Grübelnd schob ich die heruntergefallenen Forsythienblüten auf der Tischplatte zusammen. Das Wasser in der gläsernen Vase stand bedenklich tief und ich nahm mir vor, es bald aufzufüllen. Aber erst einmal würde ich für Eleanor das Familienessen im Kyclades organisieren. Ich gab nicht nur Mom Bescheid, sondern auch meiner Grandma Aella. Sie würde es eh erfahren, also konnte sie auch gleich dabei sein. Außerdem brauchte ich dringend jemanden, der meine Hand festhielt, ohne Fragen zu stellen.
Als die Familie sich drei Stunden später im Kyclades um einen großen Tisch versammelte, durchströmte mich wohlige Geborgenheit. Ella fiel unserer Aella überschwänglich um den Hals und bedankte sich sogar bei mir, dass ich so umsichtig gewesen war, sie dazu zu laden.
Meine Schwester hatte sich den Platz am Kopfende gesichert, unsere Grandma saß zu ihrer linken, Mom zu ihrer rechten, daneben Dad, der mich über den Tisch hinweg anlächelte, während ich mir unterm Tisch Grannys Hand geschnappt hatte, die mit festem Druck meinen Griff erwiderte.
Hier fühlte ich mich daheim, nicht nur wegen der urigen Einrichtung des Lokals, den Aromen, die von der Küche hineinströmten und weil der Lokalbesitzer uns alle so herzlich begrüßte, nein, ich fühlte mich heimisch, weil meine Familie hier war!
Als Ella schließlich feierlich verkündete, dass diese Familie Zuwachs bekommen würde, rannen nicht nur ihr hemmungslos die Freudentränen herunter. Meine Mutter schluchzte so laut, dass sich die Gäste an den Nachbartischen zu uns umdrehten. Und auch mir kullerte es aus den Augenwinkeln, wenn auch mit gemischten Gefühlen.
Außer mir hatte es niemanden auf den Stühlen gehalten, weil jeder meine Schwester herzen wollte. Ich saß da und lächelte wehmütig, zerrissen von dem Gedanken, was ich mir nun mehr wünschte, dass Jamie recht behielt oder doch Eleanor.
Nachdem alle wieder auf ihren Holzstühlen um den eingedeckten Tisch herum Platz genommen hatten und mein Dad eine Runde Grappa für alle (mit Ausnahme meiner Schwester) geordert hatte, wollte er von Ella wissen, was denn der Frauenarzt gesagt hatte und ob alles so weit in Ordnung wäre.
Während der Kellner mit einem beladenen Tablett herbeieilte und Gläser mit Grappa und Wasser verteilte, erklärte Ella, dass sie vor lauter Aufregung noch gar keinen Termin beim Frauenarzt gemacht hatte. Ehe ich erwähnen konnte, dass ich mich darum schon gekümmert hatte, fragte Dad vorsichtig nach, ob man mit dem Anstoßen dann vielleicht noch warten sollte.
Meine Grandma sah mir schon die ganze Zeit an, wie es in mir brodelte, fragte aber nicht nach, sondern hielt einfach Händchen mit mir. Doch ausgerechnet Aella ergriff nun als erste ihr Grappaglas, zwinkerte Ella zu und entgegnete meinem Dad: „Eine Mutter spürt auch ohne Arzt, wenn in ihrem Körper ein neues Leben heranwächst. Yammas!"
Am nächsten Vormittag saß Eleanor bereits wieder in Jamies Büro. Ich begrüßte sie kurz und verzog mich in mein Zimmer. Zehn vor zehn meldete sich Steven am Empfang. Er winkte kurz bei mir herein und kündigte an, dass er mich nach dem Meeting sprechen wollte. Darauf eskortierte Katerina ihn in den Konferenzraum und gab meiner Schwester Bescheid.
Eine Minute vor zehn flog Ella an meiner offenen Tür vorbei, winkte kurz zu mir herein und verschwand allein zu Steven in den Konferenzraum. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie mich dazu bitten würde. Natürlich durfte sie mit Steven auch ohne mein Beisein sprechen. Und trotzdem tat es weh.
Jamie hatte mich gewarnt, ich musste endlich lernen, mich einzumischen, gerade wenn man nicht wollte, dass ich mich einmischte. Andernfalls wäre ich unfähig, eine Firma wie Astrapios HVAC Inc. zu leiten. Ich sollte mir ein Beispiel an meinem Vater nehmen, hatte Jamie gesagt, für den eine verschlossene Tür kein Hindernis war, sondern eine Aufforderung, sie zu öffnen.
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Ich bin dein kleiner Tod
Misterio / SuspensoRachel (25) hat gerade ihre große Liebe Jamie (27) beerdigt. Doch kaum ist sie zu Hause, erhält sie eine Nachricht auf ihr Handy - von Jamie selbst. Zuerst hält sie es für einen technischen Fehler oder einen geschmacklosen Streich. Doch sie kann nic...