~Cleo
,,Meinst du nicht, du hast langsam genug Trübsal geblasen?"
Dawsons Arm schnellte vor, ich blockte den Angriff halbherzig. Ich wusste nicht, was ich Trainer Liam getan hatte, dass Dawson mir im Unterricht andauernd als Kampfpartner zugewiesen wurde. Andererseits würde es mich auch nicht wundern, wenn Dawson ihn darum gebeten hätte, einfach nur, um mein Leben noch ein Stückchen schwerer zu machen. Das schien allgemein sein momentanes Lebensziel zu sein.
Genervt sah ich ihn an und nahm die Arme zur Abwehr hoch. ,,Zum letzten Mal; sollte ich irgendwann einen Therapeuten suchen, wärst du der allerletzte, den ich um Rat fragen würde."
Dawsons nächster Schlag durchbrach meine Abwehr und traf mich an der Schulter. Ich taumelte zurück, hielt mich aber auf den Beinen. Als ich den Kopf hob, sah ich, wie Dawson mich entgeistert ansah. ,,Ist das dein Ernst?" Er schüttelte den Kopf. ,,Du hast einen Gott in die Knie gezwungen und fabrizierst jetzt das hier?"
Zugegeben, ich kämpfte unterirdisch. Meine Gedanken waren überall, bloß nicht hier, im Trainingsraum. So sehr ich es hasste das zuzugeben; Rune spukte nach wir vor in meinen Gedanken herum. Das Aufeinandertreffen mit Ray, der mir einen Platz bei der Rebellion angeboten hatte, hatte ich ebenfalls noch nicht verarbeitet. Genauso wenig wie Revs Worte dazu. Vielleicht sollten wir einfach gehen...
Ich starrte Dawson finster an. ,,Such dir eben jemand anderes zum Kämpfen, wenn's dir nicht passt."
Dawson sah nicht zur Seite. Stattdessen erwiderte er meinen Blick, als ich etwas in seinen Augen aufblitzen sah. Er nahm die Arme hoch und fokussierte mich. ,,Ich hätte irgendwie nie gedacht, dass du eines von diesen Mädchen bist, die sich von einem Typen dermaßen den Kopf verdrehen lassen, dass sie nicht mehr klar denken können."
Ich starrte ihn an. ,,Wie bitte?"
Er lächelte mich an. ,,Hey, ich weiß, dass dich fertig macht, dass sich unser Wikinger einfach verpisst hat. Ich dachte ja auch, das mit euch würde etwas geben."
Ich drückte die Wirbelsäule durch und spürte, wie mein Puls zu rasen begann. Dawson drückte auf einen Nerv. Er bohrte in einer Wunde, die ihn nichts anging. Als er mich das nächste Mal angriff, blockte ich den Schlag. Die Genugtuung, einen weiteren Treffer zu landen, würde ich ihm nicht mehr geben. Ich griff an, Dawson wehrte den Schlag ab. ,,Was soll das?", zischte ich. Erneut schlug ich nach ihm, angestachelt durch die glühende Hitze, die in mir aufstieg. Dawson schlug meinen Arm zur Seite und umfasste mein Handgelenk. Einen Moment sahen wir uns in die Augen. ,,Ich will nur, dass du mal die andere Seite betrachtest. Dein Wikinger hat dich mit seiner niedlich-unbeholfenen Art um den FInger gewickelt und dann einfach sitzen gelassen. Ist das nicht eher Grund, um wütend statt traurig zu sein?", fragte er.
Oh, wütend war ich. Aber im Augenblick ganz besonders auf die Person vor mir. So wie er uns dastehen ließ, tickten weder Rune noch ich. So über uns zu urteilen, stand ihm nicht zu. Ich riss meinen Arm los und trat nach ihm. ,,So ist er nicht", erwiderte ich. Dawson wich mir aus, seine giftgrünen Augen schienen zu glühen. Machte ihm das hier gerade Spaß? Was zur Hölle wollte er damit bezwecken, mich so wütend zu machen?
,,Du solltest dir Ablenkung suchen. Unsere blonde Campusmatratze ist ja leider seit geraumer Zeit nicht mehr hier, aber es lässt sich sicher Ersatz finden. Wir haben ja noch mehr hübsche Jungs und Mädels hier." Meine Faust durchbrach seine Abwehr, ich traf ihn an der Brust und Dawson taumelte ein wenig zurück. Leider brachte ihn das nicht dazu, den Mund zu halten, im Gegenteil. ,,Ich bin mir sicher, dass er das auch tut. Ein neues Mädchen als Zeitvertreib, dort wo er jetzt arbeitet. Meinst du nicht?"
Dawsons Worte trieben kleine, spitze Dolche der Eifersucht und Enttäuschung durch mein Herz. Sie rissen die nie verheilte Wunde auf und ließen die Magie in mir erwachen, die wütend durch meine Adern rauschte. ,,Halt die Klappe", fauchte ich und schlug erneut zu. Diesmal traf ich die Magengrube, Dawson krümmte sich und ich ließ ihm keine Zeit, sich wieder aufzurichten. Stattdessen verpasste ich ihm einen weiteren Stoß, der ihn erneut taumeln ließ, jedoch nicht von den Beinen riss. Er hob den Kopf und blickte mir in die Augen. ,,Was meinst du denn, weshalb er sich nicht einmal bei dir verabschiedet hat, wenn du ihm doch angeblich etwas wert gewesen bist?"
Diese Worte trafen mich wie ein gezielter Schlag in die Magengrube. Die Hitze in mir schien mich fast zu verbrennen, das Element wütete durch meinen Körper. Blind vor Wut holte ich mit dem Arm aus und traf ihn an der Schulter. In dem Moment, als ich ihn berührte, schoss eine Druckwelle aus meiner Hand, die ihn bis ans Ende der Matte katapultierte. Dawson blieb ächzend liegen, aber ich ließ nicht von ihm ab. Stattdessen sprang ich ebenfalls ans Ende der Matte, packte ihn am Kragen und zerrte ihn daran wieder hoch. Ich sollte aufhören. Ihn loslassen, gehen, irgendwas. Ich hatte soeben schon gegen die Regeln verstoßen. Aber der Schmerz, die Enttäuschung und die Wut, die ich seit Tagen mit mir herumtrug, hatten nun ein Ziel gefunden. Eine der obersten Regeln des Unterrichts. Niemals nach dem Kopf schlagen. Ich ballte die freie Hand zur Faust, holte aus und schlug Dawson mitten ins Gesicht. Blut quoll aus seiner Nase und lief in einem dünnen Rinnsal über sein Gesicht. Erst dann ließ ich ihn los und starrte ungläubig meine Faust an. Was hatte ich getan? Seit wann war ich so offen gewaltbereit, nur weil Dawson mich ein wenig getriezt hatte? Dawson rappelte sich unterdessen auf. Er wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht, dann kam er mir wieder näher und umfasste mit der sauberen Hand mein Kinn, bis ich ihm in die Augen sehen musste. ,,So gefällst du mir viel besser, als wenn du um Leute trauerst, die es nicht wert sind."
Irritiert davon, dass er mich nicht anschrie und nicht sauer auf mich war, blinzelte ich ihn an. ,,Ich hoffe, die Nase ist gebrochen."
Er stieß ein ersticktes Lachen aus. ,,Wäre nicht das erste Mal."
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Trainer Liam neben unserer Matte auftauchte. ,,Was ist denn hier passiert?" Stirnrunzelnd sah er zwischen Dawson und mir hin und her. Ich wappnete mich für den Ärger, der mich für diese Aktion erwarten würde, als Dawson sich räusperte. ,,Das war Teil der Trainingsstrategie, die ich vorhin angesprochen hatte. Cleo hat alles richtig gemacht", erwiderte Dawson überraschenderweise. Einen Moment starrte ich ihn weiter mit klopfendem Herzen an, dann schüttelte ich langsam den Kopf, sprang von der Matte und ging. Dieser letzte Regelverstoß war es mir wert.
Irgendetwas musste ich verändern- irgendwas musste ich tun. In mir wohnte eine Unruhe, eine Wut, die immer weiter anwuchs. Manchmal erkannte ich mich selbst nicht mehr wieder. Die letzten Wochen war viel passiert, aber das war keine Entschuldigung. Ich musste das wieder in den Griff bekommen - ich wusste nur noch nicht wie.
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Inferno - Todessohn III
FantasyDas Mädchen, das den Anführer der Rebellen bezwungen hat - ein Ruf, auf den Cleo alles andere als stolz ist. Am Internat wird sie dafür gefeiert, die durch die Rebellen drohende Gefahr abgewendet zu haben. Ohne ihren Gott bricht die Rebellion langsa...