10

86 17 96
                                    

Wie gern würde ich ihm auf seine flinken Finger blicken, während er seine Nachrichten tippte. Denn seine Antworten kamen immer unvorstellbar schnell zurück. So wie jetzt: „Ich verstehe nicht, was du meinst!? Wenn es kein Unfall war, was sollte es sonst gewesen sein?"

Ich antwortete ihm nicht ansatzweise so flott, aber in Eile, denn draußen vor der Drogerie wartete meine Schwester auf mich. „Für mich klingt das so, als hättest du es geplant!"

„Meinen Tod? Du hältst mich für einen Selbstmörder?"

Seine Folgerung verwirrte mich, denn der Gedanke wäre mir vermutlich nie gekommen. Ich bezweifelte, dass Jamie imstande war, sich selbst das Leben zu nehmen. Nicht, dass ich ihn für einen Feigling hielt, und ein nachdenklicher Typ war er schon, aber das hätte er seiner Frau Eleanor, seinen Eltern, die ihm immer alles verziehen hatten, meinem Vater, der große Hoffnungen in ihn gesetzt hatte, all den Menschen, die ihn liebten (und die er liebte) niemals angetan. Und wenn doch, dann hätte er uns ganz bestimmt eine Nachricht hinterlassen, so etwas wie eine Erklärung. Aber die gab es nicht, folglich war das Unsinn mit der Selbstmordtheorie.

Ich schrieb ihm: „Wie kommst du jetzt darauf? Ich dachte, du hättest deinen tödlichen Unfall bloß vorgetäuscht."

„Offen gesagt, besitze ich nur unvollständige Informationen über die Umstände meines Todes und habe gehofft, du könntest mir mehr verraten!"

Seine Textnachrichten wurden immer dubioser. Und das gruselte mir. Aber es brachte mich meinem Ziel näher, denn bald hatte ich ihn soweit und er würde sein wahres Gesicht enthüllen.

Das spornte mich an, ihn weiter in die Enge zu treiben: „Du solltest es besser wissen als ich. Du bist gestorben, nicht ich! Wie sollten da deine Informationen unvollständiger sein als meine?"

„Wie gestern schon geschrieben: Das ist eine längere Geschichte. Wieviel Zeit hast du, Ray?"

Er hielt mich hin. Ahnte er etwa, dass die Zeit mir gerade davonlief? Ich wollte mich nicht länger hinhalten lassen!

„Die Kurzfassung ist, dass deine Leiche vor zehn Tagen aus dem Wasser gezogen und gestern begraben wurde und du mir jetzt erzählen willst, dass du noch lebst!?"

„Ja, genau."

„Du lebst also!?"

„Ja, so ungefähr."

Ich schrieb mich in Rage: „So ungefähr? Willst du mich verarschen? Wer auch immer du bist, wenn du verhindern willst, dass ich dich augenblicklich wegen Betrugs bei der Polizei anzeige, dann hör auf, mich hinzuhalten und sprich Klartext!"

„Was machst du da?", ließ mich Eleanors Stimme herumfahren. Sie hatte direkt hinter mir gestanden und starrte mich nun mit verkniffenen Augen nieder.

„Fuck, hast du mich erschreckt." Mein Puls raste – aber nicht nur vor Schreck. Möglichst unauffällig schob ich das Smartphone in meine Hoodietasche.

„Weil du ein schlechtes Gewissen hast. Also, was machst du da?"

„Ich? Nichts!", mimte ich den Unschuldsengel, während ein Swoosh-Geräusch aus meiner Bauchgegend kam.

„Schwesterchen, hör auf mich zu verarschen. Ich hab doch gesehen, wie du direkt vorm Milos fast zehn Minuten rumgestanden und auf dein Handy gestarrt hast. Und als ich dich auf der Damentoilette gesucht habe, konnte ich es genau wie jetzt piepsen hören. Also, mit wem schreibst du da die ganze Zeit?"

Verzweifelt blickte ich sie an. Was sollte ich ihr erzählen? Welche Lüge könnte ich ihr auftischen, die sie mir auch abkaufen würde?

Sie stemmte ihre Hände in die Seiten. „Ich höre?"

Ich bin dein kleiner TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt