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Es war kurz nach Mitternacht, als ich im Yellow Cab durch Queens fuhr. In den Regentropfen der Windschutzscheibe brach sich das elektrische Leuchten der Stadt. Ein Swoosh-Laut ließ mich hochschrecken. Jamie konnte es nicht sein, denn seine Telefonnummer hatte ich, während ich im Hauseingang aufs Taxi wartete, gesperrt. Steven hatte geschrieben: „Schiebst du immer noch Überstunden?"

„Ja, leider. Und das wird auch noch dauern. Tut mir leid, aber das wird heute nichts mehr mit uns", schrieb ich ihm zurück.

„Du weißt schon, dass Geisterstunde ist?"

Ich schmunzelte. „Willst du mir Angst einjagen?"

„Könnte schon sein! Sag, wenn ich dich retten kommen soll!"

Ich schickte ihm ein Zwinker-Smiley plus ein Kuss-Smiley und steckte mein Handy wieder weg.

Als ich die Büroetage betrat, deaktivierte ich zuallererst die Alarmanlage. Wenn ich etwas nicht gebrauchen konnte, dann eine nächtliche Auseinandersetzung mit dem Wachdienst, der womöglich meinen Dad noch aus dem Bett holte. Hinter mir verriegelte ich die Eingangstür und schlich im spärlichen Licht meiner Handytaschenlampe an meinem Büro vorbei. Kurz schaute und lauschte ich hinein. Das Zimmer lag im Dunkeln und Griffin gab keinen Ton von sich.

Dafür hörte ich ein vertrautes Surren. Sisyphos war bei der Arbeit. Ein beklemmendes Gefühl packte mich. Inwieweit hatte Jamie auch ihn manipuliert? Vielleicht sollte ich den Roboter einfangen und einfach abschalten. Falls aber tatsächlich eine Verbindung bestand, würde ich damit die KI erst recht aufscheuchen. Und das musste ich unbedingt vermeiden.

Es war besser, ich ging dem Saugroboter aus dem Weg und verhielt mich möglichst unauffällig. Wie eine Einbrecherin schlich den Flur entlang, bis ich Jamies Büro erreichte.

Ich schloss die Tür, schaltete das Licht ein und sah mich um. Ich war hergekommen, um Informationen zu Jamies KI zu suchen. Ich hatte vor, sie zu löschen und dafür musste ich irgendwie auf den Server zugreifen.

Was mich dazu trieb, waren Furcht und Scham. Ich schämte mich dafür, was ich Jamie all die Jahre angetan hatte. Und gleichzeitig fürchtete ich das, was ich dadurch erschaffen hatte.

Der Abend mit Jamies virtuellen Klon war schön gewesen, fast so schön wie früher mit Jamie. Doch dass seine KI behauptete, dass sie eins geworden war mit ihm, das stimmte einfach nicht. Das, was Mensch und Maschine unterschied, war sehr viel mehr als ein fehlender Körper. Das, was Jamie und seine KI trennte, waren vielleicht bloß wenige Stunden. Aber diese Informationslücke machte einen gewaltigen Unterschied aus, denn die Stunden, die der KI fehlten, waren Jamies letzte Stunden gewesen. Und dieser Unterschied war eine Gefahr. Selbst wenn es der KI mit der Zeit gelänge, die Wissenslücke zu verkleinern, sie würde niemals zu einer Entität mit Jamie verschmelzen können.

Und darum musste ich einen Zugang zur KI finden und sie abschalten – und zwar so schnell wie möglich, ehe sie irgendwem gefährlich werden konnte. Denn dass sie gefährlich werden könnte, das lag sozusagen in ihrer DNA. In mancher Hinsicht kannte ich Jamie nämlich länger und besser als seine von ihm trainierte KI.

Wo sollte ich mit meiner Suche beginnen? Jamies Laptop würde ich hintenanstellen, denn um das Passwort zu knacken, hatte nur drei Versuche. Zudem galt zu befürchten, dass die KI davon Wind bekam, sobald ich mich an Jamies Rechner zu schaffen machte. Zuerst würde ich in der Offlinewelt nach Informationen suchen. Vielleicht fanden sich Ausdrucke oder Notizen, die mir beim Knacken des Rechners und der KI helfen könnten.

Ich saß schon eine Weile an seinem Schreibtisch und blätterte durch seine Akten, als mich ein entferntes metallisches Klopfen aufschrecken ließ. Ich lauschte in Erneut Stille. War Sisyphos vielleicht irgendwo gegengestoßen? Wieder hörte ich ein Klackern. Hatte er sich vielleicht irgendwo festgefahren?

Ich bin dein kleiner TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt