04 Mrs. Brown

9 4 0
                                    

"Guten Abend, entschuldigen Sie die Verspätung." Jane nickte Mister und Misses Brown einmal kurz zu. Beatrice schaute sie nur für den Bruchteil einer Sekunde an, Jane konnte aber an ihrem aufgesetzten Lächeln erkennen, dass selbst sie gerade lieber woanders wäre.

"Oh Liebes, kein Problem. Du siehst wunderschön aus", strahlte Misses Brown sie an. Dabei war Jane sich aber ziemlich sicher, dass sie eher mit den Diamanten an ihren Ohren sprach als mit ihr. Wie hatte Marilyn Monroe noch neulich in einem Film gesungen: "Diamonds are a girl's best friend".

"Danke." Jane nickte höflich und glitt auf den gepolsterten Stuhl. Er gehörte zu jenen, die sie erst seit kurzem im Salon hatten, weil die alten ausgetauscht wurden. Wobei „alt" eine Übertreibung war, sie hatten nicht einmal fünf Jahre ausgehalten.

"Sie sehen wirklich zauberhaft aus", meinte zuletzt auch noch Mister Brown, dessen Augen einen Moment zu lange Janes blanke Schultern musterten, die aus ihrem schwarzen Etui-Kleid herausragten. Als sie sich dessen bewusstwurde, nickte sie nur leicht beschämt und schaute kurz auf das Blumen-Bouquet vor sich.

Rote Rosen. Oh Gott.

"Jane meinte heute auch schon, dass sie sich sehr freut, Sie begrüßen zu dürfen. Sie zählen zu unseren Ehrengästen", setzte Beatrice an, woraufhin sich Jane erst einmal ein Glas Champagner bei einem der vorbeigehenden Kellner bestellte.

"Tatsächlich?" Misses Brown sah sichtlich erfreut aus.

"Auf jeden Fall. Unser Vater lobt Sie seit Ihrem ersten Besuch für ihre Geduld und Ihren Humor", gab Jane lächelnd wieder, was sie wirklich schon sehr oft von ihrem Vater gehört hatte. Er schätzte die Browns.

"Da wird man ja rot." Miss Brown tupfte kichernd mit ihren Fingerspitzen ihre Apfelbäckchen und Beatrice stimmte mit ihr ein. Jane empfing in diesem Moment ihr Glas Champagner, aus dem sie sofort eifrig einen großen Schluck trank. Der bittere Geschmack des mehr als trockenen Champagners ließ sie kurz die Nase rümpfen. Es war immer der erste Schluck, der sie einen Hauch von Überwindung kostete. Jeder weitere erleichterte ihr die Sache immens.

Dem folgenden Gespräch lauschte Jane eher stumm. Als stille Beobachterin hörte sie den anderen drei zu, wie sie über die unterschiedlichsten Themen sprachen. War es Politik, Sport, oder der neueste Klatsch und Tratsch, der sich - zumindest meinte das Misses Brown - sogar hier im Grand Hotel abgespielt hatte. Es hatte irgendetwas mit Paul Newman zu tun, mehr hatte Jane ehrlicherweise nicht verstanden, da die Erzählung von mehreren Emotionsausbrüchen unterbrochen wurde: lautes Lachen, auffälliges Flüstern oder auch stummes Verurteilen gehörten zu Misses Browns Repertoire.

"Entschuldigt mich, ich gehe kurz an die frische Luft." Jane schob ihr zweites leeres Champagner-Glas etwas weiter in die Mitte des Tisches und stand auf. Das schwarze Kleid strich sie kurz glatt, bevor sie mit einem leichten Nicken entlassen wurde. Beatrices Augen bohrten sich ihr förmlich in den Rücken, doch es tat ihr nicht wirklich leid, sie allein bei den Browns zurückzulassen. Sie hatte ihren Teil beigetragen und war beinahe zwei Stunden am Tisch geblieben.

Jane visierte die große Glastür an, die einen direkten Zugang zur Außen-Terrasse und von dort aus in den Garten bot. Auf ihrem Weg dorthin mied sie die Blicke jeglicher Gäste, um sie nicht dazu zu verleiten, sie anzusprechen. Eigentlich mochte Jane es sehr, Gesellschaft zu haben. Aber nur, wenn sie wusste, dass ihr Gegenüber auch ernsthaft die ihre suchte. Höflichkeiten waren eine Sache, aber so zu tun, als sei man jemandes bester Freund, weil man sich davon erhoffte irgendeinen Vorteil zu erlangen, widersprach ihr.

Traurigerweise konnte sie wenige Menschen als ihre richtigen 'Freunde' bezeichnen. Am nächsten kam ihr Vater einem Freund, auch wenn er sie manchmal etwas rumkommandierte. Er war stets interessiert, was sie las, was sie im Wald sah oder was sie schrieb. Ihre Mutter hingegen war ihr gegenüber wie Beatrice. Also sahen die beiden sich nur optisch sehr ähnlich, sondern pflegten als Gemeinsamkeit auch ein recht unterkühltes Verhältnis zu ihr.

Das Grand HotelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt