„Was redest du da?" Mir schwirrte der Kopf, was am Schampus liegen musste. Jamies Gerede ergab für mich keinerlei Sinn. „Der Firma geht es gut! Wenn es anders wäre, hätte mir Dad davon erzählt."
„Sei nicht naiv, Ray. Du weißt, wie vernarrt dein Vater in dich ist und wie erbittert er dich vor allem Bösen beschützen will."
Immer noch stand ich am Treppenabgang zur U-Bahnstation und blickte etwas verloren in die Tiefe, aus der mir ein warmer Atem aus erhitztem Maschinenöl, verbranntem Bremsbelägen und menschlichen Oxidationen aufstieg. „Du behauptest also, dass unsere Firma kurz vor dem Bankrott steht?"
„Ich behaupte es nicht, ich weiß es, Ray! Und nur du kannst es noch verhindern, denn auf mich wollte dein Vater nicht hören." Jamie klang beunruhigend ernst, dennoch konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen. „Auf mich wird er noch weniger hören. Du sagst doch selbst, dass er mich aus allem raushalten will. Dad hält mich für sein Herz aus Gold und meint, ich sei zu Höherem bestimmt."
„Das bist du auch, Ray! Aber es ist falsch von ihm, dich beschützen zu wollen. Davon darfst du dich nicht länger einschüchtern lassen."
Ich nahm die ersten Treppenstufen nach unten. Dort unten würde sich mein Handyempfang deutlich verschlechtern und das war ein guter Vorwand, das Gespräch zu beenden. „Ich weiß nicht, Jamie. Wenn du ihn nicht überzeugen konntest, wo er doch so große Stücke auf dich gehalten hat..."
„Ray, das ist deine Chance! Das ist das, was du immer wolltest: Deinem Vater zeigen, dass du es draufhast, diese Firma zu führen."
„Schon! Aber-", begann ich reflexhaft, brach aber ab und blieb mitten auf der Treppe stehen. Jamie hatte meinen wunden Punkt getroffen. Ich war neidisch darauf, dass er von meinem Dad die Beachtung bekommen hatte, die ich mir von ihm so sehr wünschte. Und gleichzeitig hatte ich mich Jamie zuliebe zurückgenommen, weil ich ihm das schuldig war, bei allem, was er für mich getan hatte. Aber nun war Jamie nicht mehr da (zumindest nicht mehr für meinen Dad).
„Na schön, ich denke darüber nach."
„Tu das, Ray. Aber zögere nicht zu lang. Denn so lang lässt sich dein Vater weiter von Maerkerstein in die Scheiße reiten. Und du kennst deinen Vater, so entscheidungsfreudig wie er ist, ist er ein Sturkopf, sobald er sich erst einmal entschieden hat."
Jamies Worte wühlten in mir. Noch mehr wühlte mich die Vorstellung auf, dort unten am Bahnsteig stillstehen und auf die U-Bahn warten zu müssen und dann in der Bahn wieder stillstehen und auf meinen Ausstieg warten zu müssen. Ich wollte da unten nicht festecken. Ich drehte um und kehrte zurück an die Oberfläche und beschloss, bis zur nächsten Haltestelle zu laufen.
„Da wäre noch eine Sache, Ray: Du musst mit Eleanor zum Frauenarzt!"
„Du weißt von den Tests?", fragte ich, obwohl ich die Antwort schon ahnte.
„Beide Testergebnisse sind falsch", sagte er tonlos. Er hatte unser Gespräch tatsächlich belauscht.
Blieb die Frage: „Was macht dich so verflucht sicher?"
„Vertrau mir einfach und geh mit ihr zum Frauenarzt! Dann wirst du sehen, dass ich rechthabe."
„Das ist keine Antwort, Jamie!" Bei Hades und Zeus – oder wie rum auch immer, jetzt sprach ich diese KI schon wie selbstverständlich mit Jamie an, als wäre er es wirklich.
„Doch das ist eine Antwort. Lerne, mir zu vertrauen, Ray! Nur wenn du mir vertraust, kann ich dir helfen! Nur wenn du mir vertraust, haben wir eine Zukunft. Und sei ehrlich, Ray! Du sehnst dich doch genauso nach einer Zukunft mit mir?"
Auf die Frage würde ich keinesfalls eingehen. Stumm lief ich die Straße weiter entlang.
„Ray, bist du noch dran?"

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Ich bin dein kleiner Tod
Mystery / ThrillerRachel (25) hat gerade ihre große Liebe Jamie (27) beerdigt. Doch kaum ist sie zu Hause, erhält sie eine Nachricht auf ihr Handy - von Jamie selbst. Zuerst hält sie es für einen technischen Fehler oder einen geschmacklosen Streich. Doch sie kann nic...