Kapitel 3

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~Cleo

Der Tag war entspannt gewesen, bis ich dem Sohn von Poseidon auf dem Gang meines Wohnheims begegnete. Beschwingt von dem vorherigen Treffen mit Rev, wollte ich um die Ecke gehen - und rannte direkt in ihn hinein. Seit... seit der Ratssitzung waren wir nicht allzu gut aufeinander zu sprechen. Dawson war fest entschlossen, dass wir durchgreifen mussten, um die letzten Reste der Rebellion auch zu zerstören. Und ich... ich wusste nicht, was ich wollte, aber Rebellen zu töten stand nicht auf meiner Todo-Liste.

Ich wusste, dass Dawson nicht guthieß, dass ich seit dem Angriff keinen Wachdienst mehr schob. Und als ich den Kopf hob und in sein Gesicht starrte, guckte er schon wieder, als wollte er etwas dazu sagen. ,,Cleo", sagte er anstelle einer Begrüßung.

Kurz überlegte ich, einfach den Rückwärtsgang einzulegen und davonzustürmen, aber für Dawson wäre es ein leichtes, mich einzuholen. Stattdessen straffte ich die Schultern und sah zu ihm auf. ,,Schau mich nicht so judgy an, das gibt Falten."

Er klappte den Mund auf und direkt wieder zu und blinzelte mich stattdessen aus dem Konzept gebracht an.

Ich versuchte mich an ein Lächeln, scheiterte dabei aber kläglich. Dawson hingegen schien sich wieder zu sammeln und strich sich ein imaginäres Staubkorn vom T-Shirt. ,,Wie geht es dir?", erkundigte er sich.

Jetzt war es an mir, ihn irritiert anzusehen. Kein Vortrag heute? Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als er hinzufügte: ,,Man sieht dich ja nicht mehr, seit du beschlossen hast, deine Probleme lösen sich von selbst, wenn du einfach keinen Fuß mehr vor das Internat setzt."

Ich kniff die Augen zusammen. ,,Wow, sehr subtil."

Dawson lächelte, aber es wirkte nicht erfreut. ,,Ist doch wahr. Wir stehen so kurz davor, die Rebellen endgültig zu besiegen. Bei denen bröckelt alles auseinander, ohne ihren Gott sind sie nichts. Und du... du...-" Er hob frustriert die Hände.

,,Ich hab die Schnauze voll von Krieg, Tod und Verderben?", warf ich ein. Ich ballte die Hände zu Fäusten und wich seinem Blick nicht aus. Vielleicht war das gut so- vielleicht mussten wir das hier an Ort und Stelle einfach klären. Diese ganzen verächtlichen Blicke und passiv-aggressiven Kommentare der letzten Wochen halfen auch niemandem weiter.

Er seufzte und ließ die Hände sinken. ,,Ist dir eigentlich klar, was für ein Zeichen du damit setzt? Zuerst erledigst du Seth und dann sieht und hört man nie wieder was von dir?"

,,Mir ist es scheißegal, was für ein Zeichen ich damit setze", zischte ich. Das letzte Zeichen, das ich setzen oder auch nicht hatte setzen sollen, war der Besuch der Ratssitzung gewesen und allmählich hatte ich die Schnauze voll, in diese Angelegenheiten mit hineingezogen zu werden. Dawson hatte es gesagt - ich hatte Seth erledigt. Damit war ich ihnen nichts mehr schuldig.

Ich hob den Kopf, bis ich Dawson direkt in die giftgrünen Augen sehen konnte. ,,Findest du denn richtig, was der Rat abzieht? Leute ihre Göttlichkeit ausbluten lassen und danach töten?"

Ich sah, wie er sich auf die Lippe biss und ein Hauch von Unsicherheit über sein Gesicht huschte. Es war jedoch nur ein kurzer Moment, dann versteinerten seine Gesichtszüge wieder zu der ausdruckslosen Maske. ,,Man darf den Rat kritisieren. Das ist nicht der Punkt. Ich erinnere dich nur sehr ungerne, aber der Kerl, wegen dem du seit Wochen rumjammerst, hat dutzende Menschen das Leben gekostet." Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter und ich konnte nicht verhindern, dass ich zusammenzuckte. ,,Er war alles andere als unschuldig. Seine Strafe ist gering angesichts dessen, was er getan hat."

Ich hatte das Gefühl, dieses Gespräch mit ihm schon einmal geführt zu haben. Und ich sah durchaus ein, dass ich das Ganze nicht objektiv betrachten konnte, weil Seth und ich nun mal eine Vorgeschichte hatten - und dennoch. Nicht alle Leute, die auf diese grausame Art bestraft wurden, hatten getan, was Seth getan hatte. Und mir fehlte nach wie vor der Beweis, dass das Töten der Internate moralisch richtiger war als das Morden der Rebellen. Diesen hatte mir bislang noch niemand liefern können.

Ich zwang mich dazu, Dawson direkt anzusehen. ,,Seth ist nicht der einzige, der auf diese Art aus dem Verkehr gezogen wird." Ich kniff die Augen zusammen. ,,Das brauchst du mir jetzt nicht erzählen."

Dawson erwiderte seltsamerweise nichts darauf, stattdessen blickte er stirnrunzelnd auf etwas neben mir. Was sollte das jetzt werden?

Als ich mich zur Seite drehte und plötzlich nicht mehr auf die Wand, sondern stattdessen auf einen Körper blickte, zuckte ich zusammen. ,,Rune?", sagte ich erstaunt. ,,Wie lange stehst du da schon?"

Ich hatte beim besten Willen nicht gemerkt, dass er sich während der Streiterei mit Dawson neben mich gestellt hatte. Rune zuckte mit den Schultern und schien sich in unsere kleine Auseinandersetzung nicht weiter einmischen zu wollen.

Dawson sah aus, als würde ihm Runes Erscheinen überhaupt nicht passen, aber schließlich lockerte er die Schultern und bedachte mich mit einem verächtlichen Blick. ,,Wir sprechen uns noch", zischte er. Dann schob er sich an Rune und mir vorbei und ging davon.

Ich drehte mich zu Rune und strahlte ihn an. ,,Keine Ahnung, was du eigentlich vorhattest, aber danke!"

Rune blinzelte. ,,Keine Ursache."

Ich neigte den Kopf zur Seite. ,,Wolltest du zu mir?"

Rune sah mich an, als wüsste er das selbst nicht so genau. ,,Ich glaube schon."

Ich musste grinsen. ,,Möchtest du mit rein kommen?", erkundigte ich mich und deutete in Richtung meines Zimmers, wohin ich eigentlich gewollt hatte, bevor ich in Dawson hineingelaufen war.

Rune schüttelte den Kopf. ,,Ich muss noch etwas erledigen. Ich wollte nur fragen, ob du..." Er blickte verlegen auf seine Stiefelspitzen. ,,Morgen ist hier in der Nähe ein Mittelaltermarkt. Ich wollte fragen, ob du vielleicht mit mir hingehen möchtest", erzählte er seinen Stiefeln.

Mir fuhr ein warmer Schauer über den Rücken. War das gerade eine richtige Verabredung? Kein Training, sondern einfach mal etwas gemeinsam unternehmen? Gerührt sah ich ihn an und sagte etwas ganz anderes, als ich eigentlich sagen wollte. ,,Brauchst du etwas neues zum Anziehen?"

Ich biss mir auf die Lippe. Sehr freundlich, Cleo. Wirklich großartig.

Der Wikinger hob den Kopf und sah mich an. ,,Möglich?"

Die Antwort brachte mich zum Grinsen. Dort kauften Wikinger also ihre Kleidung - auf Mittelaltermärkten. Und ich hatte mich schon gefragt, woher Rune den ganzen Wikingerkram hatte, ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass er im Internet bestellte.

,,Ich komme gerne mit", erwiderte ich schließlich. ,,Wann? Wo? Lassen die da auch Leute in Jeans rein?" Ich neigte den Kopf zur Seite und betrachtete Rune, der aussah, als könnte er auf den Flyer eines solchen Marktes gedruckt werden.

Seine Iriden zuckten nervös hin und her, er griff nach seiner Kette, als wollte er sich daran festhalten. ,,Morgen um 15 Uhr am Ausgang des Internats?" Er musterte mich kurz und ließ die Kette wieder los. ,,Natürlich lassen sie dich so rein."

,,Sehr gut." Ich lächelte ihn an. ,,Dann sehen wir uns morgen?"

Rune nickte. Ich kannte ihn mittlerweile lange genug, um das Zucken seiner Mundwinkel als Lächeln zu interpretieren. Und lange genug, um ihm nicht böse zu sein, als er sich ohne weiteren Gruß umdrehte und ging. 

Inferno - Todessohn IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt