Epilog

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Ich konnte noch immer nicht glauben, dass ein vergessenes Tattoo am Hals die ganze Sache hatte auffliegen lassen. Ein paar Tage später stand alles in der Zeitung. Verhaftungen, Durchsuchungen und Befreiungen fanden statt und die Presse wurde einige Tage nicht müde, darüber zu berichten. Catri wurde nirgends erwähnt, alles bezog sich auf eine „Anonyme Quelle", die der Polizei einen Tipp gegeben hatte. Letztenendes kehrte Ruhe ein und es gab neue Themen, worüber sich die Journalisten die Köpfe zerbrachen. Demnächst standen vermutlich die Gerichtsverhandlungen an und das Thema würde erneut aufgekocht werden. Kommissar Brandt hatte ich seit diesem schicksalhaften Tag nicht wiedergesehen, was mir und vermutlich auch ihm nur lieb war. Aufgegeben hatte ich dennoch nicht, zumindest nicht gleich. Stattdessen hatte ich andere Stellen kontaktiert, versucht etwas über den Verbleib von Catri herauszufinden. Doch man hatte mir immer wieder versichert, dass es auch zu meinem Besten sei, wenn ich nichts über ihren Aufenthaltsort wisse. Ich könne mich glücklich schätzen, dass man mir überhaupt die Auskunft über das Zeugenschutzprogramm gegeben habe. Wenn wir verheiratete gewesen wären, wäre es natürlich etwas Anderes gewesen. Dann wäre auch ich in das Programm aufgenommen worden. Man habe es gründlich geprüft und letztlich eine Gefahr für mich ausgeschlossen, daher war es mir gestattet, mein Leben zu behalten.

Ich war verzweifelt, ich flehte, ich bettelte und betete. Nachts wurde ich bei jedem noch so leisen Geräusch wach, immer in der Hoffnung, dass sie zurückkommen würde. Dass sie sich hereinschleichen würde und mich doch holen und mitnehme würde. Oder besser noch, hier bleiben würde. Aber sie kam nicht, nicht eine Woche und auch nicht einen Monat später. Ich sah sie überall auf der Straße, ihr Gesicht verfolgte mich regelrecht. Doch nie war es tatsächlich Catri gewesen.

Ihre Eltern hatten ebenfalls versucht, ihre einzige Tochter ausfindig zu machen. Doch auch sie scheiterten an den Behörden. Agnes litt ebenfalls unter dem Verlust. Ich hatte sie seit Catris Verschwinden nur ein bis zweimal gesehen, aber wir telefonierten häufig. In meiner Wahrnehmung war die Frau seitdem noch etwas kälter und zurückhaltender geworden, zumindest wenn es um meine Person ging. Möglicherweise bildete ich es mir nur ein. Wir alle litten unter dem Verlust und es stand mir nicht zu irgendjemanden zu verurteilen. Ich hatte das Glück, dass Cornelia wieder in mein Leben getreten war. Sie und Schwester Melanie waren zwei der wenigen Angestellten der Charité und insbesondere der neurochirurgischen Intensivstation, die nicht eingeweiht gewesen waren. Sie half mir durch die Zeit und wir schafften es, eine gute Freundschaft zu etablieren. Lange Zeit gelang es mir überhaupt nicht, die gemeinsame Wohnung von Catri und mir zu betreten. Ich pendelte zwischen Veras Bett und Cornelias Couch. Es fühlte sich nicht mehr nach einem Zuhause an. Nach der Trauer kam die Wut und ich fühlte mich betrogen und hintergangen. Ich stellte infrage, an was ich die letzten fünf Jahre geglaubt hatte. Catri hatte ihre Arbeit vor ihr eigenes Leben, ihre Freunde, Familie und Letztenendes mich gestellt. Ihre Absichten waren gut gewesen und ohne Frage hat sie vielen Menschen damit geholfen, aber hätte es nicht einen anderen Weg gegeben? Es war nicht nur ihr Leben betroffen, sie hatte ihr komplettes Umfeld mit in die Sache gezogen. Jetzt, Monate danach, waren so viele Fragen noch immer unbeantwortet geblieben. Rätsel, dessen Lösung einzig und alleine Catri kannte. Doch vermutlich würde ich diese eine Frau nie wieder sehen. Die Liebe meines Lebens war auf und davon und hatte mich im kalten Berlin zurückgelassen. Sie konnte überall sein, im nächsten Dorf, in der nächsten Stadt, irgendwo in Europa, oder auf einem anderen Kontinent. Ich musste mit der Erkenntnis leben, dass ich es gegebenenfalls nie erfahren würde. Die Hintermänner hatten eine Rechnung mit meiner Freundin offen und würden dies nie vergessen. Catri durfte sich hier und sonst nirgends blicken lassen, wo diese Menschen nahe waren. Ich hatte viel Zeit damit verbracht, mir auszumalen, was Catri in der Zeit bei diesen Kriminellen erlebt hatte. Es zermürbte meinen Kopf auch, weil ich mich fragte, warum ich nichts gemerkt hatte. Wie konnte ich so blind gewesen sein? Gott, ich hätte so viele Fragen.

Cornelia hatte uns allen den Rat erteilt, um sie zu trauern, als sei sie gestorben. Ich solle meine Beziehung symbolisch beerdigen und um sie trauern, so wie ich es um einen Menschen tun würde. Aber mir war klar, dass ich in Berlin niemals heilen konnte. Falls dies überhaupt jemals möglich war. Ich beschloss, die Stadt zu verlassen und woanders neu zu beginnen. Den Brief, den mir Kommissar Brandt damals gegeben hatte, hatte ich im Übrigen nie geöffnet. Ich hatte ihn jedoch nicht weggeworfen. Er zog mit mir fort, ungeöffnet in einer Kiste. Bereit gelesen zu werden, wenn ich es war. 

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