Es war stockdunkel draußen, nur einzelne Blitze erhellten die Nacht, als Harold immer noch wach in seinem Bett lag, sein Arm quer über seine Stirn gelegt. Seine Augen wanderten über die Decke des Zimmers und Schlaf konnte er nicht so recht finden. Der heutige Abend war aufregend gewesen, das stand außer Frage. Selten hatte er und vermutlich auch die anderen hier bei einer solchen Veranstaltung die Gäste bedient.
Thomas hatte bis vor wenigen Momenten noch von Grace Kelly und ihrer Schönheit geschwärmt, wie grazil sie wirkte. Jetzt war nur noch sein leiser, flacher Atem zu vernehmen. Er schaute kurz zu ihm rüber und sah, dass er ihm mit dem Rücken zugewandt dalag. Er schmunzelte.
Thomas hatte Recht, jedoch stieß Harold eher bitter auf, was er in Mister Brixtons Büro mitbekommen hatte. Oder besser gesagt als er davorstand und sich die Personen in ihm dessen nicht bewusst waren. Nicht, dass er noch nie einen Streit mitbekommen hatte, ganz im Gegenteil.
Aber selten hatte er einen Streit, der so unter der Gürtellinie verlief, miterlebt. Streiten war normal, es gehörte zu Beziehungen und Freundschaften genauso wie alle guten Momente. Jedoch sollte man sich davor behüten, dass es so ausartete.
Noch immer hatte er Miss Janes Gesichtsausdruck vor Augen, als sie die Tür aufgerissen hatte und ihn zutiefst verletzt angeschaut hatte, die Tränen dabei in Bächen über die Wangen laufend. In diesem Moment war ihre Ausstrahlung eine ganz andere als er es gewohnt war.
Statt einer willensstarken Frau hatte er in den Tiefen ihrer Augen ein gebrochenes Kind erkannt, dass sich seiner selbst nicht mehr zu verteidigen wusste. Harold wusste nicht, warum es etwas mit ihm machte, aber über den gesamten Abend hatte er an sie denken müssen. Im Gegensatz zu ihrer Schwester war sie nämlich auch nicht mehr unten erschienen.
Miss Beatrice war nichts von dieser Situation anzumerken, vermutlich war es ihr sogar egal, dass Harold es mitbekommen hatte. Denn als er aus Höflichkeit noch wenige Minuten gewartet hatte, um einzutreten und das Essen auf den Schreibtisch zu stellen, hatte sie ihn wieder mehr oder weniger ignoriert und missbilligend angeschaut.
Harold drehte sich gerade auf die Seite, um zu versuchen seine Augen zu schließen, sich vom Geräusch des Regens in den Schlaf wiegen zu lassen, als er draußen auf dem Flur leise Schritte vernahm. Er schaute mit zugekniffenen Augen auf seine Nachttisch-Uhr. 2:56. Komisch.
Mit einem leichten Kopfschütteln wollte er die Geräusche nur als solche abtun, doch zu dem einen Paar Schritte gesellte sich ein zweites und auch gedämpfte Stimmen bahnten sich den Weg durch die Dunkelheit, durchschnitten sie förmlich.
Unter dem Türspalt wanderte nun auch ein schwacher Lichtstrahl, fast wie der einer Taschenlampe, entlang.
"Ich wecke einige der Mädchen, sie werden sie sicherlich finden, Mister Brixton", vernahm er gerade so Miss Adeles Flüstern, das gegen Ende schon in der Entfernung verloren zu gehen schien, genau wie das leichte Licht. Harold vermutete, dass sie und offenbar Mister Brixton den Flur entlang gegangen waren.
Ebenso wusste er genau, von wem sie sprachen. Es hatte kein Name fallen müssen. Jane.
Hätte er ihr vielleicht nachgehen sollen, nachdem sie so aufgelöst davongelaufen war? Er wusste es nicht. Genauso gut war es möglich gewesen, dass sie einfach nur zu ihrem Zimmer gelaufen war, um sich dort einzusperren. Er hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass jemand bei diesem Wetter freiwillig das Hotel verließ.
Man hatte schon an den Chauffeuren gesehen. Nachdem sie ihre Fahrgäste mit einem Schirm zum Eingang begleitet hatten, waren sie selbst von Kopf bis Fuß durchnässt.
Die Stimmen waren erst leiser geworden und nun ganz mit dem Schein der Lampe verschwunden. Harold drehte sich wieder auf den Rücken und wusste nicht ganz mit der Situation umzugehen. Wusste Mister Brixton überhaupt was vorgefallen war? Tat Miss Jane so etwas öfter?
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Das Grand Hotel
Ficción históricaIm glanzvollen Jahr 1954 betritt Harold Shelby mit ehrgeizigen Träumen das legendäre 'Grand Hotel'. Ein Ort, an dem Hollywood-Größen ein und aus gehen, und jede Anstellung als ein Ritterschlag gilt. Doch zwischen den luxuriösen Kulissen lauert ein...