Draußen war es noch dunkel, als ich meine Augen öffnete. Dies war zwar für die Jahreszeit nichts Ungewöhnliches, doch ich spürte, dass ich nur wenige Stunden geschlafen hatte. In meinem Kopf hämmerte es dumpf und mir tat jeder Muskel im Körper weh.
Ich fischte mit der Hand nach dem Handy, welches auf dem Nachtisch neben dem Bett lag. Ich entsperrte es und mein Blick fiel auf die Uhrzeit. Es war vier Uhr morgens. Ich stöhnte und ließ den Kopf zurück ins Kissen sinken. Das Handy hielt ich blinzelnd mit ausgestreckten Armen über meinem Gesicht. Keine verpassten Anrufe, nur eine SMS von Ralf, in der er wissen wollte, wie es mir ging. Ich hatte mich nicht mehr bei ihm gemeldet, seitdem ich abrupt das Zimmer auf der Intensivstation verlassen hatte. Ich schrieb ihm zurück, dass es mir leid täte, einfach so aufgebrochen zu sein und dass er sich keine Sorgen machen brauche. Nachdem ich die Charité verlassen hatte, hatte mich ein Taxi zu Veras Wohnung gebracht. Dort hatte ich mich vor lauter Erschöpfung auf das Sofa fallen gelassen. Doch statt einzuschlafen, hatte ich nur an die Decke gestarrt. Ich dachte über die ganze Situation, über die Erklärungen von Schwester Melanie, das Gespräch mit Dr. Leitz und meine eigene Unfähigkeit, einen Schritt auf Catri zuzugehen, nach. Ebenfalls kam mir der merkwürdige Besuch des Kommissars wieder in den Sinn. Ich konnte mir auf das Verhalten des Mannes keinen Reim machen. Ich merkte, dass mich ein unglaubliches Nervositätsgefühl überkam. Schließlich würde ich in wenigen Stunden ihm erneut gegenübersitzen. Diesmal allerdings in einem weniger angenehmen Rahmen.Nachdem Vera zuhause angekommen war, tauschten wir uns über die Ereignisse des Nachmittags aus und bestellten uns eine Pizza. Aufgrund der noch immer anhaltenden Übelkeit schaffte ich nur zwei Stückchen meines Lieblingsessens. Vera bemerkte es mit einem sorgenvollen Blick, doch gesagt hatte sie nichts. Gegen Mitternacht hatten wir uns dann ins Bett verabschiedet und jetzt war ich schon wieder wach. Bedachte man die Situation, so war es bestimmt nicht ungewöhnlich, dass ich nicht viel Schlaf fand. Doch die emotionalen Strapazen und der wenige und zudem hundsmiserabele Schlaf forderten so langsam ihren körperlichen Tribut. Da ich längst zu viel nachgedacht hatte, um erneut einschlafen zu können, stand ich auf und schlich ans Fenster um dieses zu öffnen. Die kalte Luft, die in den Raum strömte, tat mir gut. Ich hatte das Gefühl, dass sie meinen schweren Gedanken etwas Gewicht nahm. Langsam kroch durch den Wirrwarr in meinem Kopf das schlechte Gewissen Catri gegenüber. Ja, sie war immer die Starke von uns beiden gewesen. Doch dass ich es nicht mal fertigbrachte mich an ihr Bett zu setzen und ihre Hand zu halten, machte mich fertig. Was sie wohl dazu sagen würde, könnte sie mich so sehen? Vermutlich würde sie lachen, meine Hand nehmen und mich dazu zwingen, mich der Situation zu stellen. Mit ihr an meiner Seite wäre es mir gelungen. Der Gedanke war mehr als schmerzlich. Mir wurde mal wieder bewusst, wie inkomplett ich ohne sie war.
Ich war die taffe Geschäftsfrau, die mit ihrer Freundin aus Kindertagen eine Boutique aus dem nichts geschaffen hatte. Nicht nur irgendeine Boutique, in der man Kleider von bekannten Marken finden konnte, sondern ein Geschäft, das unbekannten Designer*innen eine Bühne bot. Es war am Anfang nicht leicht. Mit den großen bekannten Namen konnte man für sich selbst Werbung machen, das funktionierte mit Unbekannten nicht. Doch Berlin war offen und verrückt genug, sich auf andere Mode und deren Erschaffer einzulassen. Zumindest wenn man das nötige Kleingeld besaß. Die Stücke, die wir ausstellten, waren fast ausschließlich Unikate und diese ließen sich die Designer teuer bezahlen, egal wie unbekannt sie waren. Doch sobald ein*e Designer *in ein Teil erschaffen hatte, das besonders schön oder auffällig war und sich dafür ein entsprechender Kunde gefunden hatte, desto sicherer konnte er sein, dass er bald in der High Society Berlins bekannt war. Der Einfall, die ausstellenden Designer exklusiv zu vertreiben, war für Vera und mich eine Glücksidee gewesen. Wir stellten damit sicher, dass die Stücke nur über uns an den Kunden oder die Kundin gebracht wurden und konnten so bald schwarze Zahlen schreiben. Es war ein Risiko gewesen, in das Vera und ich unser komplettes Erspartes gesteckt hatten. Der kleine Artikel, den Catri über unseren Laden geschrieben hatte, hatte uns zu mehr Aufmerksamkeit verholfen. Der Gedanke daran ließ ein leichtes Lächeln über mein Gesicht huschen, das erste seit zwei Tagen.
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Bleib
RomanceWas passiert, wenn dein Leben vom einen auf den anderen Moment völlig aus den Fugen gerät? Der Antwort muss sich Margo Zander stellen. Die erfolgreiche Berliner Geschäftsfrau lebt seit fünf Jahren mit ihrer Lebensgefährtin Catri zusammen, bis ein sc...