Schweigen ist Gold

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Vera und ich hatten den restlichen Tag kein Wort mehr miteinander gewechselt. In meinen Augen schuldete sie mir eine Entschuldigung. Selbst wenn Dr. Leitz tatsächlich mit mir geflirtet hatte, sah ich nicht, was genau ich damit zu tun hatte. Was konnte ich schließlich dafür? Natürlich, ich hätte sie darauf ansprechen können, doch wenn sie einfach nur nett sein wollte, so hätte ich mich blamiert. Ein kleiner Teil von mir musste sich allerdings eingestehen, dass mir die Minuten mit der blonden Frau gutgetan hatten. Mein Kopf hatte sich auf etwas Anderes als das Chaos in meinem Leben konzentriert. Und ja, ich fühlte mich geschmeichelt - wenn sie denn geflirtet hatte. Dennoch, es gab Vera nicht das Recht, mich so anzufahren.

Trotzdem stand ich jetzt mit einem schlechten Gefühl vor dem Trakt der Charité, der die neurochirurgische Intensivstation beherbergte. Einerseits fühlte ich mich mies Catri gegenüber. Sicher, es war nichts passiert. Ich bin nicht auf die Worte von Dr. Leitz eingegangen, trotzdem beschäftigten mich die vergangenen Stunden. Ich musste dringend mit Catri darüber sprechen, selbst wenn ich von ihr keine Antworten erwarten konnte.

Der andere Grund - und dieser war in diesem Moment wesentlich präsenter, war natürlich die Ärztin selbst. Zwar glaubte ich kaum, sie heute hier nochmal wiederzusehen, doch ich konnte das bestehende Risiko nicht ausblenden. Ich konnte gut und gerne darauf verzichten sie erneut zu sehen. Ich musste mich erst wieder beruhigen. Ich war verwirrt und sauer. Was bildete sie sich ein? Kommt in meinen Laden und zieht dieses Theater ab. Für eine Psychologin nicht wirklich feinfühlig. Vielleicht war das Ganze auch nur ein Test gewesen, doch wofür wollte sich mir nicht erschließen.

Ich atmete nochmal tief durch und begab mich schließlich in das Gebäude. Auf dem Weg durch die langen Flure blickte ich mich ständig um. Meine Hände begannen zu zittern und in meinem Bauch machte sich ein komisches Gefühl breit.

Nur noch zwei Etagen mit dem Fahrstuhl und dann hast du es geschafft, versuchte ich mir selbst Mut zu machen.

Ungeduldig stand ich vor der Metalltüre des Lifts und als ein Bling seine Ankunft verkündete, war ich froh, dass er leer war. Schnell wählte ich das gewünschte Geschoss und atmete auf, als sich die Türen wieder schlossen. Zum Glück war ich alleine, sie war nicht plötzlich aufgetaucht, um den Lift doch noch zu stoppen.

Ich verließ den Aufzug auf der gewünschten Etage und hatte endlich die neurochirurgische Intensivstation erreicht. Wieder klingelte ich und wartete, dass man mir öffnete. Dabei fiel mir ein, dass mich am Vortag jemand versucht hatte anzurufen, als ich ebenfalls vor dieser Tür stand. Da die Nummer unterdrückt war und ich keinen erneuten Anruf erhalten hatte, ließ ich den Anruf Anruf sein. Ich nahm mir hingegen vor, dass ich mich morgen bei Kommissar Brandt melden würde. Vielleicht gab es ja neue Erkenntnisse.

Die Flügeltüre öffnete sich und dahinter kam erneut Schwester Melanie zum Vorschein. Ich fragte mich, ob diese Frau wirklich jeden Tag arbeitete. Dass es um die Pflege in deutschen Krankenhäusern und sonstigen Pflegeeinrichtungen schlecht bestellt war, war zweifelsfrei kein Geheimnis. Schlechte Arbeitszeiten und schlechter Lohn, im Vergleich dazu, was die Pfleger*innen leisteten. Wer diesen Beruf dennoch ausübte, der musste ihn lieben.

„Guten Tag, Frau Zander. Schön Sie zu sehen.", begrüßte mich die Frau lächelnd.

„Hallo! Sie sind ja schon wieder hier?.", rutschte es mir heraus. Ich hatte nicht beabsichtigt sie darauf anzusprechen. Jetzt war es mir unangenehm und ich kratze mich verlegen am Nacken.

Doch Melanie lachte nur. „Ja, meine Freundin fragt mich auch schon, ob sie die gemeinsame Wohnung kündigen soll."

Sie tat es als Scherz ab, doch in ihren Augen konnte ich sehen, dass der Hausfrieden etwas schief hing. Das machte es für mich noch unangenehmer. Schnell wechselte ich das Thema.

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