Wer jemals mehr oder weniger unfreiwillig in ein Fahrgeschäft gestiegen ist und die Fahrt sich genauso beschissen angefühlt hat, wie man es im Vorfeld vermutet hatte, der weiß wie es mir in diesem Moment ging.
Man steht also vor dem Fahrgeschäft und eigentlich dreht sich der Magen schon beim Zusehen um. Doch natürlich hat man diese Freundin, die unbedingt eine Runde fahren will und das natürlich nicht alleine. Also fängt sie an zu diskutieren, nutzt fadenscheinige Argumente wie „Ach komm schon, das wird lustig" oder „Es sieht schlimmer aus, als es ist. Am Ende wirst du Spaß haben und noch eine Runde fahren wollen."
Zweimal, allenfalls dreimal wird man „Nein" sagen, doch irgendwann wird man nachgeben. Dann sitzt man in dieser Achterbahn oder in dem „Break Dancer". Man hofft, dass das Mittagessen drinnen bleibt und man nicht ohnmächtig wird. Die Knöchel treten hell unter der Haut der Hände hervor, weil man sich voller Angst an die Bügel klammert. Im Magen ein merkwürdiger Mix aus Flattern und Übelkeit. Während also die Freundin im Sitz nebenan den Spaß ihres Lebens hat, kämpft man selbst quasi ums Überleben. Nach jeder Drehung hofft man, dass es die Letzte war. Schließlich wird man tatsächlich langsamer, man nimmt die Umgebung wieder wahr, die Übelkeit und das Flattern werden weniger. Die Hände entspannen sich etwas, zurück bleibt nur das Gefühl des Klammergriffs. Die Angst wird geringer und man schafft es, durchzuatmen. Vielleicht schafft man es sogar, der jauchzenden Freundin ein Lächeln zu schenken. Doch genau in diesem Moment nimmt das Fahrgeschäft nochmals an Fahrt auf. Die Angst kommt mit voller Wucht zurück und diesmal von hinten. Du hast sie nicht zurückerwartet. In Gedanken schon beim Aussteigen warst du möglicherweise Stolz auf dich, dass du nicht alles vollgekotzt hast, dass du nicht geheult hast. Doch die Angst ist erbarmungslos, sie packt dich im Nacken und zwingt dich auf die Knie. Wenn du dachtest, das Fahrgeschäft hätte längst gezeigt, was es kann, dann wirst du jetzt eines Besseren belehrt. Höher, schneller, weiter.
„Frau Zander, hören Sie mir zu?" Eine männliche Stimme drang in mein Bewusstsein.
Ich blinzelte ein paar Mal, um wieder im Hier und jetzt anzukommen.
„Entschuldigen Sie, ich war kurz in Gedanken versunken. Ich...ähm..."
Ich brauchte einen Moment, um wieder klar denken zu können. Ich entschied mich letztendlich dafür, offen zu reden. Was hatte ich schon zu verlieren? „Ich brauchte einen Moment, um das alles aufzunehmen. Von verstehen will ich gar nicht erst sprechen. Wissen Sie, es fällt mir schwer, das alles einzuordnen. Vor nicht mal einer Woche hatte ich ein schönes Leben, eine tolle Frau, einen Job, der mich erfüllt. Tja und jetzt? Der Job ist noch da, aber ich empfinde keinen Spaß. Die Frau, die ich heiraten will, liegt im Krankenhaus im Koma und keiner kann mir sagen, was aus ihr werden wird. Sie, sie sagen mir, dass es eventuell kein Unfall war. Dann wäre da noch dieser Ausweis. Ach und die Ärztin, die bei mir in der Boutique erscheint und mit mir flirtet, obwohl sie meine Situation nur zu genau kennt und wegen der meine beste Freundin nur noch wenige Worte mit mir wechselt. Also Sie sehen Herr Brandt, mein Gehirn ist ausgelastet. Ich kann keine neuen Informationen mehr aufnehmen. Es reicht.", lachte ich hysterisch. Was mit einem Glucksen begann, wurde schnell zu einem lauten, schrillen Lachen. In dem fast leeren Raum hallte es wunderbar bis in die noch so kleinste Ecke. Vermutlich hörte mich sogar die junge Frau im Hochparterre.Dem Kommissar waren alle Gesichtszüge entglitten und ich lachte und lachte, so lange bis mir die Tränen kamen und ich mir den Bauch hielt.
„Frau Zander, sind sie sich sicher, dass es Ihnen gut geht?", fragte er mich mit piepsiger Stimme.
„Ich...bin mir...sicher, dass Sie...ganz andere Sachen gewohnt...sind", sagte ich nach Luft japsend.
„Das schon. Nur hatte ich mit dieser Reaktion nicht gerechnet." Der Mann vor mir war tatsächlich etwas rot im Gesicht geworden.
Ich fragte ihn nicht, mit welcher Reaktion er gerechnet hatte. Stattdessen stand ich auf und streckte mich. Ich holte einmal tief Luft und setzte mich wieder an den kleinen Tisch.
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Bleib
RomanceWas passiert, wenn dein Leben vom einen auf den anderen Moment völlig aus den Fugen gerät? Der Antwort muss sich Margo Zander stellen. Die erfolgreiche Berliner Geschäftsfrau lebt seit fünf Jahren mit ihrer Lebensgefährtin Catri zusammen, bis ein sc...