18 Lucky Strike

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"Wo warst du?", ertönte Thomas Stimme, kaum dass Harold die Zimmertür hinter sich zugezogen hatte.

„Unterwegs", entgegnete er knapp und zog eine Zigarette, die sich noch in seiner Hosentasche befunden hatte und nicht mehr brauchbar war, hervor und warf sie in den Müll. Sie war einmal durch den Regen aufgeweicht und anschließend wieder festgetrocknet. Er hätte sie wie einen Zahnstocher zerbrechen können.

"Mitten in der Nacht?" Thomas grinste ihn an, als wäre es nicht gerade einmal nach vier Uhr morgens.

"Mitten in der Nacht", bestätigte er und zog seine Schuhe aus, warf sie ohne Bedacht neben sein Bett, knöpfte sein Hemd ebenfalls auf. Auch er brauchte unbedingt ein Bad. Der Stoff seines Baumwollhemdes war so getrocknet, dass er auf der Haut kratzig auflag, ähnlich wie bei Handtüchern, wenn man sie im Sommer in der Mittagssonne trocknete.

Inzwischen war es schon hell, unter normalen Umständen hätte seine Frühschicht nun schon beinahe begonnen. Müdigkeit empfand er seltsamerweise nicht, viel mehr schien er voller Energie, gar Bewegungsdrang zu sein. So als habe er kürzlich einen Dopamin-Schub bekommen, der seinem Körper, der eigentlich ausgelaugt sein sollte, Energie spendete.

"Du weißt, dass bestimmt irgendjemand gesehen hat, wo du warst?" Thomas forderte ihn heraus. Die Wände hier hatten vielleicht Augen und Ohren, aber nicht der Pferde-Stall einige hundert Meter weiter. Dessen war Harold sich sehr sicher. Zu sicher?

Mit einem abwinkenden Kopfschütteln setzte Harold sich auf sein Bett. "Sieh lieber nach, ob deine Schauspielerin noch da ist", brachte er noch trocken hervor und erklärte damit diese Konversation für beendet.

Sein Verhalten gegenüber Thomas war nicht kameradschaftlich, aber es gab Dinge, die man nicht jedem erzählen musste. Harold hatte in seinem Leben aus vergangenen Fehlern gelernt und trug nicht alles nach außen, das ihn beschäftigte.

Viel mehr gab er Dingen, die er selbst noch nicht ganz für sich entschlüsselt und sortiert hatte, keine Gelegenheit seinen Alltag zu beeinflussen. So lange nur man selbst über etwas Bescheid wusste, konnte es einem nicht im Weg stehen.

Die Erschöpfung machte sich in Harold erst am Abend bemerkbar. Zwar hatte er wie frisch gestriegelt seine Arbeit verrichtet, aber sobald er für den Tag entlassen worden war und draußen eine letzte Zigarette rauchen wollte, fühlten seine Glieder sich an, als hinge ein Betonklotz an ihnen. Auch seine Augenlider fielen ihm immer wieder zu und er rieb sie mit dem Handballen.

Nach wenigen Momenten entschied er sich dazu, sich einfach auf die Steintreppe zu setzen und wenigstens seine Beine einen Moment zu entlasten und von sich zu strecken. Er atmete tief ein und aus und sah auf die kleinen Funken herab, die mit der Asche zu Boden fielen und auf dem kalten Stein ein jähes Ende fanden.

Thomas und wenige andere standen wie üblich einige Meter entfernt am Wegrand, andere saßen auf der Wiese. Doch das schaffte er heute nicht mehr. Ihre Gespräche drangen sowieso auch bis zu ihm durch, nur ein Teil davon war er nicht. Es würde ihm niemand übelnehmen, gehörte er auch üblicherweise nicht zu den Initiatoren oder denen, die große Reden schwangen.

Die wenigen Wortfetzen beinhalteten mal wieder bevorzugt die bekannten Namen dieses Ortes. Miss Adele, Beatrice und Jane nur ein Teil davon.

Über Miss Adele wurden die üblichen Bemerkungen gemacht. Ihre kalte Art, ihr Wesen und jeder Atemzug dieser Frau wurden streng beäugt und ins Lächerliche gezogen. Scheinbar mussten einige ihr Angst vor ihr hinter einem Lachen verbergen, ließen sich dazu verleiten Worte auszusprechen, die sie dieser Frau niemals ins Gesicht sagen könnten. Ehre würden sie im Erdboden verschwinden, als den Mut dazu aufzubringen.

Als sie über Jane sprachen, hörte er nicht mehr so genau zu und blendete es bewusst aus. Vermutlich wurden wieder einige unangebrachte Bemerkungen geteilt, über die die Zimmermädchen wie Jenny nur leise kicherten. Würde über sie selbst derartig gesprochen, brächen sie aber in Tränen aus und würden mit gepackten Koffern noch heute kündigen.

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