06 Glücklich Sein

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"Du beehrst mich also mit einem gemeinsamen Abendessen?", lächelte Beatrice herausfordernd. Es war unverkennbar, dass sie eine der neuen Halsketten, die sie heute abgeholt hatte, trug.

"Tue ich." Jane biss sich auf die Lippen und zog sich einen der Stühle unter dem Tisch hervor. Sie schaute kurz auf die Polsterung, bevor sie sich hinsetzte und die Serviette, die kunstvoll gefaltet vor ihr stand, in die Hand nahm und auf ihren Schoß legte. "Wie war dein Tag, Beatrice?", lenkte sie sich von ihren eigenen Gedanken ab und schaute ihre Schwester wahrhaftig interessiert an.

"Ich habe den neuen Schmuck abgeholt - und Harold hat mich begleitet", erzählte sie und schaute Jane dabei direkt in die Augen.

"Harold?", erkundigte Jane sich. Einen Harold kannte sie hier nicht.

"Einer der Neuen. Wärst du gestern da gewesen, wüsstest du, wer es ist." Beatrice zuckte mit den Schultern.

"Als ob du alle Namen hier kennst", warf Jane aber mit einem rauen Lachen ein und hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht in Misses Brown-Manier in lautes Gelächter zu verfallen.

"Da hast du auch wieder Recht", nahm Beatrice das Ganze mit Humor und trank einen Schluck Weißwein. Auch wenn sie einen Großteil der Zeit unnahbar und etwas distanziert war, hatte auch sie ihre menschlichen Momente, in denen Jane ihre Schwester von vor vielen Jahren wiedererkannte. Die Schwester, die sich nicht jeden Tag massiv unter Druck setzte und versuchte, so perfekt zu sein, dass man nichts an ihr aussetzen konnte.

"Wo ist Papa?", unterbrach Jane ein kurzes Schweigen, das in Anbetracht des Geräuschpegels hier nicht wirklich als Schweigen bemerkbar war.

"Im Büro." Beatrice biss sich kaum merklich auf die Unterlippe und senkte den Kopf. Ihr Vater hatte unheimlich viel zu tun, war aber dennoch nicht bereit, einen Teil seiner Arbeit an sie abzugeben. Eine Tatsache, die sie es so interpretieren ließ, dass er es ihr noch nicht zu traute. Sie war eine Erwachsene Frau Ende zwanzig und wurde dennoch auf diese Art bevormundet. Vermutlich bekäme sogar Jane zuerst Papiere zu sehen, bevor man sie Beatrice überreichen würde.

Woran das lag konnte man nur mutmaßen, doch Jane war sich sicher, dass ihr Vater befürchtete, dass Beatrices oft impulsives Verhalten nicht unbedingt immer zu einer Besserung der Lage beitragen würde.

"Wird er es heute Abend schaffen?" Jane sah sie aus ihren dunklen Augen etwas enttäuscht an, woraufhin Beatrice nur den Kopf schüttelte.

"Ich werde gleich nach ihm sehen", fügte ihre kleine Schwester sofort an und war schon jetzt davon nicht mehr abzubringen - so gut kannte Beatrice sie doch noch.

Die beiden aßen schweigend und beobachteten eher aufmerksam die anderen Gäste. Da es erst der Anfang der diesjährigen Saison war, waren noch keine der hochkarätigen Gäste, die erwartet wurden, da. Diese kamen meist erst im frühen Sommer, wenn auch sie Drehpause oder generell Sommer-Pause hatten. Momentan waren also nur die üblichen Verdächtigen da, die teilweise auch hier zu wohnen schienen.

Jane schaute gedankenverloren durch den Salon und schaute den Kellnern nach, wie sie einer nach dem anderen an den verschiedenen Tischen Halt machten und neue Bestellungen aufnahmen oder servierten.

"Ich werde Papa etwas zu Essen bringen", beschloss sie. Dabei schaute sie Beatrice nicht einmal an, die sich inzwischen schon mit einer Frau des Nachbartischs unterhielt.

Sie wurde mit einem knappen Nicken, das sie vermutlich auch ein wenig abwimmeln sollte, entlassen und stand auf. Dabei nahm sie ihren Teller und ihr Besteck in die Hand, um sich langsam in Richtung Küche zu bewegen. Wieder einmal bildete sie sich ein, von irgendwem stumm dafür verurteilt zu werden, doch sie versuchte diese Gedanken einfach abzuschütteln.

Das Grand HotelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt