Selbst der Goldjunge konnte die Spuren der schlaflosen Nächte also nicht für immer verstecken. „Du bist ein verklemmter Loser, der es nicht abkann, wenn was nicht in sein Bild der perfekten Bilderbuchfamilie passt. Du zuckst schon zusammen, wenn man sich mal im Ton vergreift. Tja, Entschuldigung, schätze ich? Wenn du die Idee von mir und 'nem Kerl nicht abkannst, dann sieh halt weg?" Er zog einen Mundwinkel hoch. „Noch vor 'nem Jahr hätte ich dir für das, was du da abgezogen hast, am liebsten eine reingehauen. Aber jetzt weiß ich immerhin, wo's herkommt."
Elia blieb still, doch Kirans bitterer Tonfall kitzelte irgendetwas in seinem Gehirn. Auf die unangenehme Weise. War das alles, was er für den anderen Jungen war? Ein verklemmter Loser? Elia wusste natürlich, wie er auf andere wirkte. Das Stottern gepaart mit seinem Hang zur Besserwisserei war natürlich ein gefundenes Fressen. „A-aber es stimmt! Es war f-falsch und ich habe dir damit wehge-getan." Dieses Mal gelang es Elia, Kirans forschendem Blick standzuhalten.
Der Junge neben ihm ächzte leise und streckte sich gähnend. „Okay, okay. Ändern kann's ja eh keiner mehr." Dann stockte er mitten in der Bewegung. „Sei mal kurz leise."
Elia wollte gerade erwidern, dass er doch überhaupt nichts gesagt hatte, doch da hörte er das Klickern. Es machte Klack! Tack! Klack! und Elias Herz, das sich gerade erst beruhigt hatte, nahm wieder Fahrt auf. Das waren die Beißwerkzeuge eines Knochenknackers direkt vor Kirans Haus. Die Nacht war noch nicht vorbei.
Das Klickern wanderte quälend langsam die Außenmauer entlang und Elia nahm einen zittrigen Atemzug. Er hatte noch nicht viele Knochenknacker gesehen, aber allein die Erinnerung an das insektenhafte Monster reichte für ein Leben an Alptraummaterial aus. Nein, nein, er konnte gut darauf verzichten, sich in dieser Nacht dem zweiten Mördervieh in den Weg zu stellen!
Klack! Tack! Tack! Klack! Elia riss die Augen auf. Das Monster war nun genau hinter ihnen. Vielleicht hatte Kiran gemerkt, wie sich alles in Elia verkrampfte, denn warum sonst sollte er nach seiner Hand greifen, sie sanft aber bestimmt drücken? Dann lehnte Kiran sich vor, flüsterte ihm ins Ohr: „Wird alles gut, ja? Wir haben jetzt eine verfickte Geheimwaffe." Und obwohl der Lockenkopf ihm ein wohl ermutigendes Grinsen schenkte, wirkte es nicht so selbstbewusst wie sonst. Und so nickte Elia nur tapfer, obwohl langsam alles in seinem Kopf verschwamm, sich verflüssigte und seine Nervenzellen schließlich nur noch wie Glasnudeln in der Hirnflüssigkeit herumschwappten.
Klack! Klack! Tack! Tack ...
Bildete er sich es nur ein oder ... wurde das Geräusch leiser? Noch einige Sekunden harrten Kiran und Elia zusammengesunken und mucksmäuschenstill auf der Couch aus. Elia konnte dabei nicht anders, als auf seine Hand zu starren, die noch immer in der von seinem Rivalen lag. Sie wirkte totenbleich im Kontrast zu Kirans dunklerer Haut. Da riss ihn eine merkwürdig fröhliche Melodie aus seiner Trance. Was ...?
Schni-Schna-Schnappi Schnappi-Schnappi-Schnapp! Schni-Schna-Schnappi Schnappi-Schnappi-Schnapp! Es ist Schnappi Das kleine Krododil!
Kiran fluchte leise, während Elia nur dumm aus der Wäsche gucken konnte. „K-Kiran?" Kaum waren Kinderchor und Xylophon einmal verstummt, setzte das Lied erneut an.
„Fuck Digga, das ist mein Handy." Elias Blick glitt stirnrunzelnd zu dem iPhone das vollkommen unschuldig neben Kiran auf der Couch lag. „Nicht das, mein altes Handy! Scheiße, wenn das Vieh jetzt wiederkommt ..." Er sprang auf und stürmte aus dem Wohnzimmer, polterte die Treppe nach oben. Es dauerte keine dreißig Sekunden bis die Melodie verstummt war.
Etwas ratlos starrte Elia ins Leere.
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