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Während wir unseren Fisch aßen, redeten wir ausschließlich über das offen gestanden fantastische Essen. Meine Schwester fragte nicht nach, was ich so lange auf der Damentoilette getrieben hatte, und ich verlor kein Wort über ihre Schwangerschaftsvermutung.

Dafür ließ ich mich umso leidenschaftlicher über ihre Fischwahl aus. Denn was der Fisch auf Ellas Teller von einem Zeus haben sollte, war mir schleierhaft. So stellte ich mir nicht den imposanten Herrscher auf dem Olymp vor, der durchsetzungsstark Götter und Menschen regierte. Ebenso wenig stellte ich mir so den strahlenden Blitzeschleuderer vor, der die Olympier siegreich in die Schlachten gegen Titanen und Giganten geführt hatte. Und schon gar nicht stellte ich mir so den listigen Liebhaber vor, der reihenweise die Frauen – egal ob menschlich oder göttlich - verführte.

Aber definitiv gehörte der Zeusfisch aufs olympische Treppchen der drei hässlichsten Meeresbewohner, wobei ich mir offenhielt, ob ich ihm die Bronze-, Silber oder Gold-Medaille verleihen wollte. Seine Körperform erinnerte an eine trudelnde Diskusscheibe, sein Maul war zu einer beleidigten Grimasse verzogen, seine Flossen waren fransig und mündeten auf dem Rücken in lange Stachelstrahlen, die an den Irokesenschnitt eines verwahrlosten Straßenpunks erinnerten. Und seine auffallend hochliegenden Glupschaugen betonten, wie wenig Platz in seinem Oberstübchen war, zumal seine geweiteten Rehaugen ihn verschreckt dreinblicken ließen.

Dieser Fisch auf Ellas Teller war niemals ein Zeus. Niemals!

Meine Schwester amüsierte sich köstlich über meine Auslassungen, während sie ihren Fisch genüsslich verspeiste.

Erst während Eleanor zum Nachtisch einen in Sirup getränkten Walnusskuchen verschlang (normalerweise aß sie wie ein Vögelchen), brachte sie das Thema Schwangerschaftstest zurück auf den Tisch und bat mich, ihr dabei zur Seite zu stehen. Ich versuchte mich rauszureden, oder zumindest Zeit zu schinden damit, dass ich nochmal zu Dad in die Firma musste. Aber die Ausrede ließ sie nicht gelten und drohte damit, bei Dad nachzufragen, wie wichtig meine Anwesenheit in der Firma war. Es war aussichtslos, denn natürlich würde er Verständnis dafür zeigen, dass ich der trauernden Witwe in unserer Familie Beistand leistete.

So spazierten Ella und ich kurz darauf Richtung Hell's Kitchen, während sie erfüllt voller vorfreudiger Nervosität mit Plappern gar nicht aufhören konnte. Das hatte zum Vorteil, dass ihr nicht gleich auffiel, dass ich mit meinen Gedanken ganz woanders war.

Jamie, oder vielmehr der Typ, der sich für ihn ausgab, war sich so sicher gewesen, dass Eleanor nicht schwanger sein konnte, was die Frage aufwarf, woher seine Überzeugung rührte. Denn selbstverständlich hatten die beiden Sex gehabt – sogar reichlich. Eleanor hatte mir seit über einem Jahr regelmäßig und freimütig darüber berichtet, wann und wie oft es die beiden trieben, um endlich ein Kind zu zeugen, wobei sie sich über das Wie ausschwieg. Es wäre bestimmt auch nicht hörenswert gewesen, vermutete ich. Ich konnte mir meine Schwester beim besten Willen nicht als heißblütige und versaute Bettschlampe vorstellen.

„Chelly?" Meine Schwester, die neben mir schlenderte, stieß mich mit dem Ellbogen an.

Ertappt sah ich zu ihr.

„Hörst du mir überhaupt zu?"

„Tschuldige."

„Dad macht sich Sorgen um dich."

„Ja, das sagtest du bereits."

„Er hat mich auf Jamies Vogel angesprochen. Du musst mir etwas versprechen! Hörst du, Schwesterchen? Der Vogel bleibt in deinem Büro! Okay? Du nimmst ihn nicht mit zu dir nach Hause!"

„Um wen sorgt ihr beiden euch nochmal?", fragte ich eingeschnappt nach. „Um mich oder um den Vogel?"

„Chelly, wir wollen nur das Beste für dich! Stell dir vor, das arme Tier stirbt bei dir daheim! Um ihn ist es nicht schlimm. Eh ein Wunder, dass er noch lebt, so alt wie er schon ist. Ich will nur nicht, dass du dich dafür verantwortlich fühlst, wenn ihm was passiert."

Ich bin dein kleiner TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt