Kapitel 3.2

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~Cleo

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, wurde mir bewusst, dass ich schon wieder von Rune geträumt hatte. Das ging schon seit Tagen so. Der Wikinger spukte unablässig in meinen Gedanken umher. Tagsüber tat Rev sein Bestes, mich irgendwie abzulenken, aber nachts... nachts nahm sich mein verräterisches Hirn offensichtlich die Zeit, sich mit diesen Gedanken näher zu beschäftigen.

Ob es Rune wohl auch so ging? Oder war ich bloß ein Teil eines weiteren abgeschlossenen Auftrags? Meine Fingerspitzen kribbelten unter dem Element, während ich wütend die Decke ans Bettende kickte und mich aufrichtete. Das musste aufhören. Ich sollte nicht länger jemandem hinterherweinen, dem ich augenscheinlich nicht einmal eine Verabschiedung wert gewesen war. Ich blickte auf den Boden neben meinem Bett, wo Rev zusammengerollt, Hufi fest an sich gedrückt, schlief und leise vor sich hin schnarchte. So leise wie möglich, um ihn nicht zu wecken, verließ ich das Bett und zog mir etwas über. Dann huschte ich nach draußen. Ich brauchte dringend frische Luft. Und ein wenig Raum, so viel es mir auch bedeutete, dass Rev mir die letzten Tage nicht von der Seite gewichen war.

Als ich über den Campus lief, dämmerte es gerade erst und ich begegnete keiner Menschenseele. Erst, als ich am Ausgang ankam, sah ich die Wachen, die mir nur knapp zunickten. Spätestens seit dem Tag, an dem ich Seth erledigt hatte, hinderte mich niemand mehr daran, alleine das Internat zu verlassen. Vielleicht war es nicht das schlauste, alleine und noch dazu im Halbdunkeln durch den Wald zu laufen, aber das war mir im Augenblick egal. Ich brauchte die frische Luft, um irgendwie meine Gedanken zu ordnen, die gerade schon wieder Karussell fuhren. Ich war oft mit Rune durch diesen Wald gelaufen...

Ich ballte die Hände zu Fäusten und ging in schnellen Schritten weiter. Ich hatte auch vor Rune ein Leben, ich würde ein Leben ohne ihn haben - und trotzdem war er mir in den letzten Monaten so sehr ans Herz gewachsen, dass es weh tat. Es tat scheiße weh.

Ich wusste nicht, wie lange ich gelaufen war, als ich plötzlich etwas über mir hörte. Ich blieb stehen und spitzte die Ohren. Doch, da war etwas. Es hörte sich an wie Flügelschläge, aber es klang nicht nach einem Vogel, dafür erschienen sie mir zu laut. Und vielleicht bildete ich es mir ein, aber... das Geräusch schien näher zu kommen. Ich wartete lieber nicht darauf, bis mich was auch immer dort durch die Gegend flog, gefunden hatte. Ich sprintete los und wünschte mir augenblicklich, ich hätte wenigstens einen Dolch mitgenommen. Mein Puls raste, während ich durch das Dickicht hetzte und mich dabei immer weiter vom Rückweg entfernte, aus dessen Richtung ich das eigenartige Geräusch vernahm. Kurz drehte ich den Kopf, aber hinter mir war niemand. Ich sah auf. Und über mir... - ich rannte mit voller Wucht gegen einen Körper. Der Aufprall war so heftig, dass es mir die Luft aus den Lungen presste, während mein Gegenüber nicht einmal schwankte. Noch bevor ich den Kopf hob um festzustellen, in wen oder was ich hineingerannt war, wusste ich, dass das nichts Gutes bedeuten konnte. Ich hatte mich in eine ziemlich miese Situation bugsiert.

Ich blickte in giftig grüne Augen, die Dawsons Augen erstaunlich ähnlich sahen. Aber das war nicht Dawson. An der Lippe glänzten zwei Metallringe, das Haar war hellblau gefärbt. Es war nicht Dawsons Gesicht, aber ich kannte es trotzdem. Damals, als ich von Damian entführt und von den Rebellen gefangen genommen worden war, hatte er den Befehl bekommen, mich umzubringen. Es schien schon eine Ewigkeit her zu sein, aber sein Name hatte sich trotzdem bei mir eingebrannt. Ray. Der Vasanist mit den bunten Haaren und den dummen Sprüchen.

Bevor ich reagieren konnte, hatte er den Arm ausgestreckt und hielt mich fest. Nicht schmerzhaft, aber bestimmt. ,,Man sieht sich immer zwei Mal, was?"

Während seine Augen belustigt funkelten, schlug mir das Herz bis zum Hals. Bei den Göttern, wie hoch war die Wahrscheinlichkeit gewesen, dass ich ausgerechnet heute in genau diesen Vasanisten hinein rannte? Das Element kribbelte unter meiner Haut und verlangte danach freigelassen zu werden. Ich wartete einen Moment, bis der Druck und das Kribbeln der Energie in mir beinahe unhaltbar wurden, dann lockerte ich ruckartig meine Muskeln und eine Druckwelle schoss aus meiner Hand, die Ray tatsächlich einige Meter zurückstieß. Sofort nutzte ich die Chance, drehte mich um und sprintete los. Ich hörte etwas rascheln, dann landete Ray schon wieder vor mir und versperrte mir den Weg. ,,Hey!", zischte er. ,,Cleo, richtig? Ich möchte dir nichts tun, ich will nur red-" Er verstummte, als ich an den Sauerstoff-Molekülen riss und ihm damit die Luft zum Atmen nahm. Mittlerweile konnte ich es fast im Schlaf. Ich wartete nicht ab, sondern rannte wieder los, wohlwissend, dass ihn das nicht lange aufhalten würde. Mein Gehirn schien auszusetzen, ich hatte nur eines im Sinn - weg von hier. Weg von ihm.

Inferno - Todessohn IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt