05 Lazlo

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"Warum warst du so lange weg?", wollte Jennifer, eines der Zimmermädchen, wissen.

"Da hat sich jemand verlaufen. Ich wollte nicht auffallen." Harold zuckte mit den Schultern und trat die Zigarette aus, die er schon viel zu lange in der Hand gehalten hatte. Sie war bis auf den Filter heruntergebrannt und er hatte schon seit Minuten nicht mehr daran ziehen können.

"Wie meinst du?", erkundigte sich nun auch Thomas neugierig.

"Nur irgendein Gast", winkte Harold das Thema aber schnell ab. Nur einer der Gäste konnte ein derart auffälliges Parfüm tragen, das man noch auf fünf Meter Entfernung riechen konnte - demnach wie der Wind ging, vermutlich sogar noch acht.

Und nur ein Gast, der realitätsfern lebte und vermutlich noch nie in einer der schlechteren Gegenden unterwegs war, würde solche Juwelen tragen und allein durch die Dunkelheit irren. Jedem Dieb wäre es ein leichtes, so jemanden zu überwältigen und sie an sich zu nehmen und die nächsten Monate von ihrem Wert zu leben. Egal ob jener Dieb hier als Angestellter lebte, die Versuchung war unwahrscheinlich groß.

Jennifer und Thomas wollten vermutlich noch mehr Informationen, aber er konnte ihnen keine geben. Er selbst musste diese suspekte Begegnung, die nur in seinen Augen eine war, da sein Gegenüber ihn scheinbar nicht bemerkt hatte, verarbeiten.

Man sah nicht alle Tage mitten in der Nacht eine junge Frau im Abendkleid barfuß um ein Hotel laufen. Wobei man das nicht laufen nennen konnte, so gedankenversunken wie sie gewesen war. Vermutlich hatte sie schon überlegt, welche teuren Ohrringe sie morgen tragen wollte oder welches Kleid sie anziehen würde. Wäre er nicht von Beruf aus von solchen Menschen eher distanziert, hätte er sich vielleicht eingestanden, dass er seinen Blick nicht von ihr hatte wenden können und sie beinahe fasziniert beobachtet hatte.

So fasziniert, dass ihm seine Zigarette wie gesagt in der Hand abgebrannt war.

"Gute Nacht", beendete er das Gespräch endgültig und ging, ohne eine Antwort abzuwarten, wieder hinein. Nachts in Ruhe draußen Rauchen konnte er hier wohl auch erst einmal vergessen.

Die schöne Unbekannte würde für ihn nie einen Namen bekommen. Genauso wenig, wie die ganzen anderen Gäste, die er hier zukünftig jeden Tag bedienen würde. Denn das waren sie nur - Gäste, die genauso wenig interessierte wer er war, wie es ihn tangierte, wer sie waren. Das hatte er aus seinen anderen Anstellungen gelernt, Arbeit war Arbeit. Kontakte waren etwas für die Freizeit und Freundschaften gar für das Privatleben.

Nur wenige Stunden später fand er sich wieder wie ein gestriegeltes Pferd mit den anderen Neuen in der Küche wieder. Und wieder gab Miss Adele ihnen genaue Anweisungen, was sie zu tun und was sie zu lassen hatten. Wen sie anzuschauen und wen sie zu meiden hatten.

Und genauso lief es ab, manche Gäste nahmen ihr Frühstück auf ihren Zimmern zu sich, andere wiederum draußen auf der groß angelegten Terrasse. Wieder anderen widerstand es nach dem gestrigen Abend noch vollkommen, irgendetwas außer Wasser zu sich zu nehmen.

Gerade schoben er und Thomas gemeinsam die Essenswägen durch die Flure, als dieser wieder anfing: "Gib mir irgendein Zeichen, wenn wir der von gestern begegnen."

"Bist du ein Waschweib oder was?" Harold musste grinsen und schob kopfschüttelnd den Wagen bei Seite, um am nächsten Zimmer anzuklopfen.

"Nein, nur interessiert. Wer weiß wie lange wir hier arbeiten können, dann möchte ich möglichst viel mitbekommen", argumentierte Thomas so knapp berechnet, dass schon am Ende seines Satzes die Tür vor Harold geöffnet wurde. Er rollte schweigend den Wagen in das Zimmer und richtete dem Ehepaar, das darin genächtigt hatte, zügig den Tisch an.

Sie bedankten sich sehr wortkarg bei ihm und er zog schnell die Tür hinter sich zu. Viele der Gäste wirkten hier, als hätten sie etwas zu verbergen. Vielleicht war es auch tatsächlich so, wer konnte das schon wissen.

Das Grand HotelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt