"Miss Brixton erwartet Sie bereits."
Harold nickte und versuchte sein Unbehagen herunterzuschlucken, als er sich über den Kiesweg Richtung Automobil bewegte. Lieber hätte er bis tief in die Nacht gearbeitet, als seinen Tag ihr zu widmen.
Er würde sich beherrschen müssen, aus Trotz in einem schwachen Moment nicht von den Gerüchten über sie zu sprechen. Das würde ihn seinen Job zweifelsohne sofort kosten.
Er musste sich alles gefallen lassen, was sie ihm gegenüber sagen oder verlangen würde - ganz ohne Widerrede.
Er sah den cremefarbenen Wagen bereits von Weitem und vermutete, dass sie bereits Platz genommen hatte.
Mit nur wenigen, langen Schritten erreichte er das Fahrzeug und machte sich auf eine schnippische Bemerkung gefasst, als er zum ersten Mal in das Innere blickte.
Er musste wie ein Schwachsinniger ausgesehen haben, als er die Tür öffnete und geradewegs in Janes dunkel geschminkten Augen schaute.
"Guten Morgen." Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauchen, das behutsam hervorgebracht wurde, als sie ihn ansah.
"'Morgen", konnte Harold nur hervorräuspern und den Kloß in seinem Hals herunterschlucken, als er die Tür hinter sich zuzog.
"Haben Sie mit jemand anderem gerechnet?" Jane faltete die Hände im Schoß zusammen und wirkte etwas zurückhaltend. Harold glaubte ein humorvolles Schimmern in ihren Augen zu erkennen.
"Mit Ihrer Schwester", gab er zu, "Ich habe mich auf einiges gefasst gemacht."
Sie lächelte.
"So ist das bei Beatrice", gestand sie. "Schön Sie zu sehen", schob sie noch nach und er konnte als Antwort darauf nur nicken.
"Wo kann ich Sie denn hinbringen?" Auch er legte seine Hände nun auf seine Oberschenkel und drehte sich zu ihr herüber.
"Zum 'Chapters'."
"-ein Buchladen", fügte sie hinzu, weil er sie eher fragend ansah. So gut kannte er sich schließlich nicht aus, konnte lediglich dorthin fahren, wo man ihn hinlotste.
Vermutlich war ihm seine Erleichterung darüber, dass er sie zu einer Buchhandlung fahren konnte, anzusehen. Denn verbergen konnte er nicht, dass er insgeheim froh war, nicht wieder in eines dieser Kaufhäuser fahren zu müssen, in denen jeder viel zu viel Zeit verschwendete und viel zu viel Geld ausgab.
Noch dazu durfte jemand wie er, der offensichtlich als Angestellter zu erkennen war, sich dort weder hinsetzen, noch irgendetwas nur eine Sekunde zu lange ansehen, ohne des Diebstahls bezichtigt zu werden.
Nicht, dass er auf eine gewisse Art ein Dieb war.
Erst als er losfuhr, fragte er sich, warum er im ersten Moment so aus der Fassung gebracht worden war, als er Jane statt Miss Beatrice antraf. Vielleicht hatte er doch mehr in die letzten Tage interpretiert als er sich eingestehen konnte und war gewissermaßen angekratzt, dass er so lange nicht mit ihr gesprochen hatte.
"Kennen Sie Agatha Christie?", kam es vom Beifahrersitz, bevor er sich weitere Gedanken machen konnte und sich deren Lächerlichkeit bewusst wurde.
"Ich glaube, ich habe den Namen schon einmal gehört."
Sie verließen das Gelände des Hotels und bogen auf eine lange Hauptstraße ab.
"Sie ist eine der bekanntesten Autorinnen von Kriminalromanen. Mit zwölf habe ich 'Der Juwelenraub im Grand Hotel' geschenkt bekommen und seitdem versucht, möglichst viele ihrer Bücher zu bekommen - das ist manchmal gar nicht so einfach wenn man in dieser Stadt wohnt."
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Das Grand Hotel
HistoryczneIm glanzvollen Jahr 1954 betritt Harold Shelby mit ehrgeizigen Träumen das legendäre 'Grand Hotel'. Ein Ort, an dem Hollywood-Größen ein und aus gehen, und jede Anstellung als ein Ritterschlag gilt. Doch zwischen den luxuriösen Kulissen lauert ein...