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Dass ich mit Jamie sofort Schluss gemacht hatte, hatte meiner Schwester als Buße nicht genügt. Sie redete weder in der Schule noch daheim mit mir. Den besorgten Fragen unserer Eltern wichen wir beide aus. Und in der Schule war die einzige Person, die mein Leiden kümmerte, Jamie, um den ich einen entsprechend großen Bogen machte. Denn damals schwor ich mir, dass ich, falls ich das wieder hinbekam mit meiner Schwester, nie wieder zulassen würde, dass sich irgendjemand in den Weg zwischen uns beide stellte!

Auch was mein Ansehen an der Schule betraf, war die Wirkung meiner Aktion anders als erhofft ausgefallen. Ich wurde zwar nicht mehr wie ein kleines Mädchen behandelt, dafür hielten mich jetzt alle für ein Flittchen, die es mit jedem trieb.

Inwiefern dieses Gerücht (denn mehr war es zum damaligen Zeitpunkt nicht) allein durch das Filmchen ausgelöst worden war, oder von meiner Schwester forciert wurde, konnte ich nie klären.

Zuerst kam der Selbsthass, dann lauerte ich Jamie heimlich auf und schenkte ihm meine Unschuld (die Ironie war nämlich, auf dem Filmchen im Geräteraum hatten wir nur harmlos rumgeknutscht und ein wenig rumgefummelt). Später kam der Hass und wieder schlich ich in aller Heimlichkeit zu Jamie, damit er mir half. Doch egal, wen ich hasste und wie ich mich dafür rächte, egal wie sehr Jamie für mich da war (in aller Heimlichkeit natürlich), das alles konnte mir nicht meine Schwester ersetzen.

Irgendwann war ich derart verzweifelt, dass ich mich wieder einmal heimlich mit ihm traf. Der Unglückselige war derart verschossen in mich, dass ich alles von ihm verlangen konnte. Und das nutzte ich aus. Ich sagte ihm, wenn er mir beweisen wollte, wie sehr er mich liebte, dann sollte er meine Schwester anbaggern. Und er gehorchte.

Er war damals schon ein mehr als talentierter Womanizer und je mehr Eleanor durch seine Flirtereien dahinschmolz, desto nachsichtiger wurde sie mit mir. Sie begann wieder mit mir zu sprechen, was mich überglücklich machte.

Doch das reichte mir nicht, denn zwischen uns war es längst noch nicht wie früher. Also drängte ich Jamie dazu weiterzugehen. Und er ging weiter. Und auf mein Betteln hin ging er noch weiter. Und als die beiden schließlich ein Paar wurden, wurden auch Eleanor und ich wieder beste Freundinnen – fast so wie früher.

Ich ließ einen spitzen Schrei mehr vor Schreck, denn vor Schmerz, als der Saugroboter meinen dicken Zeh rammte.

„Alles in Ordnung? Hast du dir wehgetan?" Meine Schwester sah besorgt zu mir herüber.

Ob ich mir wehgetan hatte, ich mir selbst? Ich hing noch halb in meinem Flashback fest.

„Nein, schon okay", sagte ich, doch rein gar nichts war okay! Ich sollte Sisyphos' Zwillingsbruder dankbar sein dafür, dass er mich aus meinem trübseligen Erinnerungsstrom herausgezogen hatte, doch er machte mich wütend. Ich wollte nicht im Hier und Jetzt sein, in dem Putzfrauen durch selbstfahrende Staubsauger ersetzt wurden – und ein Toter durch seine selbsterschaffene KI. Mein Leben wurde bis in die Grundfesten erschüttert und ja, das tat weh! Aber ich hatte mir nicht selbst wehgetan. Daran war doch nicht ich schuld!?

Ich brachte meine Füße aus der Gefahrenzone, indem ich mich auf den Hocker am Küchentresen setzte, und mit feindseligem Blick auf den Roboter, der sich schon wieder davon trollte, meine Schwester fragte: „Sag mal, habt ihr wegen dem da eure Putzfrau entlassen? Machst du deshalb neuerdings den Hausputz selber?"

„Gott nein, nur über meine Leiche gebe ich Dolores auf."

„Und warum kurvt der dann schon wieder hier herum, wenn du heute früh erst geputzt hast? Entwickelst du gerade einen krankhaften Reinlichkeitsfimmel?"

Sie amüsierte sich, blieb aber still. Im Hintergrund blubberte die Kaffeemaschine. Dann seufzte sie lang und tief. „Bevor Jamie an dem Morgen das Haus verlassen hat, hat er das Maschinchen eingeschaltet. Und was soll ich dir sagen, seitdem schwirrt das fleißige Bienchen hier herum und solang ich es höre, fühle ich mich weniger allein. Wenn du wüsstest, wieviel Stunden Jamie an dem Gerät herumgewerkelt hat. Da steckt so viel Herzblut von ihm drin."

Ich bin dein kleiner TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt