Mindmap

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Die Stille in der Wohnung wurde nur noch selten von Schluchzern, die aus meiner Kehle empordrangen, unterbrochen. Ich hatte unter Tränen, die meinen ganzen Körper geschüttelt hatten, von den letzten Ereignissen berichtet. Immer wieder musste ich Sätze von Neuem beginnen, da Vera kein Wort verstanden hatte. Ich war ihr dankbar, dass sie sich sofort auf den Weg gemacht hatte, obwohl wir zuletzt gestritten hatten und die Situation nicht geklärt war. Vermutlich machte dies eine beste Freundin aus. Zugegebenermaßen hatte ich nicht viele Freund*innen. Es war nie etwas gewesen, was ich gebraucht hatte. Ich mochte es Zeit mit mir alleine zu verbringen und war nicht darauf angewiesen, ständig ein anderes menschliches Wesen um mich herum zu haben. Überhaupt konnte ich nur wenige Menschen über längere Zeit ertragen, Catri und Vera boten die Ausnahme.

„Ich glaube, ich will hier ausziehen", sagte ich leise.

Ich sah im Augenwinkel, wie Veras Kopf herumfuhr. Sie saß neben mir auf der Couch und hatte, so wie ich, ihren eigenen Gedanken nachgehangen.

„Ich verstehe, dass das alles sehr..." Sie stockte kurz, so als würde sie nach den passenden Worten suchen. „Verwirrend ist. Aber meinst du nicht, dass das etwas überstürzt ist?", fragte sie vorsichtig.

Hastig verließ ich das Sofa. „Ich gebe dir recht. Aber ich habe in den letzten Tagen völlig den Sinn für die Realität verloren. Ich bin mir mit so gut wie nichts mehr sicher, weiß nicht, was ich mir von meinem Leben eingebildet habe und was Wirklichkeit ist. Vielleicht klingt es melodramatisch, vielleicht ist es das auch. Ehrlich, keine Ahnung. Aber nachdem die Polizei meine komplette Wohnung auf den Kopf gestellt hat, ist das Gefühl von zuhause verflogen und ich bezweifle, dass es je zurück kommen wird."

„Du liebst diese Wohnung, Margo", stellte Vera fest. Es war ein kläglicher Versuch mich davon zu überzeugen, dass ich die Dinge überbewertete und dass ich nicht dabei war, durchzudrehen.

„Stimmt. Ich dachte aber auch, dass meine Lebensgefährtin eine normale Journalistin ist, die gegebenenfalls ab und an ihren Kopf zu tief Angelegenheiten steckt, die sie im Grunde nichts angehen.", argumentierte ich dagegen.

„Erneutes Veto, aus gleichem Grund. Denn dies ist eine weitere Sache, die du im Grunde liebst. Du fandest es immer anziehend, wie Catri denen eine Stimme gegeben hat, die man sonst nie gehört hätte."

„Was ist das für ein Vergleich? Ich wusste gar nicht, dass du sie als Art Robin Hood siehst?" Ich versuchte mit den Augenbrauen zu wackeln und musste über die Fratze, die ich unweigerlich zog, lachen.

Vera musste ebenfalls grinsen. „Dein Vergleich hinkt. Wie auch immer, du solltest dir das gut überlegen und vor allem Catri mit einbeziehen."

„So wie sie mich in ihre Unternehmungen einbezogen hat? So wie sie mich mal wieder im Dunkeln darüber gelassen hat, was sie den ganzen Tag so treibt? So, wie ich mal wieder nicht wusste, wo sie steckt? Sie hat wieder nur einen Brief da gelassen! Was soll ich denn denken? Dass ich ihr die Wahrheit nicht wert bin, oder dass sie so gefährlich ist, dass sie einen locker umbringen kann? Bei mir geht es um eine andere Wohnung, bei ihr um das eine Leben, was man geschenkt bekommt. Welches wir teilen wollten.", spuckte ich die Worte Vera entgegen und hinein in das Chaos meiner Wohnung.

Vera blieb für einen Moment still, sie wusste, dass ich so fühlte und sie mir dieses Gefühl nicht absprechen konnte und auch nicht wollte.

Mein Blick wanderte durch das Chaos, welches die Polizei zurückgelassen hatte bis zu dem Raum, der bis gestern Abend Catris Büro gewesen war. Die Regale waren, bis auf wenige zurückgebliebene Akten, leer. Vom Computer waren nur Maus und Tastatur übrig.

„Weißt du was sie gesucht haben?" Vera musste meinem Blick gefolgt sein.

„Nein, nicht die geringste Ahnung. Vielleicht haben sie ja nach dieser Ekaterina Schlagmichtot gesucht", zuckte ich mit den Schultern.

Vera bedachte mich mit einem schockierten Blick, den ich nicht zu deuten wusste, bis mir meine eigenen Worte bewusst wurden.

„Sorry", murmelte ich.

„Schon gut. Wir sind alle nicht ganz auf der Höhe. Hör zu, lass uns endlich mal diese ganzen Gedanken und Informationen ordnen. Vielleicht sehen wir dann etwas klarer." Sie stand auf und betrat das fast leere Büro.

Über dem Schreibtisch hing Catris Whiteboard, welches die halbe Wand beanspruchte. Vera schnappte sich einen Marker und schrieb in großen Buchstaben CATRI auf die Mitte der Tafel. Sie zog nacheinander Linien und schrieb Ralf und Angelika dahinter. Ein weiterer Strich folgte, der von meinem Namen gefolgt wurde sowie ein weiterer zu Vera. Ich lies sie in Ruhe malen und sah zu, wie nach und nach eine Mindmap rund um Catri entstand. Ich sah sowohl den Namen von Agnes als auch den von Bekannten und Freund*innen Catris, die ich in der Aufregung der letzten Tage völlig vergessen hatte zu informieren. Vera reichte mir den Stift und ich ergänzte meinerseits Namen. Den, den mir Kommissar Brandt gegeben hatte, schrieb ich etwas abseits.

Wir traten beide zurück bis an die gegenüberliegende Wand und studierten das Ergebnis unserer Gedankensammlung.

„Das Zentrum bilden sechs Menschen", summierte ich. „Du, Agnes, Catris Eltern sowie sie selbst und ich. Alle anderen Menschen sind eher außenstehende. Lose Kontakte, Bekanntschaften oder anders geartete Beziehungen.", schloss ich und verharrte mit meinem Finger über dem Namen von Catris Chef.

„Müsste er nicht wissen, woran sie gearbeitet hat oder sogar ihr Auftraggeber sein?", merkte Vera an.

„Ich denke, dass Kommissar Brandt längst mit ihm gesprochen hat. Trotzdem sollten wir ihn aufsuchen, eventuell kann er uns einige Fragen beantworten und uns helfen eine Linie in dieses verworrene Nest zu bringen, sagte ich, während ich um Ekaterina Roskov einen roten Kringel zog. „Ich glaube hier liegen die Antworten auf unsere Fragen. Ich bezweifle aber, dass der werte Kommissar mir dazu eine Auskunft geben wird."

„Vermutlich hat er selber keine Antworten, sonst hätten sie wohl kaum die halbe Wohnung durchsucht und demontiert.", merkte sie an.

Damit hatte Vera recht. Ich griff zum Telefon und wählte die Nummer von Ralf und Angelika.

„Hallo Margo, gut das du anrufst. Wir müssen reden."

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