Bevor ich Vera antworten konnte, hörte ich erneut die Klingel über der Ladentüre. Ich wischte mir kurz um die Augen und konnte Ralf Brückner erkennen, wie er in den Laden gestürzt kam.
„Margo! Wo bist du?! Du musst sofort mitkommen. Margo?!", schrie er fast quer durch den Laden. Seine Stimme zitterte dabei hörbar.
Vera konnte schneller als ich reagieren. Genau genommen reagierte ich gar nicht. Vor meinen Augen hatte sich erneut ein Schleier gebildet.„Ralf, wir sind hier. Was ist denn passiert?", hörte ich sie fragen. Ich glaubte, ebenfalls in ihrer Stimme ein Zittern zu hören.
„Catri hatte einen Unfall. Wir müssen sofort ins Krankenhaus. Wo ist Margo?" Zwar schrie Ralf weiterhin fast, doch ich konnte dazu hören, dass er gleichsam weinte. Seine Stimme war laut, aber brüchig.
Langsam und wie in Trance schnappte ich mir meine Tasche, das Handy hielt ich in der anderen Hand umklammert. Ich verließ die Teeküche nach und nach und mit kraftlosen Schritten. Ich stand schließlich direkt vor Ralf, er hatte die Boutique auf der Suche nach mir durchquert und den Türrahmen der Teeküche erreicht.
"Was ist passiert?", fragte ich ihn mit ebenfalls brüchiger Stimme.
„Wir.....wir.....wissen noch nichts genaues. Das Krankenhaus hat vor einer Stunde angerufen und gesagt, dass wir kommen sollen. Sie ist in der Charité." Ralf hatte Mühe zu sprechen. Sein Kloß musste mindestens genauso groß sein, wie der, der in meinem Hals steckte.
„Angelika wartet draußen im Taxi. Wir sollten los. Ich....". Ralfs Stimme verstummte und er brach in Tränen aus.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mein Kopf war leer und in meinem Magen herrschte absolute Übelkeit. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Im Augenwinkel nahm ich wahr, dass Vera sich ihren Schlüsselbund schnappte und uns wissen ließ, dass sie uns begleiten würde. Sie drängte uns zur Türe und in Richtung des wartenden Taxis. Ralf und ich nahmen auf der Rückbank platz. Auf dem Sitz hinter dem Fahrer saß Angelika Brückner. Ich setzte mich neben ihr in die Mitte, rechts daneben setze sich Ralf. Vera rutschte auf den Beifahrersitz. Sie unterrichtete den Taxifahrer über unser Fahrtziel.
Angelikas Gesicht zeigte eine starre Maske. Sie schien von der Außenwelt nichts wahrzunehmen. Lediglich die roten Ränder um ihre Augen verrieten, dass sie vor kurzem noch Emotionen gehabt haben musste. Diese schienen ihr im Augenblick gänzlich entglitten zu sein. Ich fragte mich, ob sie überhaupt mitbekam, dass Ralf und ich jetzt neben ihr saßen und die Fahrt in Richtung Charité fortgesetzt wurde. Ralf zu meiner rechten, hatte sich unterdessen wieder etwas gefangen. Trotzdem war ich froh, dass Vera uns begleitete und ein Auge auf uns hatte. Ich wusste nicht, was uns im Krankenhaus erwarten würde. Es konnte alles oder nichts sein. Was bedeutete ein Unfall? Ich war mir sicher, dass keiner von uns dreien momentan in der Lage war mit der Situation umzugehen. Egal wie diese am Ende eigentlich aussah. Neben mir hatte Angelika wieder zur Realität zurückgefunden. Mit leiser Stimme berichtete sie Vera und mir, was heute Morgen vorgefallen war. Beide Brückners waren schon bei Gericht gewesen, als Ralf Brückner einen Anruf aus der Charité bekommen hatte. Ein Arzt hatte ihn darüber unterrichtet, dass seine Tochter einen Unfall hatte und das es vorteilhaft wäre, wenn ihre Eltern ins Krankenhaus kommen würden. Daraufhin hatte Ralf versucht, mich zu erreichen und als dies nicht gelang, waren sie in ein Taxi gestiegen um mich kurzerhand abzuholen. Das alles berichtete Angelika völlig emotionslos und wie ferngesteuert. Den Rest der kurzen Fahrt schwiegen wir. Jeder hing seinen Gedanken nach und ich versuchte, mich innerlich dafür zu wappnen, was man uns gleich mitteilen würde. Es gelang mir nicht annähernd. Tief in meinem Herzen wusste ich, dass dieser Tag mein Leben für immer verändern würde.
Als das Taxi endlich vor dem Haupteingang zur Charité hielt, stürmte ich sofort aus dem Wagen. In diesem Moment wollte nur zu Catri, sie in den Arm nehmen und mich davon überzeugen, dass alles gut war. Dass sich meine Beine wie Butter anfühlten, bemerkte ich nur am Rande. Die Übelkeit war dafür allzu präsent, aber ich wusste, dass wenn ich Catris Lächeln alles wieder gut machen würde. Die Übelkeit würde vergehen. Möglicherweise hatte sie sich ja nur den Arm gebrochen und ich würde sie gleich mit nachhause nehmen können. Anders konnte es gar nicht sein. Die anderen drei stürmten hinter mir her, in den großen, gläsernen Eingang. Dort stand ein riesiger, runder Tresen, durch den man fast den Eindruck gewinnen konnte, dass man sich in einem Hotel aufhielt. Die vielen Patienten, die entweder in Rollstühlen oder mit Infusionsständern im Forum unterwegs waren, machten den Eindruck allerdings sofort zu Nichte.
Ich stürzte auf eine junge Frau zu, die im weißen Kasak hinter dem Tresen saß.
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Bleib
RomanceWas passiert, wenn dein Leben vom einen auf den anderen Moment völlig aus den Fugen gerät? Der Antwort muss sich Margo Zander stellen. Die erfolgreiche Berliner Geschäftsfrau lebt seit fünf Jahren mit ihrer Lebensgefährtin Catri zusammen, bis ein sc...