Kapitel 2.2

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~Seth

I′m waiting in my cold cell
When the bell begins to chime... **

Gedankenverloren zupfte ich an den Gitarrensaiten und atmete die Dämpfe des Benzins ein, das in flackernden Flammen an meinen Handgelenken verbrannte. Das Feuer fühlte sich angenehm warm auf meiner Haut an, nur das Benzin, in welchem ich das schwarze Tape getränkt hatte, zwickte unangenehm. Die Flammen auf meiner Haut wirkten vertraut, als hätte ich einen Teil von mir selbst zurück bekommen, gleichzeitig hatte sich mein Element nie ferner angefühlt. Es war nicht mein Feuer. Es war nicht rot und schwarz und vor allem hatte ich es mit einem verdammten Feuerzeug angezündet. Als ich die nächsten Zeilen sang, kam es mir vor, als würden mich die bezingenährten Flammen an meinen Armen leise auslachen. Aber die Leute um mich lachten nicht. Als ich es für einen kurzen Moment wagte, den Kopf zu heben, sah ich, dass viel mehr Leute als sonst stehen geblieben waren und mir zuhörten. Oder viel mehr das Feuer auf meiner Haut beobachteten. Ich war nicht blöd. Meine neu entdeckte Feuerresistenz brachte mir nichts - sie brachte weder mein echtes Element, noch meine Göttlichkeit zurück, aber sie brachte mir Geld. Menschen fanden einen Kerl mit Gitarre wesentlich interessanter, wenn seine Arme dabei brannten.

Dennoch gewöhnte ich mich langsam an das hier. Ich konnte nicht behaupten, dass es mir Spaß machte, aber ich fand es mittlerweile... weniger schlimm. Und mein innerer Rebell freute sich darüber, all den Menschen hier den letzten Überrest meiner Nicht-Menschlichen Seite zu demonstrieren - die Götter hätten das gar nicht gut gefunden, wo die Geheimhaltung unserer Art doch ihr wichtigstes Gebot war. Andererseits konnte es mir mittlerweile sonst wo vorbeigehen, was die Götter hiervon dachten. Bei diesem Gedanken spannten sich meine Muskeln an und das niedliche Feuer an meinen Armen war nicht ansatzweise dazu in der Lage, die aufkommende Kälte in mir zu mildern.
Ich drückte die Wirbelsäule durch und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Ich war hier ohnehin fast fertig.

When you know that your time is close at hand
Maybe then you'll begin to understand
Life down here is just a strange illusion

Als ich den Kopf hob, sah ich, wie viele Leute sich mittlerweile um mich versammelt hatten und mir zuhörten - und zusahen. Am fasziniertesten sahen mich wohl die Kinder an, obwohl die Flammen an meinen Armen langsam aber sicher abnahmen, weil das Tape fast vollständig abgebrannt war. Ein guter Zeitpunkt, um aufzuhören. Die letzten Töne von Hallowed Be Thy Name hallten durch die Straße, dann machte ich mich unter dem Applaus der Zuschauer daran, meine Sachen zusammenzupacken. Daraufhin löste sich auch die Gruppe um mich langsam auf. Nur ein Mädchen mit ihrer Mutter, die mich ansah, als wäre ich ein Einhorn, und ein Kerl mit langen schwarzen Haaren in einem ebenfalls schwarzen Mantel, standen noch immer dort. Letzteren sah ich nicht zum ersten Mal hier. Er war mir schon des öfteren aufgefallen, weil er jedes Mal diesen langen schwarzen Mantel trug, der mir für die aktuelle Jahreszeit viel zu warm erschien. Vielleicht nahm er die Überhitzung für die Ästhetik, des im Wind wehenden Stoffs aber auch gerne in Kauf. Wie auch immer. Ich stopfte meine Gitarre in die Tasche und zündete eine Zigarette an den schwach brennenden Flammen an meinem Arm an. Danach zupfte ich die Tape-Reste von meiner Haut und setzte mich in Bewegung.

,,Warte!"

Ich blieb stehen und drehte mich um. Vor mir stand der Schwarzhaarige, sein Mantel wehte hinter ihm, als wäre er die letzten Schritte gerannt. Ich zog fragend die Augenbrauen hoch, während ich die Zigarette wieder zwischen meine Lippen schob und tief einatmete.

Der Schwarzhaarige lächelte mich an. ,,Seth, richtig?"

Woher wusste er...? Perplex pustete ich ihm den Rauch ins Gesicht, aber das schien ihn nicht weiter zu stören. ,,Woher...?", setzte ich an.

Er lächelte noch immer. ,,Ich bin schon vor Ewigkeiten mal auf ein Cover von dir auf Instagram gestoßen. Du hast wirklich Talent."

Ich sagte nichts und starrte ihn nur an. Der Account war schon seit Monaten inaktiv, aber scheinbar folgten mir dort eindeutig zu viele Leute. Zu viele, als dass der Algorithmus ihn in den Tiefen Instagrams vergraben hätte.

Der Schwarzhaarige deutete auf die Rußspuren auf meiner Haut. ,,Und das mit dem Feuer - echt krass. Wie machst du das?"

Ich starrte ihn noch immer irritiert an, schaffte es jetzt aber immerhin, dabei zu rauchen.  ,,Benzin und Tape", antwortete ich schließlich, wohlwissend, dass das seine Frage nicht beantwortete.

Er sah mich einen Moment an, als wollte er nachhaken, aber dann schien er es sich anders zu überlegen. ,,Ich bin Phil", stellte er sich stattdessen vor.

Ich unterließ es meinen Namen zu sagen, er kannte ihn ja ohnehin schon.

,,Ich bin Gitarrist in einer Band", redete er weiter. ,,Sagt dir der Name Inferno etwas?"

Ich schüttelte den Kopf. ,,Nie gehört", erwiderte ich, obwohl ich mir sicher war, dass mir dieser Name bereits auf Spotify begegnet war. Könnte aber auch daran liegen, dass ungefähr jede zweite alternative Band so hieß.

Phil wirkte kurz verwundert, als hätte er eine andere Antwort erwartet, fing sich aber schnell wieder. ,,Das macht nichts. Jedenfalls - wir sind bekannt für unsere Bühnenshow, viel Feuer, Bühnenbild, düstere Atmosphäre und so - das würde dir bestimmt zusagen."

Ich sah ihn an und wusste immer noch nicht, was er gerade von mir wollte.  ,,Schön", sagte ich gedehnt.

Phil seufzte. ,,Wir suchen aktuell einen neuen Sänger, weil es einige Unstimmigkeiten gab. Du wärst einfach perfekt dafür", kam er auf den Punkt. Ich blinzelte.

,,Also, Seth, ich frage dich ganz direkt. Könntest du dir vorstellen, ab sofort in Inferno zu singen, statt dich hier auf die Straße zu setzen?"

Ich starrte ihn ungläubig an. Wie lange kannte er mich nun? Neunzig Sekunden? Ich drückte meine Zigarette an dem Mülleimer aus, der praktischerweise neben mir stand, und warf sie hinein. ,,Kein Interesse", erwiderte ich schließlich knapp und setzte mich in Bewegung.

Phil ließ nicht locker und eilte mir mit wehendem Mantel nach. ,,Ich weiß, das war ein bisschen viel auf einmal, aber denk drüber nach. Was du da mit dem Feuer anstellst... Ich glaube, dir könnte es bei uns wirklich gefallen. Unsere Auftritte sind eine Mischung aus Musikauftritt und Feuershow und wir könnten jemanden wie dich wirklich gebrauchen..."

Ich drehte den Kopf kurz in seine Richtung, blieb aber nicht stehen. Bei den Göttern, der Kerl war fast so hartnäckig, wie die Frau von Greenpeace, die mir neulich am Bahnhof eine Spende abgezwackt hatte. ,,Ich mache das hier nur für's Geld", teilte ich ihm ehrlich mit. ,,Ich finde es furchtbar, vor anderen Leuten zu singen."

Phil ließ noch immer nicht von mir ab. ,,Wenn es dir darum geht - fang bei uns an und du wirst keine Geldprobleme mehr haben."

Ich konnte nicht anders, als ihn schon wieder ungläubig anzustarren. Ich benahm mich wie das größte Arschloch und er versuchte trotzdem, mich mit Geld zu ködern? Ich schüttelte langsam den Kopf und tastete angespannt erneut nach der Zigarettenpackung. ,,Hör mal, ich muss irgendwie meinen Schulabschluss nachholen - da ist nebenbei nicht viel drin mit Musik machen und Feuer spucken." Ich holte tief Luft, ließ die Zigarettenschachtel wo sie war und kratzte all mein Feingefühl zusammen. ,,Aber danke für das Angebot."

,,Daran soll es nicht scheitern", entgegnete Phil.  ,,Bitte, denk drüber nach." Er lächelte mich an.

Angespannt ließ ich meine Fingerknochen knacken. Zumindest das Geld konnte ich durchaus gebrauchen...

Phil streckte die Hand aus und hielt mir eine Karte hin. ,,Dein Talent ist hier verschwendet und selbst wenn du nur wegen dem Geld mitmachst - es lohnt sich. Überleg's dir."

Obwohl ich es eigentlich nicht wollte, griff ich widerwillig nach der Karte und schob sie in meine Hosentasche.  ,,Danke", brachte ich heraus.

Er nickte mir zu. ,,Melde dich."

Dann bog er ab und verschwand in einer Seitengasse. Der extravagante Mantel flatterte hinter ihm her.

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**Zitat: Iron Maiden - Hallowed Be Thy Name

Inferno - Todessohn IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt