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Es war kurz vor acht, als ich die Büroetage betrat und vom Empfangstresen aus von einem grau-grünen Augenpaar mit Überraschung und Besorgnis beäugt wurde. „Rachel, Kindchen, was machst du denn hier?"

„Guten Morgen, Mrs. Georgiou", begrüßte ich sie mit einem Lächeln. Auch wenn sie mich mit einer fast schon vorwurfsvollen Bestürzung musterte, freute ich mich, sie zu sehen.

Katerina Georgiou war die gute, alte Seele der Firma. Alte Seele nicht nur, weil sie die Sechzig längst überschritten hatte, sondern vor allem, weil sie seit den 1970ern der Firma treu geblieben war. Sie hatte unter meinem Urgroßvater ihre Ausbildung begonnen, da war sie erst sechszehn gewesen. Heute war sie die persönliche Assistentin meines Vaters und für mich die heimliche Vizepräsidentin von Astrapios HVAC Inc., die mit gütiger Strenge das Firmenschiff auf Kurs hielt. Selbst meine Mutter kuschte vor der resoluten Dame mit dem immer zerzausten Dutt, der ihr den verwegenen Touch einer in die Jahre gekommenen Circe gab.

Heute trug sie ein weitgeschnittenes Kleid aus schwarzer Wildseide und einen dazu passenden Schal, den sie sich lässig um den Hals gewickelt hatte. Das Schwarz fiel mir auf, weil normalerweise kräftige Naturtöne ihre Lieblingsfarben waren.

„Ach Kindchen, du hättest daheimbleiben sollen! Sieh dich doch nur an! Deine Augen sehen aus wie Mondkrater."

Ihre Sorge um mich verbreiterte mein Lächeln. Aber ich brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, wie recht sie hatte. Ich hatte kaum vier Stunden geschlafen, die Hälfte davon auf dem nackten Dielenboden. Und ich hatte mir auch wenig Mühe gegeben, meine Mondkrater-Augen mit Make-up zu kaschieren. Die schulterlangen, straßenköterblonden Haare hatte ich gedankenlos aus meinem blassen Gesicht geschoben und ungekämmt zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Bei der Kleiderwahl hatte ich auch nicht lang überlegt und zu Hoodie, Röhrenjeans und Schaftstiefeln gegriffen – alles in ausgewaschenem Schwarz.

Schwarz war für alle in der Firma die Farbe der letzten Wochen gewesen. Doch daran hatte ich beim Ankleiden keinen Gedanken verschwendet, denn Schwarz war für mich immer schon (oder zumindest seitdem ich 14 war) erste Wahl gewesen.

„Zuhause fällt mir nur die Decke auf den Kopf. Hier kann ich mich wenigstens ablenken."

Sie lächelte mitfühlend. „Ja, das mit James geht uns allen sehr nahe. So ein gütiger, engagierter Mann, der viel zu jung aus dem Leben gerissen wurde."

„Ja", sagte ich seufzend und spürte, wie sich in die Stille zwischen uns ein unterschwelliges Surren schlich. Rasch wechselte ich das Thema. „Ist mein Vater schon da?"

Das Surren drang in mein Bewusstsein vor. Zu vertraut war mir das Geräusch, allerdings passte es nicht zur Tageszeit, denn für mich war es unlösbar verbunden mit langen Büronächten.

Meine Frage amüsierte Katerina. „So früh ist außer den Leuten unten in der Produktion noch niemand hier. Sie sind die Allererste, Kindchen."

„Abgesehen von Ihnen, Mrs. Georgiou", antwortete ich und sah mich dabei nach Sisyphos um, konnte ihn aber nicht ausfindig machen.

„Ich übernehme gern die Morgenschicht", antwortete sie.

Sie war so entsetzlich bescheiden, dass ich sie manchmal schütteln wollte. Ausnahmslos jeden Wochentag war sie die Erste, die mit immer guter Laune Kundenanfragen entgegennahm. Gleichzeitig fühlte sie sich bemüßigt, ebenso beim Feierabend machen eine der letzten sein zu wollen. Von uns allen schob sie mit Abstand die meisten Überstunden – unbezahlt, selbstverständlich.

Ein Saugroboter kroch über den Teppichboden auf uns zu. Der Schlawiner kam aus meinem Büro herausgefahren.

„Wusste gar nicht, dass Sisyphos um die Zeit noch aktiv ist", sagte ich mehr zu mir selbst.

Ich bin dein kleiner TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt