Cornelia

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 Ich hatte sie reingebeten. Mich meinem Schicksal ergeben, ohne zu wissen, was mich erwartete. Oder ich wollte es nicht wahrhaben. Mal wieder?

Hätte sie nicht die Einladung in meine Wohnung ablehnen können und sich verabschieden? Gesehen, dass ich es nachhause geschafft hatte, hatte sie ja schließlich.

Niemand sprach ein Wort auf dem Weg nach oben. Ich schloss die Wohnungstür auf, kickte meine Heels zur Seite und stellte meine Tasche auf die kleine Bank im Flur. Dr. Leitz nahm ich ihren Mantel ab und hängte meinen ebenfalls auf.

„Rot oder Weiß?", war die erste Frage, die ich ihr, nachdem ich die Klinik eilig verlassen hatte, stellte.

Sie begriff sofort „Rot."

Erneut hatte sie diesen Gesichtsausdruck, den ich nicht zu deuten vermochte. Zu gegebener Zeit würde ich sie danach fragen.

Ich verschwand in Richtung Küche und zog eine Flasche Rotwein aus dem Halter. „Gute Wahl.", schmunzelte ich.

Meine unerwartete Besucherin war mir gefolgt und blickte sich neugierig um. Die Wände der Diele und angrenzenden Wohnküche waren von Modeskizzen gesäumt. Jede schwarz - weiß Zeichnung zeigte eine andere Pose und die Psychologin betrachtete im Augenblick jede von ihnen.

Ich trat neben sie und reichte ihr ihr Glas Wein. „Ein wirklich schönes Stück, nicht wahr?"

„Vielen Dank für den Wein", war alles, was sie entgegnete. Fünf gehauchte Worte, die eine Gänsehaut hinterließen.

Ich räusperte mich und trat einen Schritt beiseite. Wozu wusste ich selbst nicht. Hatte es Warnungen in meinem Kopf gegeben, so hatte ich sie nicht gehört oder ignoriert.

Ich fragte mich, ob sie wusste, welche Wirkung sie auf mich hatte und wenn ja, ob Absicht dahinter war.

„Haben Sie die selbst gezeichnet?", fragte sie ohne den Blick von den Skizzen zu nehmen.

„Nicht alle. Die, die von mir sind stammen noch aus Studienzeiten.", erklärte ich.

Die Frau neben mir nickte nur. „Ist es dabei geblieben?" Ihr Kopf machte eine Bewegung gen Zeichnungen.

Ich spürte eine Art Wehmut. Die Zeichnungen hatten mir damals viel bedeutet, taten es noch heute. Ich sah sie jeden Tag und theoretisch müssten sie mich jeden Tag daran erinnern, dass ich einen Teil meines Traums hatte aufgeben müssen. Doch sie taten es nicht, möglicherweise weil ich mich über die Jahre an ihren Anblick gewöhnt hatte. „Sie haben leider seinerzeit nicht für ein Studium im Modebereich gereicht. Daher ist aus Bleistift und Papier nie Schere und Stoff geworden", gab ich mich betont gelassen. Ein kleiner Plausch, nichts Verfängliches. Was war dabei? Sicherlich musste man den Fakt, dass sie Psychologin in dem Krankenhaus war, in dem meine Lebensgefährtin um ihr Leben kämpfte sowie die fortgeschrittene Tageszeit dabei außer acht lassen.

„Schade" Sie sah mich über den Rand ihres Weinglases hinweg an.

Ich spürte, wie meine Hände begannen schwitzig zu werden. Ich musste mir dringend etwas einfallen lassen. Was war das nur für eine Person? Ich spürte wie dezenter Ärger in mir aufstieg.

„Was wollen Sie eigentlich hier?", blaffte ich sie an.

Für einen Moment herrschte Stille, der Austausch zwischen uns war auf Blicke begrenzt, die ich allerdings nicht zu lesen vermochte. Ich verstand ihr Verhalten nicht und meines erst recht nicht. Wie sollte ich einen anderen Menschen verstehen können, wenn ich nicht mal schaffte, mich selbst zu schnallen? Da Dr. Leitz offensichtlich nicht daran interessiert war, eine Antwort zu formulieren, jauf jeden Fall nicht verbal, ergriff ich erneut das Wort.

„Wissen Sie, die letzte Zeit war gelinde gesagt nicht einfach für mich. Je länger ich mit meinen Gedanken und Überlegungen alleine bin, desto schwieriger wird es, wenn ich ehrlich bin. Ich bin sogar schon so weit, die ganzen letzten Jahre mit Catri anzuzweifeln." Es fühlte sich an wie eine Offenbarung. Ich vertraute ihr, ohne sie zu kennen. Bevor sie eine Antwort formulieren konnte, redete ich weiter. „Liegt das eigentlich daran, dass sie Psychologin sind. Vertrauen Ihnen die Menschen deshalb blind? Ist das eine Art Kniff?" Ich war in Fahrt gekommen, welche durch den Rotwein nur beschleunigt wurde.

Cornelia hob abwehrend die freie Hand. „So sollte das nicht rüberkommen.", versuchte sie mich zu beschwichtigen.

„Wie denn dann?"

Sie stellte ihr Weinglas auf den Küchentresen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Du kannst dich wohl wirklich nicht an mich erinnern. Schade eigentlich."

Ich verstand gar nichts mehr. Woher sollte ich diese Frau kennen?

Mein verwirrter Blick schien ihr nicht entgangen zu sein, denn sie setzte nach. „Zuerst habe ich gedacht, dass es an der Situation liegt. Du quasi kein Auge für deine Umgebung hast, aber inzwischen bin ich mir sicher, dass du, so unglaublich das auch klingen mag, keinen blassen Schimmer hast. Pass auf, ich gebe dir einen Tipp: Jugendfreizeit am Steinhuder Meer.", grinste sie.

„Du bist DIE Cornelia?", entfuhr es mir. Jetzt wo ich wusste, wer sie war, fragte ich mich, wieso mir das nicht schon früher aufgefallen war. „Gott, wie peinlich. Wie lange ist das her? Fünfzehn Jahre?" Ich rieb lachend mir die müden Augen.

„Dreizehn, Hallo Margo!", lachte sie.

„Hallo Cornelia" Ich trat einen Schritt auf sie zu und wir umarmten uns. Ich war froh, dass ich endlich eine Erklärung für ihr Verhalten hatte. Vor dreizehn Jahren hatten wir, neben dem Studium, je eine Jugendgruppe geleitet. In den Sommerferien fuhren wir mit den Jugendlichen ans Steinhuder Meer und da trafen wir uns. Unsere Gruppen blieben beide eine Woche und zwischen uns hatte sich in diesen Tagen eine zarte Romanze entwickelt. Wir hatten uns danach noch ein paar Mal privat getroffen. Doch unsere Wohnorte trennten damals mehrere hundert Kilometer. Mit der Zeit wurde der Kontakt sporadischer, bis er irgendwann vollständig einbrach. Wir hörten nie wieder was voneinander.

„Was für ein Zufall. Wow, ich... ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, was ich sagen soll."

„Tja, da habe ich einen Vorteil. Ich habe dich tatsächlich sofort erkannt und konnte es in den in den letzten Tagen verdauen."

Wir lösten uns voneinander, ich schenkte uns ein weiteres Mal nach und wir steuerten das Sofa an. Wir tauschten uns über die letzten Jahre unserer Leben aus. Ich erfuhr, dass Cornelia noch relativ neu in Berlin lebte und die Stelle erst vor einem guten Jahr angetreten hatte. „Davor war ich im tiefsten Bayern, es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mich an das Leben hier gewöhnt habe.", erklärte sie, als es an der Tür klingelte.

 Ich merkte den Wein in meinem Körper, als ich aufstand, um zu sehen, wer zu dieser späten Stunde noch störte. Leicht schwankend ging ich zur Wohnungstüre, nur um dahinter Kommissar Brandt mit einem ganzen Bataillon Polizisten vorzufinden.

 „Guten Abend Frau Zander. Wir haben einen Durchsuchungsbeschluss für Ihre bzw. Frau Brückners Privaträume. Oh, kommen wir etwa ungelegen?" Sein Blick war an mir vorbei in den Wohnraum gewandert, wo Cornelia noch immer neben einer leeren Flasche Rotwein und zwei Gläsern saß. Sein Blick schnellte zu mir zurück und er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. 

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