15 Grace Kelly

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"Grace Kelly, kannst du Dir das vorstellen?", schwärmte Beatrice weiterhin davon, wie eine der Hauptdarstellerin des Films sich ihr vorgestellt hatte. Sie stand in der Nähe des Schreibtischs und hatte gerade eben erst das Fenster geschlossen, um das laute Herunterprasseln des Regens auszusperren. Es schüttete seit Stunden wie aus Eimern, die dunkle Wolkendecke offenbarte keinen einzigen Lichtstrahl mehr, brach nun auch so langsam sowieso die Dunkelheit ein.

Jane nickte mit einem interessierten Gesichtsausdruck, oder versuchte besser gesagt einen zu mimen, und musste sich erst einmal setzen. Sie waren gerade im geräumigen Büro ihres Vaters und die zwei Stunden unten in der Menge hatten sie schon ausgelaugt. Ihre hohen Schuhe hatte Jane von sich geworfen, sobald die massive Tür des Büros hinter ihr und Beatrice zugefallen war.

Jetzt warteten sie nur noch auf ihren Vater, der sich gleich zu ihnen gesellen würde, um den Einstieg in diesen wichtigen Abend Revue passieren zu lassen und gemeinsam zu entscheiden, ob er gelingen würde.

"Kaum zu glauben", antwortete Jane doch noch auf ihre Schwester, die hier heute Abend niemandem in irgendetwas nachstand. Ehrlich gesagt glich sie heute der blonden Grace Kelly sehr. Ihre hellblonden Haare waren ähnlich frisiert und ihr roter Lippenstift mindestens so akkurat aufgetragen.

Auch Janes Haare waren in Wellen gelegt, doch wirkte eine solche Frisur bei Beatrice weitaus glamouröser als sie es bei Jane tat. Bei Jane sah es weniger gewollt aus, als bei ihrer älteren Schwester.

"Ich glaube, ich mische mich gleich noch einmal unter die Menge", stieß Beatrice auf eine freudige Art hervor, die Jane überhaupt nicht mehr von ihr gewohnt war. Das bissige, gemeine, das sie in letzter Zeit mit sich trug, schien aus ihr gewichen zu sein. Zumindest in diesem einen kurzen Moment.

"Ich glaube, ich halte die Stellung in meinem Zimmer." Jane rieb sich mit den Handflächen über die schmerzenden Knöchel und strich das cremefarbene Kleid über ihrem Oberschenkel glatt. Es enthielt sogar etwas Tüll, das vereinfachte die Sache nicht unbedingt, da der Stoff so noch widerspenstiger war.

"Jane, das ist die Chance, einen Mann kennenzulernen. Einen mit Einfluss und Geld, nicht nur einem von beiden. So eine Gelegenheit bekommt man nicht oft", entfuhr es Beatrice auf eine Art, die erahnen ließ, dass Jane sie zu früh gelobt hatte. Jetzt würde die Stimmung ganz und gar umschlagen.

"Und dich hält niemand davon ab, dein Glück zu versuchen. Nur das ist nichts für mich..."

Sie richtete ihren Blick aus den großen Fenstern und beobachtete, wie es draußen nur so schüttete. Zu den Regenmassen gesellten sich auch vereinzelte Blitze, die aber so weit entfernt einschlugen mussten, dass das Donnern kaum zu vernehmen war.

"Jane, sei nicht stur."

"Das hat nichts mit stur zu tun, das ist einfach nicht das, was zu mir passt."

"Und was passt zu Dir?" Beatrice sah sie fragend an, ihre perfekt gezupften Brauen in die Höhe gereckt.

"Ein Mann, der mich auch möchte, wenn ich nicht wie eine Puppe aussehe." Jane deutete an sich herab und wollte einfach nur, dass ihr Vater kam, um sie für heute zu entlassen. Dieses Thema gehörte zu denen, die Beatrice aufbauschte. Sie warf Jane vor, dass sie sich vor ihrer Zukunft verschloss, doch verstand Jane nicht, warum es Beatrice ein solches Begehren war, dass Jane jemanden kennenlernte - außer, dass sie sie dann vielleicht los war.

"Jane. Kein Mann, der uns ebenbürtig ist, gibt sich mit einem Mädchen zufrieden, das lieber im Wald Pferdchen spielt, als so etwas hier beizuwohnen." Diese Worte verletzten Jane nicht wirklich, hatte sie sie schon zu oft gehört.

"Dann brauche ich keinen Mann."

"Du bist naiv. Und töricht."

"Nein, Beatrice. Ich habe Ansprüche an mein Leben und möchte wenigstens eine Sache selbst entscheiden", feuerte Jane zurück und stand auf, wagte es jedoch nicht, auf ihre Schwester zuzugehen.

"Um wie zu enden?", forderte Beatrice sie heraus. "Sag es mir!" Sie wurde immer lauter.

Jane schüttelte den Kopf und spürte wie ihr die Müdigkeit und das Ärgernis doch langsam zu Kopf stiegen und ihre Augen sich mit Tränen zu füllen drohten. Sie wollte nur ins Bett und sich nicht wieder mit Beatrice über das immer selbe Thema streiten.

"Wie Mutter? Eine Trinkerin im Irrenhaus? Jane, deine Bücher retten Dich nicht, dein Pferd rettet Dich nicht. Du wirst genau enden wie sie, verstoßen unter dem Vorwand einer raschen Genesung und niemand wird Dich mehr besuchen, sobald Vater weg ist!"

Beschämt stellte Jane fest, dass der Damm ihrer Beherrschung doch noch gebrochen war und ihr unkontrollierte Tränen über die Wangen liefen. Beatrice hatte das ausgesprochen, was jeder dachte.

Ihre Mutter war nicht nur in einer Entzugs-Kur, sie war in einer Anstalt. In einer, in der sie sie noch nicht einmal besuchen durften.

Jane ließ vieles über sich ergehen, aber eine so belastende Zukunft angeheftet zu bekommen, war eine Unverschämtheit. Solche Aussagen hatte auch eine Beatrice sich nicht zu erlauben.

"Nimm das zurück", brachte Jane mit zittriger, leiser Stimme hervor und wischte sich nicht einmal die Tränen aus dem Gesicht, die bis zu ihren Mundwinkeln herunterliefen, dort salzige Spuren hinterließen.

"Die Wahrheit kann man nicht ungehört lassen", erwiderte Beatrice nur noch kalt und schaute sie auf eine so herablassende Art an, wie sie nicht einmal die Zimmermädchen hier musterte.

Ohne sich weiter dieser Demütigung auszusetzen, rannte Jane zur Tür und riss diese auf. Wie versteinert blieb sie stehen, als sie in die grünen Augen des Mannes vor sich blickte, der im gedämpften Licht des abgedunkelten Flurs mit einem Tablett weiß Gott wie lange schon dastand, vermutlich jedes einzelne Wort gehört hatte.

Sie schaute ein letztes Mal über ihre Schulter und raffte ihren Rock, um einfach nur zu rennen, so weit weg wie sie irgendwie konnte.

"Lauf nur weg, mehr kannst du nicht!", hörte sie noch die Frau, die sie Schwester nennen musste und lief so schnell ihre Beine sie irgendwie trugen barfuß durch die Flure ihres Zuhauses, das in diesem Moment nicht mehr groß genug für sie und Beatrice war.

Warum schaffte es Beatrice immer wieder, dass sie zu einem kleinen Mädchen wurde, dass sich nicht wehren konnte? Nie hatte sie die passenden Worte, um auf die Anfeindungen ihrer Schwester zu reagieren. Stattdessen musste sie wie ein Feigling davonlaufen.

Sie blieb nach einer Abbiegung kurz stehen rieb mit dem Unterarm über ihr Gesicht. Ihre Atmung war laut und unregelmäßig, als sie ihr Gesicht in den Händen vergrub, um ein lautes Schluchzen zu verbergen. Sie versuchte einige Male tief ein und auszuatmen, um ein wenig ihrer Fassung zurückzuerlangen.

Tränen vergoss sie keine. Das geschah nur, wenn sie vollends die Fassung verlor und kurz vor der Ohnmacht stand. Dennoch war sie emotional aufgewühlt und wusste nicht wohin mit sich selbst.

Als sie dumpfe Schritte auf dem Teppichboden hörte, rannte sie einfach weiter.

Sie lief soweit sie konnte, in ihrem lächerlichen, hellen Kleid, ignorierte die Nässe der Steintreppe des hinteren Eingangs, die ihre Fußsohlen bis in die Oberschenkel hochkroch und lief auch über den Schotterweg unbeirrt weiter. Jane war es egal, ob jemand sie sah, selbst wenn Grace Kelly sie so sah – sollte sie doch. Die Regentropfen peitschten ihr förmlich ins Gesicht und ihr Kleid schien durch die Nässe immer schwerer zu werden.

In Momenten wie diesen wollte sie einfach ihre Tasche packen und verschwinden, so weit weg, wie sie nur irgendwie konnte. Das Einzige, was sie davon abhielt, war ihre Liebe zu ihrem Vater, den sie niemals im Stich lassen wollte. Er verstand sie - zumindest meistens - und wusste, wie es war, wenn niemand auf seiner Seite war.

Er war für sie das Beispiel, dass auch ihr Leben irgendwann den richtigen Weg einschlagen würde und sie ihren Platz finden würde.

Jane wurde nach wenigen Moment komplett von der Dunkelheit verschluckt und verlor keinen Gedanken an ihren besorgten Vater, der schon Beatrice ausfragte, was geschehen war.

Das Grand HotelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt