A R A Z
Alter 11
Ich renne. Ich blicke dabei unter keinen Umständen zurück nach hinten. Ich weiß zwar nicht wohin ich überhaupt fliehen will, doch das ist mir in diesem Moment egal. Ich renne immer weiter, hinunter den Hügel und weiche die vielen Büsche und Äste, die mir in den Weg kommen aus, bis ich plötzlich inne halte. Nun stehe ich tief mitten in einem Wald. Ich keuche mit rasendem Herzen auf und versuche meine Atmung zu beruhigen, woran ich jedoch scheitere. Denn meine Atmung wird anstatt sich zu legen, immer wilder und unruhiger, obwohl ich nicht mal mehr am laufen bin. Hier bist du sicher. Er kann dir jetzt nichts mehr antun, denke ich. Und ich hoffe innigst, dass ich damit auch Recht hatte.
Als sich meine schwere Atmung wieder normalisiert hat, stelle ich mich wieder gerade auf, und blicke erst einmal langsam um mich herum. Ich studiere den Wald. Es sind etliche Bäume zu sehen, welche durch die dunkle Nacht noch viel düsterer erscheinen. Und es ist kalt. Sehr kalt. Bevor ich dem Mann, welchen ich mehr als alles andere auf der Welt fürchte, entflohen bin, habe ich nicht mal die Zeit dazu gehabt, mir warme Sachen anzuziehen, geschweige denn überhaupt Schuhe. Und nun stehe ich hier ganz alleine. Ohne Schuhe, mit knappen Klamotten, und ich erfriere halb zu Tode in diesem finsterem Wald. Ich habe solche Angst, jedoch ist mein wieder mal betrunkener Onkel hier nirgends zu sehen, also habe ich wenigstens etwas, worüber ich erleichtert sein kann. Ich entscheide mich dazu, mir schnell eine Stelle zu suchen, wo ich die Nacht über verbringen kann. Plötzlich erblicke ich einen relativ hohen Baum und tapse mit meinen nackten Füßen augenblicklich hinüber um mich unter ihm hinzusetzen. Es ist zwar etwas ungemütlich, aber besser als noch weiterhin bei meinem verrückten Onkel bleiben zu müssen.
Schon seit dem ich denken kann, sind wir arm gewesen. Meine Eltern haben zwar ihr bestes getan, um für mich und meinen älteren Bruder sorgen zu können, und haben sogar immer wieder extra Schichten eingelegt. Doch dies hat nicht lange angehalten, bis sie vor Ermüdung nicht mehr konnten und an der Überanstrengung früh verstarben und sie mich mit meinem Bruder und Onkel zurück gelassen haben. Ich habe mich immer sehr gut mit meinem Bruder verstanden. Er war zwar 5 Jahre älter als ich, doch er behandelte mich deswegen nicht schlechter. Im Gegenteil. Ich bin wie sein bester Freund gewesen, und er war auch meiner. Ich habe immer schon auf ihn herauf geblickt und ihn bewundert. Ich habe ihn verehrt. Allerdings hat sich unser Verhältnis stark verändert, als wir zu unserem Onkel ziehen mussten. Unsere Bruderschaft war seit dem Tage an, nicht mehr wie sie vorher gewesen war. Er war seitdem Tage an, nicht mehr wie zuvor. Er wandte sich von Zeit zu Zeit immer mehr von mir ab, und hat sich oft mit unserem Onkel über die kleinsten Dinge gestritten, was meinen Onkel nur immer aggressiver gemacht hat. Und als mein Bruder dann schlussendlich genug davon hatte, haute er mit nur 16 Jahren ab, und ließ mich mit meinem provokanten Onkel zurück. Und als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, tat er dies auch noch ohne mit der Wimper zu zucken. Er hatte mich einfach aus seinem Leben ausgelöscht. So als hätte ich für ihn nie existiert. Er sah mich so an, als sei ich ein Fremder für ihn gewesen. So als hätte ich für ihn nichts bedeutet. Doch seitdem hatte ich etwas wichtiges für mich als Lektion gelernt. Vertraue niemandem. Und mit niemandem meine ich auch niemandem.
Ich habe mir geschworen mich nie wieder so verarschen zu lassen. Vorallem nicht von Menschen, die mir am Herzen liegen. Deshalb darf ich mich nicht verletzlich machen, indem ich anderen vertraue, die mich in der Zukunft sowieso hintergehen würden. Seit dem tue ich das, was mir als einziges übrig bleibt - für meine eigene Sicherheit, damit ich nicht komplett daran zerbrechen würde. Ich renne.

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Ficção AdolescenteDie 23-jährige Valeria Morelli hat nach ihrem schweren Autounfall keinerlei Erinnerungen an ihr Leben davor. Während sie die Zeit im Krankenhaus verbringt, hofft sie innigst darauf, ihre Erinnerungen wiederzuerlangen, als ihr plötzliche Visionen vor...