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Dieser durchtriebene Scheintote antwortete sofort: „Ich weiß, das ist unfassbar schwer zu verstehen. Aber du kennst mich, Ray, ich hasse schlechte Witze. Gib mir die Chance, dir zu beweisen, dass ich es bin!"

Vor Fassungslosigkeit hielt ich die Luft an. Unfassbar schlechter Witz war das Einzige, was ich dort lesen konnte – oder wollte. Ich hämmerte atemlos auf die digitale Tastatur ein: „Ich blockiere jetzt diese Nummer und dann schalte ich die Polizei ein. Und die wird deine Nachrichten zurückverfolgen. Und dann kannst du was erleben! Du wirst dir noch wünschen, dass du tot wärst!!"

Ich hatte noch nicht wieder Luft geholt, da poppte seine Rückantwort schon auf: „Ich fleh dich an, Ray, bei Hades und Zeus, ich mach keine Witze. Bitte gib mir eine Chance, es dir zu beweisen!"

Ich stutzte und las erneut und dann noch einmal. Dabei lehnte ich mich gegen die Apartmenttür hinter mir. Meine Knie gaben nach und ich glitt langsam hinunter, bis ich mit angewinkelten Beinen auf dem Laminatboden saß. Nicht nur, dass er mich kumpelhaft ‚Ray' nannte, was sonst niemand tat außer Jamie, hatte er zudem diese Beschwörungsformel verwendet:

„Bei Zeus und Hades!" war ein Spruch, den ich mir in Kindertagen von meiner Grandma Aella angeeignet hatte. Aellas griechische Wurzeln waren noch sehr lebendig, auch wenn sie (so wie ich und meine Schwester) in New York zur Welt gekommen war. Eleanor unterstellte unserer Großmutter sogar, sie würde an die leibhaftige Existenz der alten, griechischen Götter glauben. Tja, meiner vernunftliebenden Ella gruselte es vor unserer mythischen Aella – irgendwie schon witzig.

Und Jamie hatte seinen Spaß daran gefunden, mich (und meine Gram) nachzuäffen, tat es aber nur, wenn Ella nicht dabei war. Er vermied es, sie zu verärgern, weil er wusste, dass ihm dann auch Ärger von mir drohte.

Dass dieser Blender hier aber die Reihenfolge der Gottheiten umdrehte und Hades vor Zeus setzte, machte mich stutzig. War das ein Beweis für einen schlechten Fake-Jamie?

Mein Jagdeifer wurde größer.

Doch wer jagen wollte, der musste sich ruhig verhalten, um sein Opfer nicht zu verscheuchen. Darum zog ich erst einmal meine schwarzen Stiefel aus, lehnte mich wieder zurück, bis ich die Apartmenttür in meinem Rücken spürte und während meine Hände über meine Nylonstrumpfhose strichen und ich im Dunkeln die Verschleißspuren meiner nächtlichen Kletteraktion ertastete, sortierte ich meine Gedanken.

Dieser untote Witzbold hatte sich von meiner Drohung, die Polizei einzuschalten, selbstverständlich nicht einschüchtern lassen. Warum auch? Wenn er sich nicht total trottelig anstellte, würde er sich nicht so leicht aufspüren lassen. Er verschickte seine Messages zwar mit der Handynummer eines Toten, aber wenn die in irgendeinem Prepaidhandy steckte, das er an irgendeinem öffentlichen Ort nutzte, würde es schier unmöglich sein, seine wahre Identität zurückzuverfolgen.

Falls ich ihn dingfest machen wollte, musste er mir deutlich mehr Hinweise liefern. Und so lange musste er davon überzeugt sein, dass er mich im Griff hatte: „Na, schön, du kriegst deine Chance. Beweis es!"

„Wir könnten telefonieren!?", kam postwendend zurück.

Mit einem derart dämlichen oder dreisten Angebot hatte ich nicht gerechnet. Na schön, umso schneller fand diese Farce ein Ende. „Unter welcher Nummer soll ich dich anrufen?"

Bestimmt würde er mir keine Nummer nennen, sondern mich direkt anrufen - und zwar mit unterdrückter Nummer, die sich nicht zurückverfolgen ließ. Oder er würde mir einen obskuren Weblink schicken, den ich klicken sollte, damit er mir heimlich eine Schadware aufs Handy laden konnte.

Doch die sofortige Antwort lautete: „Wie immer, Ray! Ruf mich einfach an, sobald du so weit bist!"

Sobald ich so weit war? Dieser Prick konnte sich auf eine Abreibung gefasst machen – und wäre sie auch nur verbal. Fieberhaft überlegte ich mir, welche besonders üblen Beleidigungen mir einfielen, doch während mein Finger schon über Jamies Namen und der Anruftaste schwebte, kam ich ins Stocken. Und das lag nicht daran, dass es mir an Schimpfwörtern mangelte.

Ich bin dein kleiner TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt