Kapitel 1

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~Cleo

Knisternd näherten sich mir die Flammen, sie schnappten nach mir und ich konnte gerade noch ausweichen. Ich konzentrierte mich auf die immer heißer werdende Luft, spürte, wie sie mir über die Arme strich und mit dem Element in mir verschmolz. Die einzelnen Partikel der Luft auseinanderzureißen und neu anzuordnen, fühlte sich mittlerweile vertraut an, es ging mir in Fleisch und Blut über. Ich spannte die Muskeln an, zerrte an den Moleküle, bis mir die Luft gehorchte und nachgab. Die Hitze ließ schlagartig nach und ich spürte, wie mir kühler Wind über die Haut fuhr. Noch immer waren meine Muskeln angespannt, ich versuchte den Zustand zu halten, obwohl das Element schmerzhaft an mir zerrte. Mein Gegenüber nutzte dies aus, kam mir näher und holte mit der Faust aus. Ich lockerte meine Muskeln, ließ zu, dass sich die Luft wieder in ihre ursprüngliche Form sortierte und riss die Arme hoch, um den Schlag abzublocken. Dumpfer Schmerz breitete sich in meinem Arm aus, aber ich ballte die Hände zu Fäusten und holte ebenfalls aus. Ich erwischte ihn an der Schulter, er taumelte einen Schritt zur Seite, hielt sich aber auf den Beinen. Geschickt fing er sich ab und drehte sich dabei wieder in meine Richtung. Schneller als ich reagieren konnte, holte er mit dem Bein aus und trat mir in die Kniekehle. Mein Bein knickte ein, durch irgendein göttliches Eingreifen schaffte ich es aber, mich auszubalancieren und auf den Beinen zu halten. Ich wollte gerade den nächsten Angriff starten, als die Stimme unseres Trainers ertönte. ,,Das reicht für heute! Cleo, Jackson, ich danke euch."
Etwas aus dem Konzept gebracht, ließ ich die Fäuste sinken, während Jackson auf mich zukam und mir die Hand hinhielt. ,,Nicht schlecht, Moreland."

,,Gleichfalls", erwiderte ich und schlug ein.

Trainer Liam räusperte sich. ,,Wie Cleo gerade mal wieder schön gezeigt hat, muss jeder von euch selbst herausfinden, wie er sein Element steuern kann und was er damit am besten tun kann. Es hat nicht nur etwas mit Stärke zu tun- sondern auch mit Kreativität. Findet für euch selbst heraus, was am besten für euch funktioniert."

Ich starrte auf den Boden und spürte, wie mir die Röte ins Gesicht kroch. Diese neue Aufmerksamkeit gefiel mir gar nicht - zumal nicht ich mir diese Fähigkeiten beigebracht hatte. Unauffällig trat ich zurück und mischte mich unter die Schüler, die mir teilweise verstohlene Blick zuwarfen. Seit dem Kampf gegen die Rebellen sahen sie mich ständig so an. Als wäre ich nicht mehr Cleo, die ständig über ihre eigenen Füße stolperte, sondern Cleo, die Dawson geholfen hatte, den Rebellenanführer auszuschalten. Mir fuhr ein Schauer über den Rücken. Und scheiße, darauf war ich alles andere als stolz.

,,Das Training ist für heute beendet", rief Liam uns zu. ,,Wir sehen uns morgen."

Die Menge murmelte eine Verabschiedung, dann löste sie sich langsam auf. Ich schlug einen Weg ein, der direkt zu meinem Wohnheim führte, in der Hoffnung, dass ich es noch schaffte zu duschen, bevor Rev mich überfiel. Er hatte mir angedroht, heute Zeit mit mir verbringen zu wollen.
Ich kam ungefähr zehn Meter weit, ehe ich eine bekannte Stimme vernahm. ,,Hiiii!"
Der vertraute Geruch nach Gras, Rauch und Erdbeer-Duschgel stieg mir in die Nase, dann kam ein riesiger Kerl in pinkem T-Shirt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.  ,,Warte Rev, ich bin noch ganz eklig und versch-"

Kräftige Arme legten sich um mich und pressten mir die Luft aus der Lunge.  ,,...-witzt", brachte ich heraus, ehe ich ergeben ebenfalls die Arme hob und ihn zurück umarmte. Er schnupperte an mir. ,,Verschwitzt? Quatsch, du riechst nach Blümchen, wie immer."

Ich roch nicht nach Blümchen. Rev ließ mich erst los, als ich zu röchelnd begann. ,,Wie war der Unterricht?", fragte er und hüpfte fröhlich neben mir her, als ich den Weg in Richtung der Wohnheime fortsetzte. Ich hatte das mit dem Duschen noch nicht vollständig aufgegeben.

,,Okay", erwiderte ich.  ,,Das mit dem plötzlich cool sein ist mir immer noch ein bisschen suspekt."

Rev zuckte mit den Schultern. ,,Keine Ahnung, bin nie cool gewesen. Fand ich schon immer doof."

,,Ich bin auch nie cool gewesen", murmelte ich und starrte auf den Boden. Jedenfalls, bevor ich dabei geholfen hatte, einen Gott auszuschalten. Mir stellten sich die Nackenhaare auf und ich biss mir auf die Lippe.

Rev musterte mich prüfend. ,,Du siehst nicht glücklich aus", stellte er dann fest. Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, hatte er mir bereits einen Arm umgelegt. ,,Es ist wegen Seth, oder?"

Ich nickte wortlos. Da waren noch immer so viele Bilder, die mir nicht aus dem Kopf gehen wollten - und diese götterverdammten Schuldgefühle, die mich langsam zerfraßen. Ich träumte nachts von den Ereignissen auf der Ratssitzung. Ich sah es vor mir, wenn ich die Augen schloss. Und ich wusste nicht, wie ich jemals damit leben sollte.

Rev zog mich noch etwas näher an mich heran. ,,Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll." Unglücklich sah er mich an.

Ich atmete tief durch und lehnte den Kopf gegen Revs Schulter. Verschwitzt hin oder her, die tröstliche Berührung tat gut. ,,Du musst dazu nichts sagen."

Einen Moment lang schwiegen wir beide. Rev ließ seinen Arm auf meine Schulter liegen, bis wir schließlich vor dem Eingang meines Wohnheims zum Stehen kamen. Er ließ mich los, öffnete die Tür und hielt sie mir auf.

,,Hast du nochmal was von Seth gehört?", fragte ich Rev, während wir den Gang entlang liefen. ,,Beim Zocken... Oder einfach so?" Eigentlich war ich mir sicher die Antwort bereits zu kennen, aber da war trotzdem ein Hauch von Hoffnung, an die ich mich klammerte. Rev war schließlich der Einzige, mit dem Seth auch während seiner Zeit bei der Rebellion Kontakt gepflegt hatte.
Rev schüttelte allerdings bedauernd den Kopf. ,,Nichts. Momentan scheint er nicht mal mehr Killingfloor zu zocken - und wenn doch, nicht mit mir."

Das wäre eine weitere Woche ohne jedes Lebenszeichen von Seth. Ich wusste nicht, was er nun tat oder wo er nun war. Ich wusste nicht einmal, ob ich es jemals erfahren würde. Oder ob... ob er sich vielleicht etwas angetan hatte.
Als wir vor meiner Zimmertür ankamen, kramte ich meinen Schlüssel heraus und schloss auf. Rev rauschte an mir vorbei und ließ sich souverän auf mein Bett fallen.  ,,Und du wohnst hier jetzt echt allein?", fragte er und ließ seinen Blick durch's Zimmer wandern.

Ich zuckte mit den Schultern. ,,Sieht ganz so aus."
Chris war vor einigen Tagen zu ihrer Freundin ins Zimmer gezogen, was keinen großen Unterschied machte, weil sie ohnehin die meiste Zeit dort verbracht hatte. Sie hatte mir mehrfach versichert, dass es nichts persönliches war. Ich glaubte ihr und meinte genauso wenig persönlich, dass ich eigentlich ganz froh, um ein eigenes Zimmer war. Nie alleine zu sein, zerrte auf Dauer doch irgendwann an meinen Nerven.

,,Wir sollten eine WG gründen", schlug Rev vor.

Egal wie sehr ich Rev auch mochte, das konnte nicht gut enden. Ich ging nicht darauf ein und öffnete die Tür zum Badezimmer. ,,Ich geh schnell duschen, bin gleich wieder da", teilte ich ihm mit, huschte ins Bad und knallte die Tür zu, bevor Rev mich davon abhalten konnte.

Inferno - Todessohn IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt