08 Ein stummes Abkommen

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Als sie das nächste Mal ihre Augen öffnete, wollte sie sie vor Scham am liebsten sofort wieder schließen. Der warme Körper unter dem ihren war wie erstarrt und ihr Blick wanderte von der in ein Baumwollhemd gehüllten Brust zu dem Gesicht des Mannes.

Sie stützte ihre Hände im leicht feuchten Gras ab, um ein letztes bisschen Würde und Abstand zu dem ihr Fremden zu bewahren.

"Es tut mir so leid, ich habe Sie nicht gesehen." Jane spürte, wie ihre Wangen vor Scham glühten. Die setzte sich mühselig auf und versuchte dabei, den Mann nicht noch weiter zu massakrieren. Es war wie beim Eier-Tocken gewesen - das hatte sie als Kind an Ostern immer mit Beatrice getan.

Nur war sie das unbeschädigte Ei und hatte sofort wieder aufspringen können, kaum dass sie zu Boden gegangen war.

Ihr Gegenüber nicht. Sie hatte den Mann erst im letzten Moment gesehen, so beschäftigt war sie damit gewesen, schnellstmöglich vor Cal zu flüchten, der jeden Moment mit zwei Gläsern Rotwein zurückkehren wollte. Er hatte so lange auf sie eingeredet, dass das der einzige Weg war, noch einen annehmbaren Abend zu erleben - ohne ihn. Gott, war er ein Schwätzer.

"Spielen Sie Rugby?", hustete der Mann, der sich aus seiner Starre löste und langsam aufsetzte und ließ erst jetzt die Zigarette fallen, die er wohl schon geraucht hatte, als sie ihn unabsichtlich zu Boden gebracht hatte.

Jane biss sich verlegen auf die Unterlippe und hielt ihre Hand weiterhin ausgestreckt, um ihm wenigstens aufzuhelfen. Es hätte sie nicht gewundert, wenn sie ihm gerade eine Rippe gebrochen hatte.

"Nein, aber offenbar sollte ich damit anfangen", kam es ihr automatisch über die Lippen und beinahe bereute sie es.

Aber über ihr Mundwerk brauchte sie sich in einer solchen Situation wohl keine Gedanken zu machen. Viel mehr musste sie hoffen, dass sie niemanden erwischt hatte, der es ihrem Vater, oder schlimmer noch, Beatrice erzählen würde. Was an der Geschichte schlimmer war, wusste sie nicht: Dass sie vor Cal weggelaufen war, oder das sie im Garten auf einem Fremden lag.

"Das sollten Sie wirklich in Betracht ziehen." Der Mann griff nicht nach ihrer Hand, sondern stand aus eigener Kraft auf und hielt sich für einen Moment lang die Seite. Mit schmerzverzogenem Gesicht klopfte er sich kurz das Gras vom Rücken und hustete einmal trocken.

Jane musterte ihn, soweit die Dunkelheit es erlaubte und konnte sich nicht besinnen, ihn schon einmal gesehen zu haben. Auch er überragte sie, das erinnerte sie ein wenig an Thomas. Doch wirkte er noch ein kleines Stück größer, was vermutlich daran lag, dass seine breiten Schultern seine Erscheinung etwas wuchtiger wirken ließen. Die oberen zwei Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet, doch sie wandte schnell den Blick ab.

Bevor sie vergaß, warum sie in dieser Situation war, drehte sie sich zum Hotel um, in der Hoffnung, dass Cal nicht schon über die Wiese in ihre Richtung stolzierte, um sie darüber zu belehren, wie unhöflich sie doch war. Genau in diesem Augenblick, sah sie ihn von Weitem, wie er mit seinem dunkelblauen Anzug durch die geöffnete Glastür auf die gepflasterte Terrasse trat.

Sofort machte sie noch einen großen Schritt zur Seite, um wenigstens zu versuchen, sich hinter einem der großen, dicht bewachsenen Sträucher zu verstecken. Erst da bemerkte sie, dass auch ihr Kleid voller Erde war, an einer Stelle konnte sie sogar ertasten, dass ein einzelner langer Faden herausragte.

"Ist er noch da?", wollte sie mit nicht mehr als einem Hauchen wissen und wusste, dass sie von dem Mann mehr verlangte als angebracht. Dabei ging sie davon aus, dass er sofort wissen würde, wen sie meinte. Cal gehörte nicht gerade zu der Sorte Mensch, die nicht herausstach. Sein überhebliches Grinsen reichte für eine ganze Stadt.

Als Sohn eines Industriellen glaubte er, die Welt läge ihm zu Füßen, oder besser gesagt die Frauen darin. Doch bei Jane löste sein Verhalten alle Alarmglocken aus.

Das Grand HotelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt