07 Bones Dillard

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In dieser Nacht ertappte Harold sich, wie er wieder unter dem Baum saß und eine Zigarette rauchte. Gestern noch hatte er sich vorgenommen, diesen Ort nachts zu meiden, aber nachdem er die Frau von gestern heute noch immer nicht gesehen hatte, fragte er sich bereits, ob er sie sich nur eingebildet hatte. Gut möglich, oder?

So viel Parfüm und Rauch er hier einatmete und so viele Gespräche wie er passiv wahrnahm, sollte es einen nicht wundern, wenn die ein oder andere Replik davon sich nur in seinen Gedanken abspielte.

Thomas hatte ihn eben schon enttarnt und betont, wie gleichgültig Harold seine Sichtung gestern doch gewesen sei, aber so etwas wusste er abzuschütteln. Letzten Endes interessiert doch niemand sich für einen. Das alles spielt sich eher auf einer oberflächlichen Ebene ab, auf der man Schwachstellen sucht, um sich diese später zu Nutzen zu machen.

Er saß eine gefühlte Ewigkeit im Gras. Aus einer Zigarette wurden schnell zwei, dann drei. Als er sich gerade die vierte Zigarette anzündete, konnte er schon nicht mehr sitzen. Der harte Boden begann ihn dann doch zu stören.

Mit einem tiefen Ausatmen motivierte er sich dazu, aufzustehen - die Zigarette zwischen die Lippen geklemmt, um sich mit den Händen auf dem weichen Gras abzustützen. Seine dunkle Stoffhose bemühte er sich gar nicht erst von Blättern oder Schmutz zu befreien.

Wieder nahm er einen tiefen Zug und schloss für einen Moment seine Augen. Dann betrat auch er den etwas prominenteren Weg, auf dem kein Gras mehr wuchs, weil er so oft genutzt wurde. Ihm war in diesem Moment bewusst, dass vielleicht jemand ihn von Weitem sehen konnte, doch gerade war es ihm egal.

Er erledigte seine Arbeit hier einwandfrei und war der kurzen Zeit noch für nichts kritisiert worden. Einen nächtlichen Rundgang konnte er sich dann wohl erlauben. Bei Nacht war es ihm wohl eher gestattet, sich das Gelände einmal anzusehen, als bei Tag.

Dabei hielt er sich absichtlich stets an dem Rand des Weges auf, der nur sehr schwach von den vereinzelten Lichtstrahlen der großen Laternen erreicht wurde. Sie sahen aus, als bestehen sie aus Messing. Selbst in der Dunkelheit war unverkennbar, dass sie fein säuberlich lackiert waren. Eine Stelle, an der die dunkle Farbe abblätterte, musste man wohl sogar bei Tageslicht mit großer Mühe suchen.

Harold war immer wieder erstaunt, wie kleinlich und genau manche Gärtner Buchsbäume schneiden und formen konnten - diese hier waren ein perfektes Beispiel dafür. Dass auf einem derart großen Gelände diese Form von Exaktheit zu finden war, bewies wieder einmal, wie viele Gärtner dieses Hotel haben musste. Tagtäglich mussten es mindestens zehn sein, die von morgens bis abends mit ihren Scheren über das Gelände liefen und akribisch jeden überstehenden Ast abschnitten und jedes verfärbte Stück Gras wässerten.

Er war zwar nicht arbeitsscheu und arbeitete gerne hart, aber diese Art Beschäftigung war nichts für ihn. Es war ein nicht endender Kreislauf an der immergleichen Arbeit. Harold bevorzugte Arbeit, die man fertigstellen konnte. Wenn man sich um das Wohlbefinden eines Gastes kümmerte, gab es immer den Zeitpunkt, an dem man damit anfing und den an dem man damit fertig war und ihn verabschiedete oder in die Hände des Nächsten übergab.

Natürlich war das auch nur etwas für jemanden, der mit Menschen reden konnte, sie und ihre Blicke und Wünsche deuten konnte. Um eine Gartenschere in der Hand zu halten bedurfte es wahrlich keiner Menschenkenntnis oder sozialen Kompetenz.

Er kramte während er so schlenderte eine neue, unangezündete Zigarette aus seiner rechten Hosentasche. Statt sie jedoch anzuzünden, steckte er sie sich nur zwischen die Lippen - fast wie einen Lolli.

Während er immer weiter vom Weg abkam, wurde die Zigarette auch immer unbrauchbarer, da er zwischendurch auch seine Zähne in sie hineinbohrte. Gerade schien ihm das erst aufzufallen, als er aufschaute und bemerkte, dass er nun das Hotel durch die bodentiefen Fenster der Terrasse wie im Querschnitt betrachten konnte.

Das Grand HotelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt