Kapitel 18

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Ich lag auf dem Rücken in meinem Bett und starrte an die Zimmerdecke. Dank der Schmerzmittel, die mir die Krankenpflegerin verabreicht hatte, tat meine nun sorgfältig verarztete und verbundene Hand nicht mehr so sehr weh. 

Timothy lag neben mir, den Kopf auf den Arm gestützt und schaute mich an. Immer wieder setzte er an, um etwas zu sagen, blieb dann aber doch still. Ich konnte mir denken, was er mir sagen wollte.

Warum tust du so etwas Dummes?

Warum verletzt du dich selbst?

Warum redest du nicht mit mir darüber?

Warum bist du nicht zu deiner Mum gegangen?

Wie kannst du mir das antun?

Wie kannst du das Maja und deiner Mum antun?

Warum bist du so schwach?

Warum machst du das immer noch, obwohl du in der Klinik warst?

Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel, rann seitlich über mein Gesicht und verschwand in meinem Haaransatz. Timothy bemerkte es auch. Er hob die Hand und wischte mit dem Finger über die nass gewordene Stelle. Wieder setzte er an: „Tristan?"

„Mhm?", machte ich nur, ohne meinen Blick von der Zimmerdecke abzuwenden. Welchen Satz aus meinen Gedanken, würde ich jetzt wohl zu hören bekommen?

„Ich liebe dich." 

Dieser Satz war nicht dabei gewesen. Ich schluckte. Wie konnte er das sagen? Wie konnte er mich Versager lieben, der nur Probleme mit sich brachte. Langsam drehte ich mein Gesicht auf die Seite, um ihn anzuschauen.

Sein Gesichtsausdruck wirkte irgendwie ernst, aber auch liebevoll. Wieder streifte er sanft mit den Fingerspitzen über mein Gesicht.

„Ich dich auch", flüsterte ich dann, während mir schon wieder Tränen übers Gesicht liefen. Er zog mich zu sich ran und ich schmiegte mein Gesicht in seine Halsbeuge. 

„Danke, dass du da bist", murmelte ich mit belegter Stimme.

„Natürlich."

Wieder schwiegen wir eine Weile. Er streichelte dabei sanft über meinen Rücken. Dann unterbrach ich die Stille doch: „Es ist gerade einfach alles zu viel."

„Was ist dir zu viel?", fragte er mit ruhiger Stimme nach.

„Alles. Ich komm' in der Schule nicht mehr mit. Mama hat vorgeschlagen, dass ich das Schuljahr nochmal wiederholen könnte, aber der Gedanke, ohne dich und die anderen in der Klasse zu sein, macht mir Angst."

„Verstehe ich. Ich hatte auch Angst, als ich neu in eure Klasse gekommen bin. Ich kann nachher mal in die Mindfuck-Gruppe schreiben. Vielleicht haben Irina, Robin oder Henry 'ne Idee. Wir könnten uns vielleicht abwechseln und dir Nachhilfe geben."

„Ich bin nur jetzt schon mega gestresst und ihr habt alle eure eigenen Probleme ... Ich will niemandem zur Last fallen", jammerte ich.

„Tust du doch gar nicht." Aber es fühlte sich so an.

Wieder war es für einige Minuten ruhig, bevor ich weitersprach. „Irina tut mir auch schrecklich leid. Ständig muss ich daran denken, wie traurig sie jetzt wegen Chi Chi ist."

„Ach, mein Kätzchen", sagte er und küsste mich liebevoll auf die Stirn, „mir tut sie auch sehr leid, aber Irina ist so toll und stark. Sie schafft das." Ich nickte.

„Belastet dich sonst noch was?"

Ich schluckte und dachte kurz nach, ob ich es ansprechen sollte. Aber ich wollte nichts vor ihm verheimlichen. „Das mit deiner Mum", flüsterte ich.

Er schaute mich wehmütig an und drückte mich fest an sich. „Das tut mir so leid. Das hätte niemals passieren dürfen und wird es auch nicht mehr, versprochen!" Aber selbst, wenn sie mir nichts mehr tun würde, Albträume hatte ich seither trotzdem jede Nacht.

„Ich werde sie bestimmt nächste Woche sehen, wenn wir in Hamburg sind, oder?" Allein der Gedanke daran ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen.

„Nicht, wenn du nicht magst. Wir können uns draußen treffen, oder ich komm' zu dir."

Ich seufzte. „Meine Mum muss es mir sowieso erst noch erlauben. Sie war nicht gerade begeistert, als ich sie gefragt habe und wollte es sich noch überlegen. Aber keine Ahnung, ob sie das nach meinem Aussetzer heute noch tut."

„Ich bin aber auch nicht so glücklich mit dem Gedanken, dass du da bei deinem Dad bist."

„Es ist nicht das erste Mal, dass ich dort bin." Gut, das letzte Mal war vor zwei Jahren und damals war er ausgeflippt, als ich ihm erzählt hatte, dass ich schwul bin. Trotzdem. Ich würde es keine Woche ohne Timothy daheim aushalten. Mit meinem Dad würde ich schon fertig werden. Jetzt galt es, nur noch meine Mum zu überzeugen.

Sie war komplett fertig mit den Nerven und telefonierte schon wieder alle möglichen Nummern durch, um endlich einen Therapieplatz für mich zu finden. Bisher gab es nirgends einen freien Platz für mich, wo ich einmal die Woche hin könnte. Die Therapeutin aus der Klinik hatte mir nur während meines Aufenthaltes dort zur Verfügung gestanden.

Wie auf ein Stichwort klopfte es an der Tür und Mama streckte den Kopf herein. „Na, ihr beiden. Ich bringe euch was zum Abendessen." In der Hand hielt sie einen großen Teller mit belegten Broten, Kirschtomaten und Karottensticks, den sie auf meinem Nachtschränkchen abstellte.

„Danke, Mama."

Sie setzte sich noch auf die Bettkante und schaute mich mitfühlend an. „Wie geht's dir, mein Schatz?"

„Ganz okay." Ich versuchte zu lächeln. „Mama, hast du dir das überlegt, wegen nächster Woche?"

Sie seufzte. „Ich glaube, das ist keine so gute Idee. Du kennst deinen Vater. Er ist nicht gerade sensibel."

„Bitte, Mama", bettelte ich, „ich werde einfach die meiste Zeit bei Timothy sein und bei Dad so wenig Zeit wie möglich verbringen."

Wieder ein Seufzen und ein unentschlossener Blick.

„Biiiitte!"

„Na, gut ..."

Sofort breitete sich ein Strahlen über mein Gesicht aus. „Danke! Ach so und wenn wir gerade dabei sind: Darf Timothy heute Nacht bitte wieder hier schlafen?"

Mama atmete genervt aus. „Ihr zwei seid wirklich unzertrennlich wie zwei siamesische Zwillinge. Timothys Eltern wissen wahrscheinlich schon gar nicht mehr, wie ihr Sohn aussieht."

Ich grinste: „Ist das ein Ja?"

„Ausnahmsweise und Timothy soll bitte seine Eltern auch noch fragen." Timothy nickte ebenfalls grinsend neben mir.

„Nice! Danke Mama, du bist die Beste!"

„Ja ja", lächelte sie, stand dann wieder auf und ging aus dem Zimmer.

„Ich freu' mich so auf Hamburg mit dir!", sagte ich und zog Timothys Gesicht überschwänglich zu mir, um ihn zu küssen.

„Ich mich auch!", presste er hervor, während ich immer noch meinen Mund auf seinen drückte.

Dann richtete ich mich auf, lehnte mich ans Kopfende meines Bettes an und nahm den Teller mit den Broten auf meinen Schoß. Während ich nach einem mit Käse und Essiggurken griff, nahm sich Timothy eins mit Wurst.

„Doofe Frage, aber wie wolltest du eigentlich nach Hamburg kommen? Bei uns im Auto ist dummerweise kein Platz frei."

„Ich fahre wieder mit dem Zug. Das habe ich schonmal so gemacht", antwortete ich kauend. Sein Gesicht hellte sich auf: „Dann frage ich meine Eltern, ob wir zusammen fahren dürfen. Vielleicht hat Grace auch Lust dazu."

„Oh ja, das wäre richtig cool!"

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Die zwei sind einfach Zucker! Und Timothy ist echt so lieb, wie er Tristan beisteht <3

Im nächsten Kapitel geht es dann schon nach Hamburg! Und ja, dort wird einiges passieren :D Freue mich schon sehr auf die Kapitel :))

Love ya, Elena <3

Tristan und Timothy 2 [BxB] - Wenn Eis und Bernstein eins werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt