Es war der nächste Morgen.
Jane fiel es heute äußerst schwer, ihr Bett oder gar ihr Zimmer zu verlassen. Noch immer fühlte sie sich hundeelend. Die letzte Nacht verfolgte sie noch immer und selbst wenn sie nur daran dachte, stieg ihr eine unbeschreibliche Hitze in die Wangen - Scham.
Sie hatte vor jemand Fremdem die Fassung verloren und auf ihn Emotionen projiziert, die eigentlich nicht einmal ihm gewidmet waren. Viel mehr hatte sie Druck abgelassen, der sich seit Wochen bei ihr aufgestaut hatte, dann noch von Cal gezündet wurde, bis er dann förmlich explodiert war. Sie kannte nicht einmal seinen Namen, könnte nicht herausfinden, wer und wo er war, um sich bei ihm zu entschuldigen.
Die einzige Information, die sie hatte, war dass er hier arbeitete. Doch hier arbeiteten so viele, dass es einer Suche nach einer Nadel im Heuhaufen glich. Vor allem jetzt, da die Hochsaison immer näher rückte, gab es auch Angestellte, die nicht fest hier arbeiteten, sondern aus der nächstgelegenen Stadt anreisten, um auszuhelfen. In wenigen Wochen würden sie alle verschwunden sein, ohne etwas zu hinterlassen. Und im nächsten Jahr würde jemand anders an ihre Stelle treten und sie ersetzen, als wären sie nie da gewesen.
Genau so wenig konnte sie sich auf die Suche nach ihm machen. Liefe sie durch die Räumlichkeiten der Angestellten, um nach einem jungen Mann zu suchen, würde es keinen Tag dauern, bis auch Beatrice und ihr Vater von dieser Suche erfahren würden. Eine Situation, die Jane tunlichst vermeiden wollte - rechtfertigen musste sie sich im normalen Alltag schon genug, so eine Geschichte fehlte dann noch.
Jane rieb sich ein letztes Mal mit den Handballen über die Lider. Schwermütig seufzte sie und stand mit einem angestrengten Ton auf.
Die Sonnenstrahlen schimmerten durch ihre beigen Vorhänge wie durch einen Filter, zeichneten sich auf ihrem Bett, aber auch auf ihrer zarten Haut ab. Ihre Haare waren etwas wirr, doch es würde nichts bringen, sie jetzt zeitaufwendig zu frisieren, wollte sie jetzt vor dem Frühstück noch ausreiten, sich ein wenig ablenken.
Lazlo würde ihr sicher helfen den Kopf von allem freizubekommen.
Also strich sie sich nur grob mit den Fingerspitzen durch ihre Haare, löste grobe Knoten durch diese Kamm-Bewegung und strich sie sich anschließend hinter die Ohren. So warf sie sich nur schnell eine weite, weiße Bluse über und zog eine beige Reithose an.
"Miss Jane", lief sie, kaum, dass sie ihre Zimmertür hinter sich verschlossen hatte, Bobbie in die Arme. Die letzten Tage musste er wohl ziemlich damit beschäftigt gewesen sein, sich Beatrice Launen entgegenzustellen. Schließlich hatte Jane ihn kaum gesehen, zumindest nicht, seitdem sie ihn im Stall hatte stehen lassen.
"Morgen Bobbie", begrüßte sie ihn mit einem schmalen Lächeln und blieb stehen, um zu erfahren, was er von ihr wollte. "Guten Morgen", erwiderte auch er zuerst, bevor er weitersprach: "Heute Mittag findet eine Besprechung mit dem Personal statt. Nächste Woche sollen die ersten Feierlichkeiten mit ein paar der erwarteten Gäste stattfinden. Das bedarf einer Einführung - für alle. Ihr Vater bat ausdrücklich darum, dass auch Sie mit Ihrer Anwesenheit glänzen sollen."
Jane nickte verständnisvoll - auch wenn es ihr heute noch weniger zusprach als sonst.
"Wann soll ich wo sein?" An Bobbies Gesicht erkannte sie, dass selbst er verwundert war, dass es keinen feurigen Kommentar ihrerseits gab. Keine ironische Bemerkung, die auch ihn dazu zwang, ein Lachen zu verkneifen. Nichts dergleichen.
"Um 15 Uhr im kleinen Treppenhaus." Er sah Jane noch länger an, als würde sie eine Bemerkung nachschieben, doch auch das tat sie nicht.
"Danke, Bobbie. Ich werde da sein." Jane schenkte ihm ein ehrliches Schmunzeln und mit einem Nicken verabschiedeten sie sich voneinander.
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Das Grand Hotel
Historical FictionIm glanzvollen Jahr 1954 betritt Harold Shelby mit ehrgeizigen Träumen das legendäre 'Grand Hotel'. Ein Ort, an dem Hollywood-Größen ein und aus gehen, und jede Anstellung als ein Ritterschlag gilt. Doch zwischen den luxuriösen Kulissen lauert ein...