~Seth
Der Auftritt verlief gut. Nahezu unheimlich gut, wenn man bedachte, dass wir erst seit einer Woche miteinander probten. Azrael hatte mich nicht angelogen - die Leute waren begeistert von der Art, wie ich mit dem Feuer spielte.
Es gab Beifall, Fotos ohne Ende, Zugaben und ein paar verrückte Menschen, die mein verschwitztes Ich vor der Halle abgefangen hatten, um Bilder mit mir zu machen. Mir kam das alles immer noch vollkommen surreal vor. Wie ein absurder Traum, aus dem ich wieder erwachen würde.
Das Erwachen aus diesem Albtraum hatte ich allerdings längst aufgegeben, deshalb war es für mich düstere Realität, mitten in der Nacht auf der Suche nach dem Bahnhof durch den Wald zu streifen. Vorhin war ich noch überzeugt davon gewesen, dass ich den Rückweg ohne Google Maps finden würde. Mittlerweile befürchtete ich, dass ich Google Maps befragen musste, wenn ich nicht gleich am Knusperhäuschen der bösen Hexe vorbeikommen wollte. Zumal ich mir sicher war, dass ich vorhin nicht länger als fünf Minuten durch den Wald gegangen war - mittlerweile waren es mindestens zwanzig. Seufzend blieb ich stehen und nahm mein Handy aus der Hosentasche. Ich war zu weit gelaufen. Natürlich. Ich hätte längst abbiegen müssen. Als ich das Handy wieder sinken ließ, brauchten meine Augen einen Moment, bis sie sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten und ich die Umrisse des Weges erkannte. Ein leichter Wind ließ das Laub der Bäume rascheln und wehte mir Haarsträhnen ins Gesicht, die an meinen verschwitzten Wangen kleben blieben. Ich seufzte wieder. Nächstes Mal würde ich Liliths Angebot, mich nach Hause zu fahren, annehmen. Bis ich diesen götterverdammten Bahnhof gefunden hatte, würden vermutlich nicht einmal mehr Bahnen fahren.
Missmutig stiefelte ich weiter, bis sich mir plötzlich sämtliche Nackenhaare aufstellten. Meine Muskeln spannten sich an und ich fühlte mich... beobachtet. Als würde zwischen den Büschen etwas lauern, das es auf mich abgesehen hatte. Instinktiv ballte ich die Hände zu Fäusten, auch wenn mir das lächerlich vorkam. Was sollte hier schon aus dem Gebüsch springen? Ein Axtmörder? Oder ein weiterer Inferno-Fan, der ein schlimmes Foto mit mir machen wollte? Ich konnte diese ständige Wachsamkeit nicht einfach ablegen. Ich war gewohnt gewesen, dass mich ständig alles mögliche umbringen wollte - es war ungewohnt, dass das nicht mehr der Fall war. Und in diesem Moment schrie alles in mir Gefahr. Meine Muskeln spannten sich schmerzhaft stramm an und ich spürte das Rebellentattoo unter meiner Haut brennen und pochen, als wollte es mich vor etwas warnen. Aber wovor?
Direkt hinter mir zerbrach ein Ast. Ich wirbelte herum, zu langsam, wurde am Hals gepackt und zurück gerissen. Schmerzhaft drückte ein Arm auf meine Kehle und schnürte mir die Luft ab. ,,Warum riechst du nach Gott...", zischte mir eine Stimme ins Ohr, ,,und stinkst gleichzeitig nach Mensch?"
Ruckartig verlagerte ich das Gewicht nach hinten, was meinen Angreifer kurz aus dem Konzept zu bringen schien und ihn dazu veranlasste, seinen Griff zu lockern. Ich nutzte die Chance, um mich loszureißen und umzudrehen. Automatisch nahm ich die Arme zum Angriff hoch, eine Bewegung, die ich Wochen nicht mehr ausgeführt hatte. Als ich den Blick auf meinen Angreifer richtete, sah ich in rote Augen, die das schwache Mondlicht wie die einer Katze reflektierten. Ein Vasanist - und er sah hungrig aus. ,,Sorry", erwiderte ich, bevor ich die ganze Situation verarbeitet hatte, ,,ich bin noch nicht duschen gewesen."
Der Vasanist musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. ,,Was bist du?!", fauchte er mich an. Ich neigte den Kopf zur Seite und sah ihn an. Mein Herz trommelte gegen meinen Brustkorb und das Tattoo an meinem Hals brannte noch immer, aber gleichzeitig... gleichzeitig tat es gut, jemanden zu sehen, der offensichtlich kein normaler Mensch war? Er war ein Vasanist, offensichtlich hungrig und auf den ersten Blick konnte ich auch kein Rebellenzeichen an ihm erkennen, trotzdem hatte ich mich die letzten Wochen niemandem auf Anhieb so verbunden gefühlt, wie diesem Vasanisten. Das war schräg.
,,Genau das, wonach ich stinke", gab ich schließlich zurück. ,,Ein Mensch."
Der Vasanist hingegen schien mir überhaupt nicht zugehört zu haben. Stattdessen starrte er auf meinen Hals und rümpfte die Nase. ,,Du bist einer von denen. Ganz bestimmt kein Mensch." Er hob einen Mundwinkel. ,,Aber sicher ein netter Mitternachtssnack." Und damit stürzte er sich wieder auf mich. Ich fing ihn ab, bevor er mir zu nahe kam und rammte ihm den Ellenbogen in die Magengrube, was ihn jedoch nur leise stöhnen ließ. Er riss sich aus meinem Griff los und ich spürte, wie sich augenblicklich kalte, kräftige Finger in meinen Nacken bohrten und mich festhielten.
Ich war langsam geworden. Früher wäre mir das nicht passiert. Einen Moment fragte ich mich, ob ich nicht einfach zulassen sollte, dass er mich biss. Einfach, um herauszufinden, ob mein Blut wirklich menschlich war. Als ich dann aber seinen warmen Atem an meinem Hals spürte und er an mir witterte wie ein Tier, rammte ich ihm den Ellenbogen in die Seite und befreite mich aus seinem Griff. Der Vasanist fletschte die spitzen Zähne. ,,Für einen angeblichen Menschen bist du ganz schön nervig."
Ich holte mit dem Arm zum Angriff aus, aber meine Faust sollte ihn nie treffen. Mit der Wucht eines LKWs erfasste mich eine Windböe und schleuderte mich gegen den nächsten Baum. Der Aufprall presste mir die Luft aus den Lungen. Ein scharfer Schmerz schoss mir die Wirbelsäule hoch und ich sah Sterne. Das Element des Vasanisten drückte mich unterdessen weiterhin gegen den Baum, so fest, dass ich kaum den kleinen Finger heben konnte. Während mein Rücken schmerzte, als würde jemand mit einer Eisenstange darauf einschlagen, erblickte ich die roten Augen des Vasanisten über mir. Den Bruchteil einer Sekunde später spürte ich, wie sich etwas Spitzes in meinen Unterarm bohrte. Ich wollte den Arm zurückreißen, doch im gleichen Moment schien mein Körper zu erstarren. Zuerst gefror mir das Blut in den Adern, eine eisige Kälte legte sich um meinen Körper, die sich mit jedem Pulsschlag weiter ausbreitete. Dann plötzlich erfasste mich eine glühende Hitze und das Gefühl, als würden sich tausende glühende Nadeln von innen nach außen durch meine Haut bohren. Als würde das Blut in mir anschwellen und meine Adern zum Platzen bringen. Ich war in all den Jahren noch nie gebissen worden. Und bei den Göttern, ich hätte gut darauf verzichten können. Die Schwärze in meinem Sichtfeld wurde immer größer und gerade als ich dachte, dass ich gleich umkippen würde, ließ der Schmerz ganz plötzlich nach. Sämtliche Zellen schienen an ihre ursprünglichen Plätze zurückzuschnalzen und auch auch die Hitze ließ wieder nach.
Mein Sichtfeld wurde wieder klarer und ich sah wie der Vasanist würgend zur Seite taumelte und Blut ausspuckte. ,,Was bist du denn für 'ne Missgeburt?", stieß er hervor und würgte erneut. Ruckartig richtete ich mich auf. Ein Wirbel rückte knirschend zurück an seinen Platz, trotz der hämmernden Schmerzen in meinem Rücken stieß ich mich von dem Baum ab und ballte die Hände zu Fäusten. Dieser Bastard hatte mich gebissen und damit würde er mit seinem Leben bezahlen. Sollte ihm mein verdammtes Blut doch in der Lunge stecken bleiben. Ich packte den Vasanist, der sich noch immer würgend zusammengekrümmt hatte, an der Schulter, zerrte ihn zurück und legte anschließend meinen Arm um seinen Hals. Ich drückte zu, nur ein bisschen. ,,Göttliches oder menschliches Blut?", diesmal ich zischte ihn an. Der Vasanist holte röchelnd Luft und versuchte vergeblich, sich aus meinem Griff zu wenden. ,,Alter, du schmeckst wie eine Ausgeburt der Hölle. Wenn du ein Mensch bist, will nichtmal ich wissen, was du getan hast, dass deine Seele so schwarz ist."
Ich ließ ihn los, nur für einen kurzen Moment. ,,Danke." Dann platzierte ich eine Hand an seinem Hals, die andere an seinem Kopf.
Das Knirschen hallte unnatürlich laut durch die Nacht, als sein Genick brach und zurück blieb nur eine rote Staubwolke, die in meinen Augen brannte.
DU LIEST GERADE
Inferno - Todessohn III
FantasyDas Mädchen, das den Anführer der Rebellen bezwungen hat - ein Ruf, auf den Cleo alles andere als stolz ist. Am Internat wird sie dafür gefeiert, die durch die Rebellen drohende Gefahr abgewendet zu haben. Ohne ihren Gott bricht die Rebellion langsa...